Foto: Chris Karidis/Unsplash

Theo in Prag: Nach Paris

Theo verbringt sein Erasmussemester in Prag. Ein Erfahrungsbericht. Diesmal: Freunde in Europa.

Amsterdam, Nottingham, Uppsala – das Schöne am Erasmus-Programm ist ja, dass man nicht der einzige ist, der ein Semester lang im Ausland studiert. Genau jetzt sind viele meiner Freunde in ganz Europa verstreut. Das ist gut, gut vor allem für mich, denn mir bieten sich damit einmalige Reisemöglichkeiten. Von Anfang an wollte ich jedoch vor allem in eine Stadt: Paris. In Paris studiert derzeit Eva, meine längste Unifreundin. Und mit lang meine ich so lang wie nur irgend möglich: Vor über fünf Jahren hatten wir uns auf den Stufen der Münchner LMU kennen gelernt, als wir beide in der Schlange zur Immatrikulation anstanden. Wir verbrachten die Studienjahre in München zusammen, landeten zum Master in Berlin und beschlossen nun gleichzeitig, für ein Semester ins Ausland zu gehen. Ich erinnere mich noch gut an eine laue Sommernacht wenige Wochen vor unserer Ausreise. Mit einer dritten Freundin, die derzeit in Nottingham erasmusiert, saßen wir am Landwehrkanal in Kreuzberg und schmiedeten, neben uns einige halbleere Bierflaschen vom Späti um die Ecke, Pläne für Paris. Die Flüge waren schnell gebucht, alles stand bereit.

Dann kam die Nacht des 13. Novembers. Als wir in Prag von den Attentaten erfuhren und die Bilder des Terrors langsam die Runde machten, saß der Schock wirklich tief. Jeder hing stundenlang vor den Bildschirmen, auf der Suche nach Neuigkeiten jeglicher Art. Vor allem an unsere Freunde vor Ort dachten wir, von Eva hatte ich bis in die Morgenstunden des nächsten Tages noch nichts gehört, erst gegen Mittag kam endlich die erlösende Nachricht über Facebook, dass ihr nichts geschehen war. Sofort brach unter den Erasmus-Studierenden eine riesige Welle der Solidaritätsbekundungen aus. Wir wandten uns an all die französischen Freunde, die wir in den letzten Monaten neu dazugewonnen hatten und wollten wissen, ob es ihren Freunden, ihrer Familie gut geht. Natürlich kann man in einer solchen Situation nur schwerlich die richtigen Fragen stellen, geschweige denn Antworten geben. Doch allein das Fragen selbst, die bloße Erkundigung wurde mit großer Dankbarkeit aufgenommen. Erasmus hat nicht nur hier in Prag, sondern in ganz Europa neue Bande des Mitgefühls geknüpft, das war in diesen Tagen deutlich spürbar. Mir stellte sich nun die Frage, was das für die Reise nach Paris bedeutete. Sollte ich alles absagen, die Flüge canceln? Das kam nicht in Frage. Wir flogen, nicht trotzdem, sondern eben drum.

Doch was wollte ich von Paris? Gleich nach meiner Ankunft sagte ich zu Eva, dass ich auf keinen Fall zum Louvre und bloß nicht zu Eifelturm möchte. Die touristische Perspektive auf eine Stadt war mir schon immer verhasst. Mich interessierte etwas anderes: Wie lebt es sich hier als Student? Was wäre anders gewesen, wenn ich mich nicht für Prag, sondern für Paris entschieden hätte? Um darauf eine Antwort zu finden, hatte ich Eva. Schon vor einigen Jahren lebte sie hier für mehrere Monate, weshalb wir eine genauso ortskundige wie trinkfeste Führerin an unserer Seite hatten. Zwei Eigenschaften übrigens, die großartig harmonieren.

Am ersten Tag hatte ich mich dreimal verliebt. Wie aufregend es war, einfach nur durch die Gassen zu laufen, durch die Fenster in die verschiedenen Läden zu blicken. Allerlei Antiquariate tauchten immer mal hinter einer Ecke auf, die Böden so voll mit gelblichen Einbänden gestellt, dass die Besitzer offensichtlich weniger am Geschäft, als an ihren Büchern interessiert waren. In einem Laden lag eine Wendeltreppe, einfach so. Das alles war mir auf Anhieb sympathisch. Was gab es sonst zu tun? Zum Gedenken an den großen Literaturtheoretiker Roland Barthes kippten wir Wein auf die Straße, auf der er vor über 30 Jahren von einem Transporter überfahren wurde. Im Keller der École Normale Supérieure, einer der besten Hochschulen Frankreichs, trank ich mit einem Studenten auf die Deutsch-Französische Freundschaft. Überhaupt wurden jeden Abend viele Flaschen Wein geleert, so lange, bis unsere Lippen dunkelrot leuchteten. Und es wurde gespeist, mon dieu!

Buttercroissants, Baisers, Macarons, Käse, Schinken, Entenbrust unter Foie Gras Sauce… Gérard Depardieu nennt sich selbst einen bon vivant, einen Lebemann. Dass er gerade aus Frankreich stammt, ist wenig überraschend; kulinarisch sind die Franzosen tatsächlich so verrückt wie ihr Ruf.

Im Nachhinein hörte ich eine Frage immer wieder: Hatten die Anschläge Spuren in Paris hinterlassen? Ich selbst kann das nur schwer beantworten, Eva allerdings meinte, dass sich durchaus einiges verändert hatte. Die Stadt war nervöser, unruhiger und in den Bahnhöfen waren weniger Menschen als zuvor unterwegs. Ab und an, auf dem Weg zum Bäcker etwa, sah ich Soldaten mit Maschinengewehren in kleinen Grüppchen durch die Straßen patrouillieren. Doch so wie ich Paris in diesen Tagen kennengelernt habe, schießen Terroristen hier mit Spatzen auf Kanonen. Völlig lächerlich erscheinen einige Sprengstoffgürtel gegen das fest verwurzelte Kulturaufgebot der Franzosen. Charlie Hebdo hatte recht: Scheiß auf die, wir haben Champagner!


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