Bild 1: Ein Ausschnitt aus einer beliebigen Fußgängerzone in einer beliebigen deutschen Großstadt an einem schönen Tag.
Bild 2: Ein Ausschnitt aus einem beliebigen Großraumbüro in einer beliebigen deutschen Firma an einem normalen Arbeitstag.
Und nun die Frage: Wo liegt der Unterschied, wenn die Tatsache ›Freizeit-Arbeit‹ außen vor gelassen wird? Ebenso wenig geht es auch nicht darum, dass die Fußgänger entspannter aussehen als die Büromenschen.
Der Unterschied ist: Da draußen ist es bunter. Nicht ›bunter‹ im farblichen Sinne, sondern bezüglich der Vielfalt: klein, dick, groß, schlank, schwarz, weiß, lesbisch, schwul, alt, jung, behindert und und und.
Was auf den Straßen längst normal ist, sieht in der Realität der deutschen Unternehmen teilweise noch anders aus. Wenngleich es auch heute noch Bekleidungsunternehmen gibt, deren Angestellte einem gewissen Schönheitsideal entsprechen müssen oder Behinderte erst gar nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden – die Zeiten und Unternehmenskulturen ändern sich. Aber auch die Demographie. Die Fachkräfte fehlen und damit einher geht die Angst, nicht mehr mithalten zu können und wirtschaftlich abzusteigen.
Gender Diversity: 50 Prozent der Juraabsolventen sind weiblich!
»Kein Unternehmen und keine Kanzlei kann es sich leisten, eine bestimmte Gruppe in ihren Recruitingbemühungen auszublenden oder gar zu ignorieren. Bereits heute sind über 50 Prozent der Juraabsolventen weiblich. Dennoch liegt ihr Anteil in der Partnerschaft aller größeren Kanzleien deutlich tiefer. Hier wird noch großes Potenzial verschenkt«, sagt Carolyn Schroeter, Associate Director bei Allen & Overy. In Zeiten des demographischen Wandels kommt aber vielleicht genau dieser vielen Menschen zugute. Irgendwann müssen alle Männer, die auf ihren hochdotierten Posten sitzen, Platz machen für ihre Nachfolger und -folgerinnen.
Da ihresgleichen nicht in dem Maße nachkommen, die Stellen aber besetzt werden müssen, wird der Suchradius ausgeweitet – und Frauen, Schwule, Lesben und alle, die von solchen Positionen nur träumen konnten, weil sie aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Sexualität oder ihres Alters vielleicht nie und nimmer in die Nähe eines solchen Karriereschritts gekommen wären, sehen sich nun vielfältigen Möglichkeiten gegenüber.
- Die Euromoney Legal Media Group verlieh 2014 den ›European Women in Business Law Award‹ der Kanzlei Hogan Lovells als beste internationale Sozietät für Frauen im Wirtschaft srecht und als beste internationale Sozietät für ›Minority Women Lawyers‹. Gleiss Lutz wurde als beste Kanzlei für Frauen im Wirtschaft srecht in Deutschland ausgezeichnet.
- Die Initiative Pride 175, initiiert von der Sticks & Stones Karrieremesse und dem Völklinger Kreis, Bundesverband schwuler Führungskräft e, vergibt Deutschlands erstes LGBTI** Diversity-Siegel. Das Siegel verifiziert und beglaubigt kostenlos die Umsetzung von LGBTI Diversity Management in Unternehmen und Organisationen.
- Nach der Mitgliederstatistik der BRAK zum 1. Januar 2014 lag der Anteil der Frauen in der Anwaltschaft bei 33,3 Prozent. Das heißt 54.139 der 162.695 Anwälte sind weiblich. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit eher hinten, in Frankreich, Spanien oder Italien zum Beispiel liegt der Anteil der Anwältinnen zwischen 46 und 51 Prozent.
Klar, das klingt im ersten Moment traurig. Auf der anderen Seite ist dies eine riesige Chance für alle, die bislang nicht dem bisher archetypischen Beispiel des Karrieristen entsprachen. Wobei es in diesem Zusammenhang weniger um ›Chancen‹ als um ›Gerechtigkeit‹ geht. Es ist nur gerecht, dass die fleißigen, klugen, motivierten, engagierten und ambitionierten Menschen in den ihren Fähigkeiten entsprechenden Jobs arbeiten und jeder die gleichen Möglichkeiten hat.
Gender Diversity: Arbeitgeber und Arbeitnehmer profitieren
Profitieren können davon beide Seiten: »Empirische Studien zeigen, dass Unternehmen, die auf Diversity-Management setzen, über motiviertere und effektivere Mitarbeiter verfügen, einen besseren Service anbieten können, Innovation und Kreativität fördern und so neue Marktsegmente gewinnen können«, sagt Schroeter von Allen & Overy und verweist auf die McKinsey-Studie ›Woman Matter‹.
Diese zeigt den Zusammenhang zwischen der Performance eines Unternehmens und dem Frauenanteil in der Führungsetage. »Unternehmen, in denen am meisten Frauen in der obersten Führungsetage vertreten sind, sind sowohl organisatorisch als auch in finanzieller Sicht am erfolgreichsten«, erklärt Schroeter und sagt, dass die Studie zudem zeige, wie wichtig es für Unternehmen sei, die Entwicklung von Frauen zu fördern, damit ihr Anteil in verantwortungsvollen Positionen steigt.
Frauen/Diversity bei Allen & Overy
Bei Allen & Overy beträgt der Frauenanteil deutschlandweit durchschnittlich 35 Prozent, bis 2020 soll der Prozentsatz der Partnerinnen global auf 20 Prozent erhöht werden: »Gleichzeitig soll sich aber auch die Zusammensetzung der Bevölkerung bezüglich Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung und Migrationshintergrund annähernd in der Belegschaft widerspiegeln«, so die Associate Director weiter. Um dies zu erreichen, ergreift die weltweit tätige Anwaltskanzlei unterschiedliche Maßnahmen: Das Work-Life-Balance-Programm wird weiter ausgebaut, neue Teilzeitmodelle werden etabliert und die Kinderbetreuung ausgeweitet. Hinzu kommt die Initiative ›Women @A&O‹, zu der Bewerber-Events für angehende Juristinnen mit Erfahrungsberichten von Partnerinnen und Anwältinnen aus deutschen und internationalen Büros sowie Podiumsdiskussionen gehören.
Weiter setzt sich das Netzwerk A&Out aktiv für die Belange von homosexuellen und transsexuellen Mitarbeitern ein. Gleichzeitig sorgt das Unternehmen dafür, dass Vorurteile abgebaut werden – denn auch in diesem Bereich herrscht großer Bedarf: »Die Sensibilisierung für das Phänomen ›Unconscious Bias‹ ist ein wesentlicher Baustein für ein erfolgreiches Diversity Management«, betont Schroeter und erklärt, dass sich unconscious Biases nicht einfach abschalten ließen. Sie bilden verhaltenswirksame Tendenzen in der Beurteilung von Menschen, die auf unbewusste Wahrnehmungs- und Lernmechanismen zurückgehen.
Ziel: vorurteilsfreies Arbeitsumfeld
Um Partner und Führungskräfte mit den Entstehungsprozessen von Vorurteilen vertraut zu machen, richtet sich die Kanzlei an diese mit einem speziellen E-Learning: »Sie reflektieren ihre eigenen stereotypen Wahrnehmungen und mögliche Auswirkungen auf ihr Verhalten und ihre Entscheidungen. Dadurch wird ein vorurteilsfreies und diversitäts-sensitives Arbeitsumfeld gefördert und auch der Umgang mit Mandanten und Kunden verbessert«, so Schroeter. Es sei ein entscheidender Faktor, dass das Thema Diversity auch mit einem Kulturwandel innerhalb des Unternehmens einhergehen muss. Neben einer Sensibilisierung für das Thema ist in der gesamten Organisation eine Bereitschaft zur Veränderung zu schaffen. »Dies muss sich über alle Hierarchiestufen hinweg, top-down, von der Partnerebene bis hin zum Berufseinsteiger vollstrecken.« Schroeter ist sich bewusst, dass das Thema Diversity nicht von heute auf morgen zum Leben erweckt werden kann und dass, trotz aller Förderprogramme, sicherlich einige Zeit vergehen wird, bis sich sichtbare Erfolge einstellen.
Gerade von Seiten der Politik wünscht sich daher Thorsten Ashoff, Head of Human Resources bei Hogan Lovells International LLP, Unterstützung bei der Sensibilisierung für das Thema. In der Sozietät gehören Schulungen beispielsweise zum Thema unconscious Bias obligatorisch für alle Partner dazu. »Dadurch, dass wir das Thema Diversity immer aktuell halten, wird es in den Köpfen der Entscheider und aller Mitarbeiter fest verankert«, fügt der 45-Jährige hinzu. Schließlich ist es Ziel von Hogan Lovells, »ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich jeder unabhängig von seinem persönlichen Hintergrund und seiner Erfahrung, Rasse, ethnischer Herkunft, Religion, Geschlecht, Alter, sexuellen Orientierung oder Behinderung optimal entfalten kann«, betont Ashoff.
Gender Diversity: Charta der Vielfalt
Darüber hinaus möchte die Sozietät non-lineare Lebensläufe stärker berücksichtigen, also positiv auf die Leistung eines Kandidaten schauen, unabhängig von Abweichungen vom üblichen Karriereweg. Diese Ziele sind nur zu erreichen, wenn Gleichberechtigung unter den Mitarbeiter selbstverständlich ist und Diskriminierung abgelehnt wird. Initiativen wie ›Women@HL‹ sind ein erster Schritt in Richtung heterogene Mitarbeiterschaft, von der sich auch Hogan Lovells eine bessere Leistung erhofft – schließlich ist die Mandantschaft der Sozietät ebenso heterogen. Die Initiative hat sich zum Ziel gesetzt Anwältinnen zu fördern und sie auf dem Weg in die Partnerschaft gezielt zu begleiten. Scheinbar mit Erfolg: immer mehr Frauen arbeiten für die Kanzlei, auch in höheren Karrierestufen, zum Beispiel als Partnerin oder Counsel.
Dass Diversity mittlerweile ein solch großes Thema wurde, kann per se schon als Erfolg gefeiert werden. »Keine Firma kann sich mehr erlauben, das Thema Diversity zu ignorieren«, ist Dr. Katlen Blöcker, Partnerin bei Hogan Lovells International LLP und Sponsoring Partner für Diversity, überzeugt. Mittlerweile gibt es auch Messen, die sich Diversity groß auf die Fahnen geschrieben haben, so wie die Sticks&Stones in Berlin. Diese Messen zählen nicht nur viele Interessenten und Unternehmen, die sich explizit der Vielfalt in ihrer Mitarbeiterschaft verschrieben haben, sondern zeigen auch, dass sich etwas bewegt. Allein die Tatsache, dass Firmen öffentlich Ja zu Diversity sagen und sich dafür einsetzen, dass nicht nur der Gedanke weitergetragen, sondern auch Taten diesbezüglich umgesetzt werden, beweist, dass sich das Rad mit jedem neuen Ja-Sager schneller in eine neue Firmenkultur dreht.
Als ein gutes Messorgan zeigt sich hier die ›Charta der Vielfalt‹, die immer mehr Unternehmen unterschreiben. Diese wurde 2006 von BP Europe SE, Daimler, Deutsche Bank und Deutsche Telekom nach ihrem französischen Vorbild ›Charte de la diversité‹ initiiert, mit dem Hintergrund, für einen produktiven Umgang mit der Vielfalt in ihren Organisationen einzutreten und für vorurteilsfreie Arbeitsumfelder zu stehen. Dabei stand der ganzheitliche Ansatz im Fokus, indem jede Form von sichtbarer und unsichtbarer Vielfalt Berücksichtigung fand.
Diversity: "Alle Akteure müssen gemeinsame Sache machen"
Am 21. März 2007 fiel der Startschuss der Charta-Initiative in Deutschland. Weitere 32 Unternehmen und öffentliche Einrichtungen waren beigetreten und bis heute haben 1.850 Unternehmen die Charta unterzeichnet. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist seit Anbeginn dabei – mit einem festen Ziel: »Eine Zielsetzung unseres Engagement ist es, noch mehr Unternehmen für Diversity Management zu sensibilisieren und eigene Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Dazu dient unter anderem der Austausch von Beispielen guter Praxis, die wir auch im eigenen Haus personalpolitisch umsetzen«, sagt Alexander Böhne, Personalexperte bei der BDA. Er erklärt, das von den vielen Unterzeichnern aus der Wirtschaft die Mehrheit kleine und mittlere Unternehmen sind und somit Diversity sowie Diversity Management auf einem soliden Fundament stehen. »Über die letzten Jahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Weg zu mehr Vielfalt eine Chance darstellt, die die damit verbundenen Herausforderungen überwiegt. Es ist ein erster, aber ein wichtiger Schritt«, führt Böhne aus.
Diversity sollte Standard sein
Avantgarde-Themen stellen Diversity und Diversity Management für ihn nicht mehr dar, vor allem, da sich nicht nur ein paar DAX-Unternehmen diesem Thema verschrieben haben, sondern es tatsächlich durch die Reihen aller Firmengrößen geht. Für ihn sind Vielfalt, die Diskussion darüber und deren tägliche Herausforderungen Mainstream im allerbesten Sinne – wenngleich auch ihm wie Schroeter von Allen & Overy klar ist, dass Diversity nicht top-down verordnet werden kann: »Alle Akteure, das Management, die Belegschaft und deren Vertreter, müssen gemeinsam von der Sinnhaftigkeit von Vielfalt überzeugt sein und sich an dem hierzu notwendigen fortwährenden Prozess beteiligen. Insofern geht es auch um buttom-up.« Hierfür bedürfe es einer offenen Haltung der Arbeitgeber und der Beschäftigten, die gegenseitigen Respekt, Akzeptanz, Offenheit und Freundlichkeit ausdrückt, so Böhne weiter.
Aber auch die Politik ist in die Pflicht zu nehmen. So solle auch die Politik anerkennen, dass ein Großteil der Unternehmen sehr wohl um den Nutzen von Vielfalt weiß. Dies sei auch ein Grund dafür, dass die Beschäftigung Älterer sich in Deutschland besser entwickelt habe als in den meisten anderen Ländern in Europa: »Außerdem arbeiten immer mehr Frauen und haben Führungspositionen inne. In diesem Sinne sind weitere Berichtspflichten, verbindliche Verfahren, Quoten oder anonymisierte Bewerbungen kontraproduktiv: Vielfalt kann nicht verordnet werden.«