Herr Prof. Dr. Kaschke, wie kann ich als Absolvent in einem Weltkonzern wie Zeiss Karriere machen?
Sie sollten die Karriere vor allem nicht zu sehr vorausplanen. Vieles entscheidet auch der Zufall. Wesentlich für den persönlichen Erfolg ist Neugierde und die Fähigkeit, sich auf neue Aufgaben einzulassen. Sie sollten Mitgestalten wollen. Dann ergeben sich auch Karrieremöglichkeiten und dann heißt es zugreifen. Wer gutes Rüstzeug aus der Hochschule mitbringt, kann bei Zeiss viel umsetzen.
Nun wird die Ausbildung an Hochschulen immer spezieller. Die Absolventen immer jünger. Was halten Sie von dieser Entwicklung?
Ich bin selbst Dozent an einer Universität und kein Freund der zu frühen Hyperspezialisierung. Ich finde es wichtiger, dass sich Studenten in vielen Interessensbereichen ausprobieren. Gerade für Ingenieure gibt es jede Menge Möglichkeiten. Ich halte auch nicht viel von einem Studium im Schnellzug, um mit 24 Jahren fertig zu sein. Ich selbst bin auch erst mit 35 Jahren von der akademisch-universitären Welt in die Industrie gewechselt. Es hat mir nicht geschadet.
Aber fordern Arbeitgeber nicht gerade junge Absolventen?
Das beobachte ich auch und sehe darin potentielle Gefahren. Ich plädiere daher an die Industrie, auch unorthodoxe Karrierewege zuzulassen. Das haben wir uns jedenfalls für unsere Nachwuchsarbeit bei Zeiss auf die Fahnen geschrieben. Ich schaue bei Bewerbungen zum Beispiel auch gezielt nach Lebensläufen, bei denen viel ausprobiert worden ist, vielleicht auch mal was schief ging, aber Ambitionen und Engagement zu erkennen sind.
Wie wichtig sind Ihnen dann überhaupt Abschlussnoten?
Natürlich schaue ich auch auf Noten. Das ist klar. Wichtiger ist mir, im Gespräch zu sehen, ob ein Bewerber nachweislich hart und konsequent arbeiten kann. Ob er eine Sache zu Ende gebracht hat und ob er auch unter Druck etwas schaffen kann. Nur so lassen sich auch gemeinsam Ziele erreichen.
Welche Ziele hatten Sie, als Sie bei Zeiss begonnen haben?
Ich bin damals von IBM zu Zeiss gewechselt, um in der zentralen Forschungsabteilung das Labor zu leiten. Dieser Bereich hat mich einfach fasziniert, zumal Zeiss äußerst gut mit der akademischen Wissenschaft und Forschung vernetzt war und auch heute noch ist. Und so war dann mein großes Ziel, vielleicht auch mal Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung zu werden. Ein Traum als Physiker. Dass ich dann Bereichsleiter, General Manager und später Vorstand wurde, stand nicht auf meiner Agenda.
Wann war für Sie klar, dass Sie bei Zeiss bleiben?
Das hat sich langsam entwickelt. Gerade nach der Wiedervereinigung und auch nach dem Jahrtausendwechsel hat das Unternehmen eine sehr spannende Entwicklung durchgemacht. Daran wollte ich teilhaben und mitgestalten. Und dann kam diese intensive Wechselwirkung zwischen unternehmerischer Tätigkeit und der Wissenschaft hinzu, das ist bis heute eher eine Seltenheit in den meisten Unternehmen. Da war für mich klar, dass ich bleiben will. Zudem konnte ich mich weiterqualifizieren, habe noch eine betriebswirtschaftliche Ausbildung gemacht, um als Fachwissenschaftler für Laserphysik auch die wirtschaftliche Seite besser verstehen zu können. Das empfehle ich auch den Absolventen: Rein ins Unternehmen und dann weiter qualifizieren.
Sie sind also Physiker, Manager und Hochschullehrer. Was sind Sie am Ende des Tages lieber?
Kann ich gar nicht sagen, alle Aufgaben haben ihren Reiz. Die Anforderungen sind ganz unterschiedlich. Es gibt Momente, da finde ich es toll, an einem neuen Patent zu arbeiten. Dann sind es wieder die großen Gestaltungsmöglichkeiten als Manager. Da kann ich die Menschen mitnehmen und viel bewegen. Ich bin froh, dass ich alle diese Seiten einbringen kann. Das fördern wir auch im Unternehmen. Wir erwarten, dass unsere Nachwuchskräfte auf verschiedenen Klaviaturen spielen. Die Vielfalt macht es reizvoll.
Was bedeutet diese Vielfalt für die Struktur Ihrer Arbeitszeit?
Es bedeutet erstmal, dass kein Tag ist wie der andere. Das ist eine gute Nachricht für Absolventen, die sich vor einem allzu starren Korsett fürchten. 30 Prozent meiner Arbeitszeit verbringe ich in Mitarbeitergesprächen. Da geht es um Abstimmungen, Arbeitsergebnisse und Qualitätssicherung. Weitere 30 Prozent verbringe ich in Meetings mit Kunden, dazu zähle ich auch die zahlreichen Reisen, um unsere Kontakte zu pflegen und Zeiss weiter zu vernetzen. Das gleiche Zeitvolumen stecke ich in die Kommunikation mit allen Führungskräften. Natürlich beschäftige ich mich auch mit Zukunftsfragen und Strategieangelegenheiten, das findet aber nicht jeden Tag statt.
Stichwort Zukunft: Worauf muss sich ein Absolvent bei Zeiss einstellen?
Jeder Absolvent muss sich schon darauf einstellen, ein bisschen ins kalte Wasser geworfen zu werden. Ich halte nicht viel von Schonfristen. Absolventen werden sofort als gleichwertige Mitarbeiter voll integriert. Dafür haben wir auch gute Entwicklungsprogramme erarbeitet. Ich sehe auch selten ein Motivationsproblem. Aber gerade in großen Unternehmen gibt es aufgrund eingespielter Prozesse oft eine gewisse Trägheit. Deshalb wünsche ich mir von Einsteigern: Bewahrt eure Frische und Neugierde aus der Studienzeit. Stellt auch im Job immer alles in Frage. Wir brauchen genau diesen Antrieb für Veränderungen.
Prof. Dr. Michael Kaschke ist seit 2011 Vorstandsvorsitzender von Zeiss. 2009 ist Michael Kaschke zum Honorarprofessor an der Fakultät für Elektronik und Informatik des Karlsruher Instituts für Technologie ernannt worden. 2014 wurde er zudem in den Deutschen Wissenschaftsrat berufen.