Mensagespräch mit Dr. Anette Weisbecker

Digitalisierung der Arbeitswelt: Die Stellvertretende Institut­s-leiterin des Fraunhofer IAO Prof. Dr. Anette Weisbecker berichtet aus dem Forscheralltag am Puls der Zeit

Stellvertretende Institut­s-leiterin des Fraunhofer IAO Prof. Dr. Anette Weisbecker Foto: privat

Frau Prof. Dr. Weisbecker, Sie sind nach Ihrem Studium direkt in die freie Wirtschaft gestartet. Was hat Sie damals zurück in die Forschung gebracht und wie sind Sie beim IAO gelandet?

Ich wollte einerseits einfach gerne mit neuen Technologien arbeiten. Andererseits wollte ich aber auch sehen, wie diese direkt im Unternehmen eingesetzt werden können, sprich, den Anwendungsbezug herstellen – beides ist bei meinem jetzigen Arbeitgeber möglich. Also entschied ich mich, ans Fraunhofer IAO zu gehen.

Einen Schwerpunkt setzt das IAO auf die Erforschung der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf die Arbeitsgestaltung. Was wird durch die Produktionsarbeit 4.0 anders?

Was sich durch den Einsatz von Informationstechnik auf jeden Fall verändern wird, ist die Arbeitsorganisation und der Arbeitsplatz selbst. Wir haben am Institut ein Future Work Lab, an dem wir zeigen, wie solche Veränderungen aussehen können.

Können Sie mir ein Beispiel nennen?

Für die Arbeitsorganisation haben wir die Software Kapa-flexCy entwickelt, die es Unternehmen erlaubt, ihre Produktionskapazitäten per App unter direkter Beteiligung der Mitarbeiter hochflexibel, kurzfristig und unternehmensübergreifend zu steuern. Was die Arbeitsplätze betrifft, erforschen wir etwa, wie das Licht am Arbeitsplatz in Abhängigkeit von der dort arbeitenden Person und der durchzuführenden Aufgabenstellung gesteuert werden kann. So kann die Ergonomie des Arbeitsplatzes besser unterstützt werden.

Wie können sich unsere Leser die Arbeit im Forschungslabor Industrie 4.0 vorstellen?

Im Future Work Lab gibt es drei Bereiche. Zum einen ein Demonstrationszentrum, in welchem wir Unternehmen aufzeigen, wie sich Arbeitsplätze etwa durch den Einsatz von Robotern oder Augmented Reality verändern können. Der zweite Bereich ist die Kompetenzentwicklung. Dort bieten wir Schulungen an, um digitale Kompetenzen bei Mitarbeitern aufzubauen. Und im dritten Bereich wird Arbeitsorganisation in diesem Umfeld erforscht.

Wie sieht eine solche Forschungsarbeit konkret aus?

Ein Beispiel wäre der Lichtarbeitsplatz. Wir haben untersucht, wie Unternehmen die Beleuchtung in ihrer Fertigung verbessern können und so zu einem besseren Wohlbefinden und einer optimalen Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter beitragen. Unser Prototyp eines Produktionsarbeitsplatzes ermöglicht es, Lichtfarbe, Lichtrichtung und Lichtverteilung je nach Tageszeit, Aufgabenstellung und Person individuell einzustellen.

Die Mensch-Technik-Interaktion ist ein großes Thema in der Digitalisierung. Ein Claim des IAO ist ›Der Mensch steht im Mittelpunkt‹. Was steckt hinter dieser Aussage?

Die Idee ist es, zu erforschen, wie der Mensch bei seiner täglichen Arbeit durch Technik unterstützt werden kann. Wie kann Technik so gestaltet sein, dass der Mensch sie auch wirklich gut nutzen kann? Beispielsweise sollen Benutzungsschnittstellen intuitiv bedienbar gemacht werden. In der Mensch-Technik-Organisation gehen wir immer von dem Menschen aus: Welche Aufgaben muss er erfüllen? Welche Fähigkeiten hat er und wie kann er dabei entsprechend durch Technik unterstützt werden? Wie muss die Organisation aufgebaut sein, damit der Mensch seine Aufgaben gut erfüllen kann?

Wie sieht in Ihren Augen eine gelungene Mensch-Roboter-Kollaboration aus?

Dabei müssen verschiedene Kriterien beachtet werden: Zum einen natürlich die Arbeitsteilung – wer macht was. Denn jeder hat seine Fähigkeiten: Der Mensch kann kreative Aufgaben besonders gut, der Roboter eignet sich etwa insbesondere für Routinetätigkeiten. Hier gilt es, die entsprechende Aufteilung zu finden, damit der Roboter den Menschen optimal unterstützt. Wichtig sind zudem Sicherheitsaspekte: Der Trend geht aktuell zum kollaborativen Arbeiten, dass heißt, der Roboter arbeitet nicht hinter einem abgetrennten Gitter, sondern Mensch und Roboter arbeiten gemeinsam. Dabei soll der Roboter den Menschen beispielsweise nicht verletzen, wenn dieser aus Versehen in den Roboterarm greift.

Ein spezifisches Forschungsprojekt zum Thema Mensch-Roboter-Kollaboration am IAO ist Rokoko. Worum geht es hier genau?

Rokoko will erforschen, wie solche kollaborativen Arbeitsplätze in der Montage geplant werden müssen. Die Zielstellung ist, relativ flexibel in der Montage zu sein und verschiedene Losgrößen montieren zu können. Dabei müssen die Arbeitsplätze unterschiedlich gestaltet werden. Wir versuchen, hierfür Vorgehensweisen für die Planung der Arbeitsorganisation in solchen kollaborativen Montageumgebungen zu entwickeln. Letztlich ist das Ziel, einen Leitfaden für Unternehmen zu erstellen, die eine solche Montageumgebung bei sich installieren wollen. Dabei spielen Arbeitsorganisation, Qualifizierung und die Wirtschaftlichkeit eine Rolle.

Ein spannender Ansatz. Eine weitere Facette der Digitalforschung ist das Digital Engineering Lab. 

Genau. Hier wird das Produkt und seine Produktion erlebbar gemacht, bevor sie real existieren. Schwerpunkt der Arbeiten im DE-Lab ist die durchgängig digitale Prozesskette von der Idee für ein neues Produkt bis hin zur Planung dessen Fertigung und Montage.  Auch in die Produktion spielt es hinein: Das Produkt kann mittels 3D-Drucker einfach ausgedruckt werden.

Ist die Digitalisierung die Zukunft des Engineering?

Auf jeden Fall: Der Einsatz von Technologie, um den Prozess vollständig zu digitalisieren, spielt künftig eine enorme Rolle.

Was müssen Ingenieure der Zukunft mitbringen? 

Ingenieure benötigen künftig neben IT-Know-how interdisziplinäres Denken und Handeln.

Zur Person: Prof. Dr. Anette Weisbecker startete in der freien Wirtschaft ins Berufsleben. Schließlich brachte sie ihr Forschergeist ans Fraunhofer- Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. In der Mensa aß sie während ihres IT-Studiums an der TU Darmstadt am liebsten Spaghetti mit Tomatensoße. 


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