Zero Waste: Es geht auch ohne

Aline produziert keinen Müll. Dabei ist sie alles andere als eine nervige Ökotussi. Wer sie kennenlernt, will plötzlich nur noch eins: ihrem Vorbild folgen

Aline Pronnet im ›Ohne‹. Foto: audimax MEDIEN GmbH

Eine belebte Straße im Universitätsviertel von München. Cafés und Restaurants, viele werben mit einer To-Go-Option. Pappbecher, Strohhalme, Einwegbesteck. Irgendwo zwischen Tengelmann und Netto Marken-Discount betritt Aline Pronnet den ›Ohne‹, einen verpackungsfreien Supermarkt. Er ist ihr Stammladen ums Eck. Routiniert nimmt die 27-Jährige ein Schraubglas und eine altmodische Glasflasche aus ihrer großen, biologisch abbaubaren Korkhandtasche und stellt beides nacheinander auf die Waage neben dem Eingang. Mit einem wasserlöslichen Stift notiert die junge Frau das Gewicht ihrer mitgebrachten Gefäße. »Das wird an der Kasse abgezogen«, erklärt sie beiläufig. »So bezahlen wir Käufer wirklich nur das Produkt an sich.«

Besuch im Unverpackt-Laden

Ruhig und zielstrebig steuert Aline eine der zahlreichen Röhren an, die mit Lebensmitteln wie Nudeln, Reis, Kichererbsen, Kaffee und Nüssen gefüllt sind. Der Raum ist hell und freundlich, die Einrichtung klar und schlicht. Im Hintergrund läuft Jack Johnson. Dieser Supermarkt ist ein Ort der Entschleunigung. Als Aline in die Hocke geht, liegt ihr schlichtes, dunkelblaues Second-Hand-Kleid auf dem Boden auf. Ihre Füße mit den rot lackierten Nägeln, die in angesagten Birkenstock-Schlappen stecken, verschwinden darunter. Bedächtig drückt Aline den Hebel hinunter. Ins Schraubglas purzeln Kürbiskerne, mit einer Schoko-Minze-Masse überzogen. »Heute brauch ich gar nicht viel«, sagt die gebürtige Münchnerin. Sie will nichts verschwenden und kauft nur, was sie tatsächlich verwerten kann. Lieber geht sie jeden Tag einkaufen und nimmt nur das Nötigste mit. Es sei ganz einfach, sie wohne nur ein paar Straßen weiter.  

Leben nach dem Zero Waste-Prinzip

2010 hat Aline in kleinen Schritten mit der Plastikvermeidung angefangen. Nach dem Zero-Waste-Prinzip zu leben, bedeutet: Sie versucht, Rest- und Plastikmüll komplett zu vermeiden und Papiermüll so gering wie möglich zu halten. Biomüll kommt auf den Kompost. Der verpackungsfreie Supermarkt hilft ihr dabei, diesen Lebenswandel vom immer schon ›Low-Waster‹ zum ›Zero-Waster‹ konsequent durchzuziehen. Der Laden eröffnete, als sie ins Viertel zog. Aline ist Stammkundin seit dem ersten Tag. Schicksal. Oder Bestimmung.

Nachhaltiges, bewusstes Handeln gehört für sie seit ihrer Kindheit dazu. Aline und ihr jüngerer Bruder wuchsen zweisprachig auf. Ihre Mutter stammt aus der Nähe von Paris, ihr Vater ist gebürtiger Münchner. Die Familie legt Wert auf gemeinsame Abendessen an einem Tisch, ohne Fernsehen im Hintergrund, ohne Fanta und Cola. Sie ernähren sich überwiegend vegetarisch, Fleisch gibt es selten. Seit sie denken kann, trennen ihre Eltern Müll, haargenau. Den fahren sie dann auf den Wertstoffhof in Fürstenfeldbruck, wo es um mehr geht als Bio, Papier, Glas, Gelber Sack und Restmüll. Hier wandert sogar die leere Duschgelflasche in ein anderes Fach als Frischhaltefolie und die wiederum in ein anderes als Styropor. »Das muss doch auch einfacher gehen«, dachte sich Aline. Als sie dann auch noch zufällig eine beeindruckende Doku über den Zero-Waste-Lebensstil im Fernsehen sah, beschloss sie, Müll einfach gar nicht mehr zu produzieren. Das tut der Umwelt gut. Denn das vermeintlich nachhaltige Recycling ist meist ein Downcycling. Der Prozess verschwendet Ressourcen, schadet der Umwelt und übrig bleibt ein Produkt, das fast nichts mehr wert ist.

Do it yourself    

Aline schraubt das Glas mit den Kürbiskernen zu. Als nächstes braucht sie ein bisschen Wodka. Sie will Minzlikör daraus machen. Die Pflanze wächst wie verrückt auf ihrem Balkon. Auch Tomaten, Radieschen, Mangold und Karotten gedeihen dort gut. Eine erfolgreiche Hobbygärtnerin. Wenn sie erzählt, ist ihr offener, lächelnder Blick nahezu ununterbrochen auf ihren Gesprächspartner gerichtet. Ihren Zero Waste-Blog ›Auf die Hand‹ bestückt sie regelmäßig mit Tipps zum müllfreien Leben. Doch damit nicht genug: Auch für Vorträge über Müllvermeidung, etwa an Schulen, ist Aline zu haben. Ein gutgelauntes Energiebündel.

Mission: Nachhaltigkeit

Der Bio Lion’s Wodka fließt in Alines altmodische Glasflasche, die sie vor dem Einkaufen nochmal schnell ausgewaschen hat. Die eher kleine, schlanke Frau muss sich etwas strecken, um an den Hebel zu kommen. Dann ist Schluss. Suchend schaut sie im Laden umher. Ganz entspannt, mit aufrechter Haltung. »Entschuldigung, könntest du mir bitte ganz kurz helfen?«, sagt sie freundlich, als sie die Verkäuferin erblickt. Die eilt zur Hilfe und kippt das Fass leicht nach vorne. Der Wodkarest im großen Verkaufsgefäß reicht, um Alines Flasche zu füllen. Bevor sie zur Kasse geht, schnappt sich Aline noch eine Gurke und legt die Ware an den Counter. »Ein interessanter Einkauf«, scherzt die Verkäuferin. Beide lachen und plaudern ein bisschen. Es ist spürbar, dass sich die beiden gut kennen und verstehen. Sie verbindet dieselbe Mission.

Zero Waste: Bitte ohne Tüte und Serviette

Eine Mission, die in Alines Welt längst weite Kreise zieht. »In der Bäckerei kennen sie mich schon. Da landet die Butterbreze direkt in meiner Brotdose«, sagt sie. »Und wenn ich in einem mir neuen Laden einkaufe, grinse ich gleich breit und sage: Ich hätte gerne eine Breze und zwar ohne Tüte und Serviette.« Wenn sie dann auch noch erklärt, warum, finden das die Verkäufer immer gut. Sie ist optimistisch, dass bald immer mehr Menschen ein Bewusstsein für die Umwelt entwickeln werden.

Leben ohne Müll

Die 27-Jährige führt eine persönliche, stille Revolution. Es passt nicht zu Aline, andere ständig zu belehren und ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen. Und auch ihr passiert ab und an mal ein ›Zero Waste Fail‹. Zum Beispiel, wenn sie sich etwas am Foodtruck kauft und ihre Box wegen der kleinen Ausgeh-Tasche zuhause gelassen hat. Dennoch überwiegen die Erfolge. Die Münchnerin wirkt ein bisschen stolz, aber keinesfalls überheblich, als sie von einem Beispiel erzählt: Den Angestellten in der Kantine bei Alines Arbeit fiel auf, dass sie die meisten angebotenen Produkte ablehnt. Seit einem Gespräch über die Gründe verzichtet die Kantine darauf, alles in Plastik zu verpacken und benutzt lieber wiederverwendbares Geschirr. Das schont nicht nur die Umwelt, sondern spart dem Unternehmen auch noch Geld und Arbeit.    

Aline packt Kürbiskerne, Wodka und Gurke ein. Den Jutebeutel, den sie neben Flasche, Metallstrohhalm und Besteck immer dabeihat, braucht sie heute gar nicht. Sie verstaut die Einkäufe direkt in ihrer großen Handtasche: Schlicht. Aus Kork. Kompostierbar. So fühlt es sich an, mit seinem Gewissen im Reinen zu leben. Eigentlich ganz einfach.  


Anzeige

Anzeige