audimax-Redakteurin Evelyn stellte sich bei ihrem Besuch im Schlachthof die Frage: Kann ich danach noch Fleisch essen? Foto: audimax

Ein Vormittag im Schlachthof

Wer Fleisch isst, sollte auch schlachten können. Oder zumindest einmal dabei gewesen sein. Unsere Redakteurin Evelyn hat deshalb ein paar Stunden im Schlachthof verbracht.

 

Ich esse Fleisch. Das Tier, von dem es stammt, sehe ich dabei nicht. Aber ich habe stets die Hoffnung, dass es in seinem Tiersein ein hoffentlich artgerechtes Leben hatte. An dem Punkt, an dem das Schnitzel auf meinem Teller liegt, möchte ich ausschließlich mit der Frage ›Kartoffelsalat oder Pommes‹ konfrontiert sein, aber nicht mit dem Prozess, wie das Fleisch auf meinen Teller kam. Wie es soweit kommen konnte. Dabei ist dieses Verhalten alles andere als konsequent.

Fleischessen = Verdrängung?

Diskussionen über Fleischverzehr gab es in den vergangenen Monaten genügend. Ob pathetisch oder sachlich, ob zwischen Hardcore-Veganer und Billigfleisch-Käufer: Ich konnte manche Argumente nachvollziehen, über manche habe ich gelacht und andere haben mich nachdenklich gestimmt. Letztlich war ich aber schon immer der Meinung, dass es der Konsequenz letzter Schluss wäre, dass jeder, der Fleisch isst, auch das Tier schlachten könne. Oder zumindest einmal zugeschaut haben sollte, wenn aus einem Schwein zwei Hälften werden.

Eine E-Mail und ein Telefonat waren ausreichend und haben mir die Tore der Schlachthof-Betriebs-GmbH Fürth geöffnet. An einem Donnerstag finde ich mich um 7.30 im Büro ein und treffe auf drei weitere Frauen - zwei Damen aus der Buchhaltung der Schlachterei und der Tochter einer der Geschäftsführerinnen. Wir hüllen uns in einen Plastikmantel und setzen eine Haube auf. Wie sich später herausstellen wird, eine durchaus gute Idee. Konrad Ammon, einer der drei Geschäftsführer, öffnet die Tür zum Schlachthof.

Die ersten Schritte ins Schlachthaus

Es riecht nach Blut, Schweinen und kaltem Fleisch. Ein Geruch, der mir ein wenig den Atem nimmt und mich an meiner Mission zweifeln lässt. Aber dafür ist es zu spät. Gemeinsam gehen wir zum Startpunkt der Schlachtung. Zu den Schweinen. Auf dem Weg dorthin passieren wir Schweinehälften an Haken. Die Überzieher an den Schuhen leisten ganze Arbeit, denn der Fliesenboden ist voller Blut. Nicht nur Spritzer, sondern in großen Pfützen.

Blut ist hier überall. Unsere Plastikumhänge weisen bereits Spritzer auf – ebenso wie die Haut eines Schweins, das zusammen mit drei anderen in einer Box steht. Das ist der Moment, in dem ich es bereue, hier zu sein. Die Schweine tun mir Leid. Ob sie wissen, dass dies ihre letzte Station ist? Sie quieken nicht, sie wirken auch nicht nervös. Aber was weiß ich schon – ich bin schließlich keine Tierpsychologin.

Bevor ich weiter nachdenken kann, wird ein Schwein mittels Elektroschock betäubt und kopfüber an einen Haken gehängt. An diesem Punkt steigen mir die Tränen in die Augen. Aber warum? Was habe ich erwartet? Einen Schlachter, der das Tier nochmals in den Arm nimmt, bevor er es betäubt? Ich bin nicht naiv. Aber auch nicht herzlos.

Schneller Tod und lückenlose Abläufe

Konrad Ammon lenkt mich von meinen Gefühlen ab: Die Stromdauer als auch die -stärke werden dokumentiert, erklärt er. Da der Fürther Schlachthof im Gegensatz zu den Großschlachtereien klein sei, laufen hier die Schlachtungen noch human ab. Außerdem steigere eine schonende Behandlung die Qualität des Fleisches. Da sich das Einzuggebiet auf einen Umkreis von 40 Kilometer beschränkt, bringen viele Bauern ihre Tiere noch persönlich vorbei und nehmen sie dann zur Weiterverarbeitung wieder mit. Jeder bekommt das Tier zurück, das er zum Schlachthof gefahren hat. Stempel und eine numerische Zuordnung garantieren für einen lückenlosen Ablauf. Jedes Tier hat einen Tierpass, in dem steht, wo es geboren, aufgezogen und geschlachtet wird. Der Pass muss mit den Ohrmarken übereinstimmen. Hat das Tier keine Papiere, wird es trotzdem geschlachtet und danach beschlagnahmt. Kein Tier verlässt den Schlachthof lebend.

Ein Blick zu dem betäubten Schwein, das kopfüber an dem Haken hängt, bestätigt mir dies. Ein schneller Schnitt und die Hauptschlagader ist offen. Zwischen der Betäubung und dem Schnitt dürfen nur 20 Sekunden vergehen. Der Tod tritt durch Blutenzug ein. Fünf bis sieben Liter strömen auf den Boden und finden später Verwendung als Kunstdünger. In den drei bis vier Minuten, in denen das Schwein ausblutet, trifft die anderen das gleiche Schicksal.

Es geht immer weiter. Schlachten ist Fließbandarbeit. Jeder Schnitt, jeder Schritt sitzt. Rund zwölf Metzger und Meister arbeiten an unterschiedlichen Stationen und erledigen ihre Aufgaben. Blutleer kommen die Schweine ins Wasser und direkt danach rollen sie sprichwörtlich durchs Feuer. Ohne Borsten hängen sie wieder am Haken. Es geht alles sehr schnell und an einem Haken vor mir hängt plötzlich ein rotes Gebilde. Dieses stellt sich als zusammenhängendes Paket aus Zunge, Luft- und Speiseröhre sowie inneren Organen heraus. Eine Station weiter werden die Gedärme entfernt. Ekel und Neugierde geben sich an diesem Punkt die Hand und zerren an meinem Gewissen. Geht das nicht zu weit? Muss ich mir das wirklich antun? Meiner Meinung nach kann die Antwort nicht anders als ›Ja‹ lauten. Also schaue ich hin und höre Herrn Ammon zu, der erklärt, dass die Innereien des Schweins denen des Menschen am ähnlichsten sind, dass der Dünndarm bis zu 15 Meter lang werden kann und der Darmschleim, die Schicht um den Dünndarm, an die Kosmetik- und Arzneimittelindustrie geht.

Der weitere Weg der Schweinereste

Dass in der Kosmetikindustrie tierische Produkte verwendet werden, das wusste ich, aber die Arzneimittelbranche hatte ich bislang ausgeblendet. Und wieder bin ich zwiegspalten: Ich bewundere die Veganer, die solche Dinge bestimmt wissen und viel Recherchearbeit auf sich nehmen, um selbst die besten Verstecke von tierischen Substanzen ausfindig zu machen. Andererseits denke ich mir: »Ist doch wunderbar – Verwertung all inclusive.« Apropos Veganismus und Vegetariertum. Der Fleischverbrauch geht doch sicherlich stetig zurück? Herr Ammon verneint. Es werde immer mehr. Wurden vor ein paar Jahren noch 25.000 Schweine in Fürth jährlich geschlachtet worden, sind es jetzt bereits 45.000. Rund 80 Borstentiere sind es hier pro Stunde.

80-Mal in der Stunde zerteilt die Bandsäge die Körper. Es wirkt wie ein Reissverschluss, der geöffnet wird. Was vor ein paar Sekunden noch paarweise vorhanden war, trennt sich nun von seiner anderen Hälfte. Ein Hinterbein, ein Vorderbein, ein Ohr, ein Auge.

Drei amtliche Fleischkontrolleure und ein Tierarzt kontrollieren jedes Tier. Sind die Organe gesund? Hatte das Tier Parasiten? Stimmen die Papiere mit den Ohrmarken überein? Bei der kleinsten Ungereimtheit und dem leisesten Verdacht auf Krankheiten wird das Tier beschlagnahmt und untersucht. In 80 Prozent dieser Fälle kommt es dabei zur Entsorgung des ganzen Tieres. Ist alles rechtens und gesund, gibt’s einen Stempel auf die Haut und eine Fahrt ins Kühlhaus. Das einzige Licht fällt durch die Tür und taucht den Raum in einen diffusen Schimmer, in dem die aneinandergereihten Hälften unwirklich aussehen. Zehn Meter liegen zwischen dem Schwein am Anfang und seinen Hälften im Kühlhaus.

An diesem Punkt ist es wahrlich Zeit für eine Pause. Herr Ammon führt uns wieder ins Büro. Es gibt Kaffee. Und Gebäck. Kaffee, gerne. Essen? Nein danke, gerade nicht.

Was bleibt

Ob es schlimm gewesen sei, möchte Herr Ammon wissen. Ja, es war schlimm. Für mich war es grausam, ein Lebewesen sterben zu sehen. Das Blut zu sehen, das gefühlt überall klebt und ständig den Schlachthausgeruch in der Nase zu haben, da er sich in meiner Kleidung und in meinen Haaren festgesetzt hat. Andererseits wurden aus den zehn Metern, die mit Sterben begannen, zum Ende hin ein Prozess, der aus dem Tier ein Produkt gemacht hat. Letztlich stehe ich hier in der Konsequenz, nach der ich verlangt habe. Darauf ausruhen möchte ich mich nicht – ebensowenig wie ich den moralischen Zeigefinger erheben werde. Ich bin um viele Erfahrungen und einiges Wissen reicher, aber ich weiß, solange ich mich nicht in einer Ernährungsnotlage befinde, werde ich auch kein Tier töten können. Dieses Erlebnis macht mich nicht zum Vegetarier. Aber zu einem noch aufmerksameren Fleischesser.

 


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