Schon im zweiten Jahr in Folge sank die Zufriedenheit deutscher Bankkunden. Eine gemeinsame Studie von Capgemini und der Efma, der 12. World Retail Banking Report, zeigte auf, dass besonders die Kunden der Generation Y zunehmend dazu bereit sind, ihre Hausbank zu wechseln – die Prognose des Berichts: weniger als 50 Prozent der Generation-Y-Kunden blieben in den nächsten sechs Monaten bei ihrer Hausbank. Ein Szenario, bei dem Banker vermutlich ins Schwitzen geraten.
Einer der wichtigsten Gründe für den Kundenunmut ist das enttäuschende Kundenerlebnis – es hapert bei der Passgenauigkeit von Bankprozessen auf den jeweiligen Kunden. Auch die Ausgestaltung des Onlineangebots einer Bank kann darauf einwirken, ob sich ein Kunde zum Wechsel entscheidet oder nicht. Das ist in der Versicherungsbranche kaum anders – Webangebote als Schnittstelle zum Kunden gewinnen zunehmend an Bedeutung. Die Digitalisierung verlagert das Geschäft mit Geld und Sicherheit stetig ein wenig mehr in die Welt aus Nullen und Einsen – eine große Herausforderung für die IT, aber auch ein Zugewinn an neuem Reichtum – denn auch die Dichte und Qualität der Nutzerdaten vermehrt sich beständig.
»Für die Banken stellt sich nun die Frage: Was darf ich als Bank eigentlich aus den Daten schöpfen? Denn der vorhandene Datenschatz kann einen großen Wettbewerbsvorteil einer Bank darstellen. Die Bankenbranche nutzt es aber noch nicht so, wie sie das eigentlich könnte – das nötige technische Verständnis zur Umsetzung wird noch aufgebaut, Stichwort Big Data«, erklärt Prof. Dr. Björn Häckel, Professor für Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Augsburg.
Wie bedeutend Daten auch für die Versicherungsbranche sind und warum eine gute IT neben den Mitarbeitern das Rückgrat der Branche bildet, betont Michael Gold, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands der Versicherungsunternehmen in Deutschland (AGV):
»Unser gesamtes Geschäftsmodell beruht auf dem Erheben, Aufbereiten und Auswerten von Daten. Genau aus diesem Grund gehören Versicherungsunternehmen auch zu den ersten Unternehmen, die konsequent auf elektronische Datenverarbeitung gesetzt haben. Ohne eine gute IT kann kein Versicherer mehr vernünftig und effizient arbeiten.«
Rund ein Drittel aller Nachrichten erhalten Versicherer bereits auf digitalem Weg per E-Mail oder über das Kundenportal und auch Beratung und Verkauf finden zunehmend im Zusammenspiel von virtueller und realer Welt statt. Die zahlreichen Statistiken zu verarbeiten, Millionen von Kundenverträgen zu verwalten oder risikoadäquate Versicherungstarife zu berechnen – längst nicht mehr möglich ohne den Stützpfeiler IT. Auf diese Entwicklung gilt es nun zu reagieren: »Versicherungsunternehmen haben im vergangenen Jahr 4,25 Milliarden Euro für ihre IT ausgegeben – und damit die Ausgaben im Vergleich zum Vorjahr um fast sechs Prozent gesteigert«, verrät Gold.
Es ist vor allem dem Wesen des Geschäfts zuzuschreiben, weshalb die Hinwendung zum Digitalen die IT auch in Banken quasi zum ›Herr der Ringe‹ werden lässt – um Geldscheine und Goldbarren dreht es sich im Grunde im Bankwesen schon lange nicht mehr.
»Es ist nur logisch, dass die IT in der Bankenbranche eine sehr hohe Bedeutung besitzt, denn die Bank verarbeitet im Endeffekt nur Informationen und kaum mehr physische Produkte. Banken können im Prinzip als Softwarehaus bezeichnet werden«, erklärt Prof. Dr. Maximilian Röglinger, Professor für Wirtschaftsinformatik und werteorientiertes Prozessmanagement an der Universität Bayreuth.
Der Professor ist stellvertretender wissenschaftlicher Leiter des Kernkompetenzzentrums Finanz- und Informationsmanagement und der Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT). Das Thema Endkunde und Kundenkontakte sieht er im Zusammenhang mit der Digitalisierung in ein vollkommen neues Licht gerückt und prophezeit einen baldigen Paradigmenwechsel für die Branche. Währen die Banken-IT bisher vor allem bei der Abwicklung von Backoffice-Prozessen, Transaktionen oder der unternehmensinternen Steuerung und bei allen analytischen Fragestellungen gefragt war, kämen nun neue Aufgabengebiete auf sie zu:
»Schon seit Jahren kann man es beobachten: Aufgrund der neuen digitalen Technologien wie Social Media oder den mobile Apps sind Banken in Bezug auf die Nutzer gezwungen, neue Wege zu gehen – zum Beispiel mit Apps oder digitalen Services. Mit diesen Neuerungen werden komplett neue Anforderungen an die IT-Infrastruktur gestellt, man muss viel agiler werden. Auf der anderen Seite müssen die normalen Services natürlich auch laufen. Beide Bereiche müssen ineinandergreifen. Das nennt man bimodale IT und die ist schon in vollem Gange«, so Röglinger.
Der Wandel vom unterstützenden Element zum zentralen Instrument bringt es mit sich, dass die IT in Banken zum zentralen Wettbewerbsfaktor wird. Davon geht Prof. Dr. Björn Häckel aus, der stellvertretender wissenschaftlicher Leiter des Kernkompetenzzentrums Finanz- und Informationsmanagement ist und dort für den Bereich ›IT-gestütztes Finanzmanagement‹ zuständig ist. »Besonders im Zusammenhang mit der Fragestellung, in welchem Wettbewerbsumfeld eine Bank tätig ist und wie sie sich dafür aufstellen muss, um etwa gegen sogenannte FinTechs, finanztechnologische Unternehmen, und andere Wettbewerber wie PayPal oder Google zu bestehen, kommt der IT eine ganz entscheidende Rolle zu, um wettbewerbsfähig zu bleiben«, legt der studierte BWLer Häckel dar.
Einen der größten Trends für die künftige Banken-IT verortet Prof. Dr. Röglinger einerseits in der Entwicklung einer modularen und damit flexiblen Architektur, andererseits aber auch in der Wiederhinwendung zum Menschen. Während es lange Zeit das vornehmliche Ziel des Einsatzes von IT darstellte, den Menschen an möglichst vielen Punkten überflüssig zu machen, liege der Fokus nun darauf, sich wieder mehr darauf zu konzentrieren, Prozesse so umzugestalten, dass der Kunde die Nutzung als möglichst positiv empfindet – denn sonst drohe der Wechsel zur Konkurrenz. Der Mensch im Prozess gewinnt also demnach wieder zunehmend an Wertigkeit.
»Es wird weiterhin normale Filialen geben, klassisches Onlinebanking, aber auch Apps und andere Interaktionskanäle. Das heißt, man muss die Interaktion durchgängig machen. Die Gestaltung der Omnichannel-Architektur ist dabei eine große Herausforderung«, erläutert wiederum Häckel.
Die Trendwende erfordere zudem, dass man IT-Abteilungen künftig so aufstellen müsse, dass sie sowohl mit kundennahen Themen umgehen, als auch die klassischen IT-Elemente bedienen können – bimodal eben.
Der Wissenschaftler fordert daher einen neuen Typus des ITlers, mit neuen Fähigkeiten, um beide Welten zu verbinden. Weniger bloßes Reagieren und wieder mehr Einbringen neuer Ideen, müsse die Devise für die Zukunft der Banken-IT lauten. Und zwar in gemeinsamer Überlegung mit den Fachabteilungen.
Besonders gut für die Bankenbranche eignen sich Häckels Meinung nach Absolventen aus interdisziplinären Studiengängen, wie zum Beispiel Wirtschaftsinformatik. Dort lerne man bereits im Studium, vernetzt zu denken und beschäftige sich mit unterschiedlichen Facetten wie methodischem, analytischem, wirtschaftlichem und Kundenverständnis. Röglinger betrachtet letzteres als zentralen Punkt:
»Die Digitalisierung rückt den Endkundenfokus mehr in den Mittelpunkt. ITler müssen fortan immer auch die Schnittstelle zum Kunden sehen und verstehen«, so der Experte.
Wer sich für die Arbeit in der Versicherungsbranche interessiert, sollte breit aufgestellt sein – der Faktor Kundenverständnis spielt auch hier eine Rolle. Auf spezifisches Versicherungsfachwissen komme es nicht so sehr an – das ergebe sich nach dem Berufseinstieg fast wie von selbst, so Gold vom AGV. Vielmehr sei die IT ein wichtiger Faktor, um die Kommunikation zwischen Kunden, Kundenbetreuer und Versicherer zu unterstützen. Hierfür brauche man neben dem Fachwissen je nach Einsatzgebiet, wie zum Beispiel Sprachen von Web- bis hin zu hoch effizienten Großrechnern, ausgeprägte Problemlösungsstrategien, eine schnelle Auffassungsgabe und hervorragende analytische Fähigkeiten. Schließlich gelte es, »das Zusammenspiel von Digitalisierung, Virtualisierung, Prozessoptimierung und Komplexitätsreduzierung zu bewältigen«, so Gold.
Die Bandbreite der möglichen Fachgebiete für ITler in der Versicherungsbranche ist groß: Sie reicht vom Businessanalysten, der als Dolmetscher zwischen den einzelnen Fachgebieten, den Versicherungsspezialisten und der IT agiert, über Softwareentwickler und -architekten, Anwendungsentwickler bis hin zu den Testspezialisten in der Organisations- und Prozessentwicklung. Darüber hinaus gebe es noch die Fachbereiche Anwendersupport, die Systemspezialisten für Hardware, Software und Betriebssysteme sowie die Netzwerkspezialisten und das professionelle Betreiben und Steuern von Rechenzentren, ergänzt Gold.
Ähnlich breit wie im Versicherungswesen sind die Karrieremöglichkeiten für ITler in der Bankenbranche. Neben den klassischen Infrastrukturrollen wie Systemadministration und Netzwerkpflege kann man sich für die Bereiche Anwendungsentwicklung, Architektur oder Integration entscheiden. Sicher sei auch eine Karriere als Projekt- oder Projektportfoliomanager möglich, so Röglinger. Wichtig sei aber in jedem Fall, dass ITler sich mit anderen Fachabteilungen austauschen und sich Bankfachwissen aneignen. Professor Röglinger zufolge müssen sich die IT-Abteilungen in Banken künftig stärker auf die innovations- und businessorientierten Themen konzentrieren. In diesem Zusammenhang muss es dann auch jemanden geben, der sich um die Abstimmung mit der Fachabteilung kümmert. Deshalb der Rat des Professors: »Man sollte sich im IT-Studium nicht nur auf die technischen Themen konzentrieren.«
Das trockene und verstaubte Image, welches sowohl der Banken- als auch der Versicherungsbranche als Arbeitgeber zum Teil anhaftet, täuscht. Unter dem vermeintlichen Muff wartet ein Datenschatz, den es mit kreativen Köpfen zu heben gilt. Nebenbei – ganz schlecht bezahlt sind die Jobs in der Banken- und Versicherungs-IT auch nicht. Ein bisschen echtes Gold liegt also noch im Topf.