Richard Lemke ist Kommunikationswissenschaftler am Institut für Publizistik an der Uni Mainz. Foto: Johanna Möller

Liebe & Kommunikation 4.0

Im Interview erklärt Richard Lemke, wie sich unser Beziehungs­leben durch die neuen Kommuni­kationsmöglichkeiten verändert hat

Herr Lemke, wie kommunizieren Paare heute im Vergleich zu vor 20 Jahren?

Empirische Aussagen über die Unterschiede in Häufigkeit und Umfang der Paarkommunikation können wir nicht treffen, da keine Vergleichsdaten von früher vorliegen – sie wurden damals gar nicht erhoben. Das muss ich ganz klar voranstellen. Dennoch ist es plausibel, dass sich die Kommunikation  im Zuge der Digitalisierung mehr über den Tag verteilt hat. Ich schicke heute mal zwischendurch eine Nachricht zu Aspekten, wegen derer ich vor zwanzig Jahren nicht eben kurz zum Telefonhörer gegriffen hätte.

Können Sie ein Beispiel nennen?

›Ich denke gerade an dich.‹ Oder auch etwas ganz Banales: ›Du, vor mir an der Kasse steht eine Frau, die sieht genauso aus wie deine Schwester.‹ Ganz typische Inhalte solcher subtilen Kurznachrichten, die durch die modernen Möglichkeiten viel häufiger geworden sind, basieren auf gemeinsam geteiltem Wissen. Das kann durchaus positiv sein. Es gibt aber auch Paare, die darüber klagen, dass der andere das Handy nutzt, wenn sie gemeinsam Zeit verbringen. Diese beiden Aspekte zeigen Fluch und Segen dieser Kommunikation sehr gut.

Wie verändert sich die Art der Kommunikation?

Sie wird flüchtiger. Dinge, die mir einfallen, kann ich ohne große Anrede und Umschweife schnell meinem Partner schreiben. Daneben lädt die digitale Kommunikation auch zu sexuellen Spielereien ein, die im telefonischen Gespräch so nicht vorkämen – oder die Hürde größer wäre.

Woran liegt das?

In der schriftlichen Kommunikation sind wir enthemmter als am Telefon oder erst recht im persönlichen Gespräch. Das hat viel mit Blickkontakt zu tun, der häufig etwas sehr Prüfendes hat. Schriftlich kann ich Dinge anders formulieren, genauer überlegen und keiner merkt mir mein Nervositätslevel an. Am Telefon könnte dagegen plötzlich meine Stimme zittern. Die geschriebene Nachricht lädt einfach eher dazu ein, Häppchen erotischer Gedanken zu formulieren. Zum Beispiel: ›Ich kann mich in der Vorlesung gerade gar nicht konzentrieren, weil ich dauernd an gestern Abend denken muss.‹ Das hat etwas sehr Verbindendes. Diese Art der Kommunikation hat es vorher nicht gegeben. Natürlich nutzen das nicht alle Paare, das ist Typsache.   

Verbessern flüchtige Nachrichten die Qualität der Beziehung?

Auch das ist typabhängig. Für viele sind sie im Alltag extrem stabilisierend: die Gewissheit, dass der andere an mich denkt. Für unsichere Bindungstypen bietet die flüchtige Kommunikation aber auch riesiges Sprengstoffpotenzial. Denn Menschen, die ohnehin zu Unsicherheiten hinsichtlich der Stabilität ihrer Beziehung neigen, projizieren diese auch in die digitale Kommunikation hinein: ›Der hat meine Nachricht schon seit über drei Stunden gelesen und antwortet mir nicht.‹ Es entstehen massive Kränkungsszenarien anhand winziger Hinweisreize. Das kann für eine Beziehung einen Stressor darstellen, der nicht durch die Kommunikationsform entsteht, aber sich in ihr äußert.

Wie lautet denn der Königsweg in Sachen Paarkommunikation?

Den gibt es nicht. Aber wenn ich merke, dass mir etwas nicht bekommt, sollte ich es lassen. Jede Person, jeder Bindungstyp, muss für sich ein guttuendes Kommunikationslevel in der Partnerschaft finden – und sich dabei von empfundenen Verpflichtungen, wie einem täglichen Telefonat in der Fernbeziehung, unter Umständen verabschieden.

Kommunikation ist heute auf vielen Wegen möglich. Welche Apps werden am meisten genutzt?

Messenger-Dienste wie Whatsapp sind in Partnerschaften mit Abstand das wichtigste Kommunikationsmittel. Bei Paaren, die sich gerne erotisierende Bilder schicken, spielt auch Snapchat eine Rolle. Hier zählt das Gefühl, dass die Daten nicht auf Dauer auf Handy-Festplatten verewigt sind. Daneben werden Audionachrichten unglaublich viel genutzt. Sie nehmen einen Zwischenstatus ein: Der Empfänger kann die Stimme des anderen hören und doch den Zeitpunkt dafür frei wählen. Sprachnachrichten scheinen nicht nur praktisch zu sein, sondern auch eine besondere Erlebensqualität zu liefern.

Dennoch birgt die oft flüchtige digitale Kommunikation auch Risiken.

Genau. Zum Beispiel, dass Menschen ihre Grundkonflikte wie Eifersucht in fehlende Hinweisreize hineinprojizieren. So bietet die bloße Antwort ›Ok‹ viel Raum für Spekulationen und Missverständnisse.

Wäre ein Tipp, ausführlicher zu antworten? 

Nein, der Tipp ist: An dem Punkt, an dem ich unsicher werde, die Kommunikationsform zu wechseln. Und etwa im Telefonat die missverständliche Nachricht anzusprechen.
Schauen wir uns nun den Beginn einer Beziehung an, Stichwort Onlinedating. Welche Plattformen werden hier am meisten genutzt? Es gibt auch dazu ganz wenige objektive Daten, da die meisten von Datingunternehmen selbst gewonnen werden. Es lässt sich jedoch vermuten, dass in den letzten Jahren in der Altersgruppe der jüngeren Erwachsenen Tinder zum erfolgreichsten Datingportal wurde. Selbst Menschen, denen Onlinedating bis dato zu absurd war, haben durch den Tinder-Hype die App zumindest aus Neugier installiert.

Woran liegt das?

An der Einfachheit. Und am richtigen Zeitpunkt. Onlinedating hatte das Stigma der Verrückten und Übriggebliebenen verloren. Das interessante Feature des Hin- und Herwischens und die unkomplizierte Verknüpfung mit dem Facebook-Konto brachten ideale Bedingungen. Außerdem war Tinder anfangs motivfrei und ergebnisoffen – und nicht wie klassische Apps mit Sehnsucht wie ›Sich endlich verlieben‹ überfrachtet.

Wie sollte ich vorgehen, wenn ich einen Onlinedating-Partner näher kennenlernen möchte?

Hierfür gibt es eine ganz einfache Regel: So früh wie möglich real treffen. Das liegt wieder an den fehlenden Hinweisreizen. Auch wenn ich mir Bilder des Datingpartners ansehen kann, verbleiben Lücken wie die Stimme und der Geruch des anderen. Wir tendieren dazu, diese schwarzen Flecken unbewusst aufzufüllen – und dann von der realen Person enttäuscht zu sein. Je kürzer also die Online-Zeit vor dem ersten Treffen, desto positiver der Eindruck und der Erfolg des Ganzen.


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