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Läuft! Informatiker in der Automobilbranche

Ohne Informatiker geht bei unseren Autos gar nichts mehr - aus diesem Grund bieten sich für dich spannende Karrierechancen

Die Vergangenheit eignet sich ja immer hervorragend für Vergleiche, die denjenigen, die zu dieser Zeit noch nicht waren, ein erstaunt-ungläubiges ›Echt jetzt?!‹ entlocken – und dem Erzähler dabei entweder das Gefühl einer unheimlichen Lebensweisheit oder eines ebensolchen Lebensalters geben.

Wer kann sich schließlich noch daran erinnern, als die einzige Klimaanlage im Auto das Fenster war – das mittels einer Kurbel geöffnet werden konnte. Telefonieren war damals zwar möglich, aber nur, wenn auf der Strecke zufällig eine Telefonzelle stand. Ein Navi gab es zwar auch schon, allerdings trug es nicht nur den Namen ›Mama‹, sondern auch zu angespannten Situationen bei. Jawohl – seinerzeit sorgte noch Frau Mama für das passende Infotainment. Und wenn das Auto mal liegenblieb, hat oft ein Blick unter die Motorhaube gereicht und ein paar Handgriffe später konnte die Fahrt weitergehen.

Von der Mechanik zur Informatik

Heute ist das ein wenig anders: Heute lotst uns das GPS-Navi durch die Städte, das Lenkrad ist nicht nur zum Lenken da, sondern auch Werkzeug, um mittels eingebauter Technologie Nachrichten zu verschicken oder noch schnell den Liebsten anzurufen, um nachzufragen, was das Abendessen so hergibt. Allerdings braucht heute ein streikendes Auto aber auch weniger einen Fachmann mit Mechanik-Kenntnissen als einen, der sich mit Software auskennt – denn die meisten Autos, die heute ohne jegliche Software unterwegs sind, nennen sich gemeinhin ›Oldtimer‹.

Gut, das mag ein wenig überzogen sein, aber es ist nun mal tatsächlich so, dass der Anteil der Informatiker in der Automobilbranche kontinuierlich zunimmt. Die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Stuttgart bietet für diesen Bedarf den spezialisierten Studiengang ›IT Automotive‹, der den Studierenden entsprechend der Anforderungen der Fahrzeughersteller und deren Zulieferfirmen ausgerichtet ist: »Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Entwicklung von Steuerungs- und Überwachungssystemen und der Aufbau und Einsatz von Fahrerassistenz- und Fahrerinformationssystemen«, erklärt Professor Dirk Reichardt, Prorektor und Dekan der Fakultät Technik an der DHBW Stuttgart und führt weiter aus, dass hier unter anderem umfassende Kenntnisse in der Mikrokontroller- und Sensortechnik sowie der Weitergabe der Daten über lokale Bussysteme notwendig seien.

Von der Notwendigkeit der Interdisziplinarität

Wenn auch der Großteil des Studiengangs überwiegend Grundlagen der Informatik und Informationstechnik enthält, vermittelt er jedoch auch ein allgemeines Systemverständnis des Fahrzeugs, weshalb im Modul ›Systemverständnis Fahrzeug‹ Kenntnisse aus dem Bereich des Maschinenbaus und der Elektrotechnik vermittelt werden: »Uns ist es wichtig, dass die Studierenden wissen, wie ein Fahrzeug funktioniert und ein Gesamtverständnis bekommen«, sagt Reichardt. Dabei spielen auch alternative Antriebe eine Rolle – schließlich sind sie die Zukunft und bringen neue Mobilitätskonzepte mit sich, wie der 47-Jährige weiter beschreibt. Hier sei es allerdings wichtig, aus dem Verständnis heraus weiterführende Konzepte für die mit diesen verbundenen IT-Systeme zu entwickeln. Als Stichworte sind hier Connected Car oder das Autonome Fahren zu nennen.

Dieses Wissen können die Studierenden der DHBW Stuttgart in den Praxisphasen sogleich einsetzen, welche sie im Verlauf ihres dualen Studiums regelmäßig bei den Partnerunternehmen absolvieren. Nach Abschluss geht es für den größten Teil bei ihrem dualen Partner weiter. Manche setzen im Anschluss oder nach ein paar Jahren berufsbegleitend den Master drauf – beispielsweise ›Fahrzeugtechnik‹, den mittlerweile in den flexiblen Master Maschinenbau integrierten Studiengang ›Automotive Systems Engineering‹.

Doch auch wer als Informatiker fernab von einem dualen Studium in der Automobilbranche Fuß fassen möchte, hat die besten Chancen. Stefan Kowalewski, Informatik-Professor an der RWTH Aachen, Leiter des Lehrstuhls ›Informatik 11 – Embedded Software‹ und Sprecher der Gesellschaft für Informatik (GI)-Fachgruppe ›Automotive Software Engineering‹, geht sogar noch weiter: »Die Möglichkeiten waren noch nie besser.« Er erklärt, dass sowohl Fahrzeughersteller als auch Zulieferer einen enormen Fachkräftebedarf in den Bereichen Software-Entwicklung, Algorithmen-Entwurf und Qualitätssicherung haben.

Vom Maschinenbauer zum Software-Unternehmen

Er spricht von einem Paradigmenwechsel, bei dem sich traditionell maschinenbau- und elektrotechnisch ausgerichtete Unternehmen zu Software-Herstellern entwickeln. Dies ginge nur mit Informatikern, die über den Funktionsentwurf hinaus auch moderne Entwicklungsprozesse, Architekturen für komplexe Software und Qualitätssicherungsmethoden beherrschen: »Von daher kann man festhalten, dass die Automobilbranche heute ohne Informatiker gar nicht mehr vorstellbar wäre,« fasst Kowalewski zusammen. Die Informatik für die Automobilindustrie wird weiter zunehmen und mit jeder neuen Fahrzeuggeneration werden neue Fahrerassistenzsysteme eingeführt, die das Autofahren komfortabler, sicherer und effizienter machen. »Autos werden immer mehr mit dem Internet, der Verkehrs-Infrastruktur und untereinander vernetzt. Nicht zuletzt wird in vielen Unternehmen mit Hochdruck daran gearbeitet, das Fahren zu automatisieren«, erklärt der Professor und geht weiter darauf ein, dass damit zusätzliche Informatikmethoden aus dem Bereich Machine Learning oder Big Data ins Auto kommen, die wiederum neue Software- und Systemarchitekturen brauchen, um die Komplexität dieser Funktionen zu beherrschen.

Die größte Herausforderung, die Kowalewski dabei sieht, ist das interdisziplinäre Umfeld. Denn ein Auto funktioniert nur, wenn Fachleute aus vielen Disziplinen wie Motoren-, Elektro- und Regelungstechnik, Fahrdynamik und Akustik erfolgreich zusammenarbeiten. Mittlerweile sei es die Software, die die verschiedenen Disziplinen integriert, weshalb Informatiker kompetent mit anderen Ingenieuren kommunizieren und sich behaupten können müssen: »Kein Informatiker muss deshalb ein Maschinenbau- oder Elektrotechnik-Studium nachholen, aber mit den grundlegenden Begriffen und Konzepten der relevanten Disziplinen sollte man sich beispielsweise durch Fachbücher oder in Weiterbildungsmaßnahmen vertraut machen«, so der Lehrstuhlleiter weiter.

Von der Wichtigkeit der Aktualität

Aktualität im Bereich der Automotive-IT ist mitunter eines der wichtigsten Themen. Denn schnell war sie schon immer, diese Informatik. Neben der Gesellschaft für Informatik, die hier vielfältige Weiterbildungsmöglichkeiten und Workshops anbietet, versorgt auch die DHBW Stuttgart ihre Studierenden stets mit aktuellem Wissen. Dabei spielt nicht nur die wissenschaftliche Vernetzung der Professoren eine Rolle, sondern auch die enge Zusammenarbeit mit der Industrie: »Das gibt uns die Möglichkeit, einen großen Teil der Vorlesungen von nebenberuflichen Dozenten halten zu lassen, welche das aktuelle Wissen aus der Unternehmenspraxis einbringen«, erläutert Professor Reichardt.

Somit kann alles im Fluss bleiben und das Auto wird sich immer weiter von dem eingangs erwähnten Bild entfernen. Es ist abzuwarten, ob in 20 Jahren die Aussage »Als ich damals noch selber Auto gefahren bin ...« ein »Echt jetzt?!« zur Antwort hat. 


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