Herr Jánszky, wie arbeitet man eigentlich als Zukunftsforscher und was macht dessen Meinung so fundiert?
Ungefähr seit Mitte des letzten Jahrhunderts gibt es wissenschaftliche Methoden der Zukunftsforschung. Diese basieren darauf, dass es einige wenige Menschen gibt, die mit ihren heutigen Entscheidungen die Zukunft mehr beeinflussen als andere. Das sind im Bezug auf Ingenieure typischerweise Strategie- oder Innovationschefs von großen marktprägenden Unternehmen. Ein wissenschaftlicher Zukunftsforscher tut nichts anderes, als mit diesen Menschen lange, tiefe Interviews zu führen und sie zu fragen: »Was tut ihr heute? Warum tut ihr das? Und was glaubt ihr, was daraus in fünf, acht oder zehn Jahren entsteht?« Die Zukunftsforschung ist somit keine quantitative Wissenschaft sondern eine qualitative. Die Arbeit von Zukunftsforschenden hat darum Hand und Fuß, weil sie sich nichts von dem, was sie prognostizieren, selbst ausdenken, sondern es sind rein analysierte Prognosen der Menschen, die eine so hohe Macht haben, dass ihre Entscheidungen die Zukunft wirklich prägen.
Werden uns die Menschen in hundert Jahren rückständig nennen? Und wenn ja, in welchen Bereichen?
Sie werden sich wundern über Sinnlos-Jobs, die es heute noch gibt. Beispielsweise Taxifahrer, Truckfahrer oder Flugzeugpilot. Natürlich werden in den nächsten Jahren diese Dinge, die darauf beruhen, dass der Mensch Handgriffe gelernt hat, viel besser von Künstlicher Intelligenz und Robotern erledigt werden. Kein Mensch muss seine Zeit mehr damit vergeuden, sich in ein Auto zu setzen und am Lenkrad zu drehen. Das Gleiche gilt für Wissens-Jobs wie zum Beispiel Ärzte. Dass man im Studium diese ganzen systembasierten Bücher auswendig lernt und man danach weiß, was bei welchem Symptom zu tun ist – das macht KI viel besser und schneller. Wenn dort persönliche Daten hineingehen, wird das viel individueller und prognostischer. Es wird uns komisch vorkommen, dass man zum Arzt gegangen ist und der hat einem gesagt, ob man krank ist und was man dann tun soll. Man wird in der Zukunft jeden Tag mit seinem Handy reden und das erkennt schon aus der Stimme beim Telefonieren, ob man krank ist oder nicht und gibt Em-pfehlungen, was man machen soll.
Wie wird sich die Arbeit von Ingenieuren in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren entwickeln?
Sie werden in humanen-digitalen Teams arbeiten. Es wird völlig normal sein, dass das Wissen, was sie im Kopf haben, nicht mehr wirklich gefragt ist, weil sich das was sie studiert haben im Lauf der Jahre überholt hat. Ihr Hauptjob wird sein, die verschiedenen Wissensstücke zusammenzufügen und so mit Künstlicher Intelligenz zu arbeiten, dass am Ende das entsteht, was sinnvoll ist. Künstliche Intelligenz kann Ziele geben, aber keinen Sinn setzen. Während es das Ideal der KI ist, Regeln zu folgen und am effizientesten zu sein, müssen Menschen die sein, die dafür sorgen, dass Regeln gebrochen werden, regelbasierte KI ausgetrickst und immer wieder neu auf die Schiene gesetzt wird.
Gibt es weitere Punkte, was sich für Leute im Ingenieurwesen ändern wird?
Ingenieure werden alle zu Data Engineers. Sie werden sich ausdenken müssen: An welcher Stelle bekommen wir welche Daten aus einem Prozess heraus, durch welche Sensorik können wir diese Daten verlässlich messen und welchen Nutzen können wir aus dieser Vielzahl von Daten generieren? Egal ob im Maschinenbau, der Pharmazie oder dem Nahrungsmittelbereich: Das Generieren von Nutzen aus neuen Daten heraus, die erst in Zukunft messbar werden, ist in den nächsten zwanzig Jahren die Hauptaufgabe von Ingenieuren. Vieles andere kann bald von Künstlicher Intelligenz und Robotik erledigt werden.
Welche Kompetenzen braucht ein Ingenieur der Zukunft, der jetzt mitten im Studium steckt?
Wer heute im Studium steckt, muss sich den Gedanken aus dem Kopf schlagen, dass er hier für sein Leben lernt. Früher in der Generation meiner Eltern hieß es noch: »Du lernst fürs Leben.« Das hatte den Hintergedanken: »Du lernst einmal was und dann gehst du in den Job – und das bleibt dein ganzes Leben so.« Das ist schon in der heutigen Zeit kompletter Blödsinn. Wir gehen in eine Zeit der Vollbeschäftigung, die in den nächsten 15 Jahren anfängt. Vollbeschäftigung heißt: Es gibt mehr freie Stellen als freie Menschen im Arbeitsmarkt. Das führt letztendlich dazu, dass in unseren Prognosen steht: Die Ingenieurberufe gehören zu einer Gruppe von etwa 40 Prozent der gesamtarbeitenden Menschen in denen es völlig normal ist, zu einem sogenannten Projektarbeiter oder einer Projektarbeiterin zu werden. Das heißt: man ist für ein Projekt bei einem Unternehmen, aber wenn das nach etwa ein oder zwei Jahren zu Ende ist, wechselt man. Wenn man in einer Hochtechnologiebranche arbeitet, kommt neben diesem Springen dazu, dass sich das Wissen in dieser Branche alle fünf Jahre verdoppelt. Nach zehn Jahren hat man etwa nur noch 25 Prozent des wesentlichen Wissens. Das heißt, man wird aus seinem Job rausgehen, wird noch einmal für ein oder zwei Semester an die Uni gehen und sozusagen die eigene Festplatte im Kopf rebooten. Das wird nicht nur einmal im Leben passieren, sondern alle zehn Jahre. Und wenn man dann nach so einem Reboot-Jahr zurück in die Arbeit geht, wird man nicht ins selbe Unternehmen, in die selbe Position zurückgehen, sondern wird sich etwas anderes suchen, weil es viele Optionen und viele interessante Dinge im Leben gibt. Kurzgesagt: Lebenslanges Lernen.
Welche Soft Skills werden benötigt – gerade im Umgang mit KI?
Was man braucht, ist eine selbstverständliche Kompetenz und Freude am Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Man muss verstehen, wie diese Algorithmen funktionieren und wie sie nicht funktionieren. Man muss verstehen, was sie besser und nicht besser können als der Mensch, um seine eigene Position zu finden. Und dann sollte man sich darauf spezialisieren, was Computer nicht können: Verantwortung übernehmen, Mut zum Risiko zeigen, Teamführung, aber sich auch in Teams einordnen zu können. Reflexion darüber, warum eine Aussage auf bestimmte Weise getroffen wird, wovon dies abhängt und wie sie noch getroffen werden könnte; also das Denken in Alternativen. All das, was heute als Soft Skill gilt, wird in den nächsten zwanzig Jahren zu dem, womit Menschen den Unterschied gegenüber Computern aber auch gegenüber anderen Menschen machen.
Das Jahr 2030 scheint immer schneller heranzurücken? Welche Entwicklungen sind bis dahin realistisch?
Viele! Das reicht von der Mobilität und komplett selbstfahrenden Autos bis hin in die Medizin. Wir werden 2030 noch nicht dort sein, wo wir in 100 Jahren sein werden. Aber selbstverständlich werden wir dann schon unsere DNA genau kennen. Wir werden so etwas haben, das ich immer den Genom-based-Lifestyle nenne – das hat mit Essen, Medikamenten und auch mit Fitness zu tun und auf den Informationen über unsere eigene individuelle Genetik basiert. Das wird sich bis 2030 komplett durchgesetzt haben. Übrigens: Es gibt aus meiner Sicht eine recht hohe Wahrscheinlichkeit, der Lösung der Energiefrage nähergekommen zu sein. Wir werden unsere Industrie größtenteils auf eine Energieversorgung durch Wasserstoff umgestellt haben. Bei all diesen Dingen, die in der heutigen politischen Diskussion noch als schöne Visionen gelten, werden wir in der Umsetzung weit gekommen sein.
Was wird für Ingenieure im Jahr 2030 wichtig sein?
Wir werden in einer Zeit der Vollbeschäftigung leben. Im Klartext: drei Millionen nicht besetzbare Stellen. Es gibt die Jobs, aber nicht die Menschen. Warum? Weil in den nächsten zehn Jahren 6,5 Millionen mehr in Rente gehen und von unten zu wenige Menschen nachkommen. Von den 6,5 Millionen muss man dann noch die heutige Arbeitslosigkeit abziehen – ungefähr 2,2 Millionen – und dann gibt es noch solche Dinge wie ein neues Einwanderungsgesetz und qualifizierte Zuwanderer. Egal wie man's macht: Am Schluss kommen drei Millionen Menschen zu wenig am deutschen Arbeitsmarkt raus. Das läuft darauf hinaus, dass alle zwei Wochen der Headhunter anruft und man als Ingenieur eine gewisse Macht in der Hand hat. Man kann quasi dem Unternehmen ein Stück weit diktieren, was man möchte und ist nicht mehr derjenige, der gekündigt wird. Das ist, von allen Technologien abgesehen, die spürbarste Veränderung in der Gesellschaft – nicht nur für Ingenieure sondern für alle, die etwas gelernt haben.