
Frau Bartolucci, wofür setzt sich Pro Asyl ein?
Wir streiten für den Flüchtlingsschutz und für die Menschenrechte. Flucht hat viele Gründe: Bürgerkrieg in Syrien, Militärdienst in Eritrea oder Angst vor den Taliban in Afghanistan. Wir setzen uns für den Zugang zum Recht auf Asyl in Europa und Deutschland ein. Wir fordern faire Verfahren, in denen die Betroffenen ihre Rechte wahrnehmen können. Und wir stellen uns gegen rassistische Stimmungsmache.
Warum ist die Unterstützung von Flüchtlingen gerade in der heutigen Zeit besonders wichtig?
Weltweit sind etwa 68 Millionen Menschen auf der Suche nach Schutz. Sie sind oft Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. In Libyen harren Schutzsuchende in Lagern aus, im Mittelmeer ertrinken Menschen, an der EU-Außengrenze werden sie oft unter menschenunwürdigen Zuständen festgesetzt. Auch in Deutschland werden die Rechte Geflüchteter immer weiter eingeschränkt. Im öffentlichen Diskurs werden Flüchtlinge häufig kriminalisiert und als Gefahr für Wohlstand und Stabilität der Gesellschaft bezeichnet.
Wie helfen Sie diesen Menschen?
Wir recherchieren und dokumentieren Menschenrechtsverletzungen. Die Tatbestände reichen von willkürlichen Inhaftierungen über schwere Gewalttaten bis hin zu illegalen Zurückweisungen. Darüber klären wir die Öffentlichkeit auf – durch Pressearbeit, Publikationen und Kampagnen. Unsere Recherchen sind auch wichtig für Gerichtsentscheidungen. Schon oft ging es bis zum Bundesverfassungsgericht, zum Europäischen Gerichtshof oder zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Egal ob wir durch Berichte oder individuelle Unterstützung helfen, für uns zählt jeder Einzelfall. Deshalb steht unser Beratungsteam Schutzsuchenden bei rechtlichen und sozialen Fragen zur Seite. Dadurch sehen wir auch, wo die Probleme in der Praxis liegen. Und mit all diesen Erkenntnissen wenden wir uns direkt an die Politik, etwa bei asylpolitischen Gesetzgebungsverfahren oder fachpolitischen Diskussionen.
Es handelt sich sicher um viele unterschiedliche Probleme, mit denen Schutzsuchende zu Pro Asyl kommen.
Eine irakische Frau erhält eine Ablehnung, ein syrischer Vater möchte seinen kleinen Sohn aus Griechenland holen. Die Fälle aus der Beratung spiegeln die politischen Entwicklungen oft unmittelbar wider: Gesenkte Anerkennungsquoten, Restriktionen beim Familiennachzug oder drohende Abschiebungen. Den politischen Schwenk, weg von der Willkommenskultur hin zur Flüchtlingsabwehr, spüren die Kollegen in der Beratung täglich.
Wie hilft Pro Asyl den Flüchtlingen?
Telefonisch oder per Mail beantworten unsere Berater viele Fragen aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung ad hoc oder nach einschlägiger Recherche. Vor Ort sind es oft engagierte Ehrenamtliche oder Beratungsstellen, die die Maßnahmen mit den Betroffenen und teils mit rechtsanwaltlicher Unterstützung angehen. In manchen Fällen ergibt sich auf diese Weise eine längerfristige beratende Begleitung, in manchen Fällen zeigt sich dringender politischer Interventionsbedarf. Auch hier bin ich als Juristin involviert.
Welche Rolle übernehmen Sie als Juristin bei Pro Asyl?
Ich bin primär für rechtspolitische Einschätzungen zuständig. So wurde ich beispielsweise zuletzt zu einem neuen Gesetzentwurf im Bundestag als Sachverständige angehört. Mein Maßstab sind die menschen- und flüchtlingsrechtlichen Errungenschaften. Leider geht es aber derzeit eher darum, die roten Linien aufzuzeigen, als tatsächlich progressiv Recht zu gestalten. Was jedoch viel Spaß macht: Wenn wir mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen, Rechtsanwälten sowie Wissenschaftlern zusammenarbeiten und neue Argumente entwickeln. Gleiches gilt für spannende Debatten mit Politikern.
Was spornt Sie dabei besonders an?
Das, was es gleichzeitig so schwer macht: Hinter jedem politischen Streit stehen dramatische Einzelfälle: Ein menschliches Schicksal oder eine ganze Familie, für die es um alles geht. Erhält jemand nicht den ihm zustehenden Schutz, bedeutet das Gefahren, die wir aus Deutschland gar nicht alle überblicken können. Besonders drastisch sind etwa Abschiebungen nach Afghanistan, wo Menschen in ein Kriegs- und Krisengebiet zurück geschickt werden, um politische Härte zu zeigen.
Wie sind Sie auf das Asylrecht und die Rechtspolitik aufmerksam geworden?
Im Referendariat wollte ich möglichst unterschiedliche Erfahrungen sammeln. Deshalb arbeitete ich unter anderem bei einem Asylrechtsanwalt, der eine enorme Leidenschaft für sein Fachgebiet hat. Sich so für etwas einzusetzen, hat mich begeistert. Diese Überzeugung für eine Sache kann auf viele Bereiche zutreffen, bei mir wurde es Pro Asyl. Letztlich hat mich die Kombination aus Juristerei, Öffentlichkeitsarbeit und der Teilnahme am gesellschaftspolitischen Diskurs begeistert.
Was war Ihr größter Erfolgsmoment mit Pro Asyl?
Das ist in der aktuellen Zeit eine sehr interessante Frage. Wir haben ja oftmals gerade das vor Augen, was nicht läuft. Was mich tatsächlich nochmal in meiner eigenen Arbeit motiviert, ist das Engagement so vieler toller Menschen, die sich auch nach Rückschlägen weiter für die Sache einsetzen.
Wie können sich Interessierte bei Pro Asyl engagieren?
Indem sie sich informieren und diese Informationen verbreiten. Hinzu kommen Kampagnen und Petitionen, zum Beispiel die aktuelle Kampagne #NichtMeineLager gegen die Inhaftierung und Festsetzung von Schutzsuchenden. Wer unterzeichnet, setzt ein klares Statement. Und natürlich gibt es die Möglichkeit der Mitgliedschaft und Spenden, damit wir uns weiterhin für Menschenrechte stark machen können.
Welche Möglichkeiten gibt es für Jura-Studierende im Speziellen?
In den letzten Jahren haben sich an vielen Universitäten Refugee Law Clinics gebildet. Es ist toll, was es hier für ein Engagement gibt. Studierende erhalten zunächst eine spezielle Ausbildung. Fortgeschrittene Mitglieder wenden diese Kenntnisse dann praktisch an, etwa bei einer Mandatsbetreuung. Aber auch außerhalb dieser Law Clinics lohnt es sich, sich für Menschenrechte einzusetzen – auf jegliche Art und Weise.
Was ist Ihre Vision für die Zukunft?
Trotz aller negativen Nachrichten: Allein im Oktober dieses Jahres sind in Berlin unter dem Motto #unteilbar – Solidarität statt Ausgrenzung! knapp eine Viertel Million Menschen auf die Straße gegangen. Das ist doch ein wunderbares Zeichen, dass wir nach wie vor für unsere Grundwerte einstehen können. Mein Wunsch ist es, dass wir auf unsere menschenrechtlichen Errungenschaft aufbauen und daraus weitere Fortschritte entwickeln. Hieran lässt sich doch anknüpfen!