Stellen wir uns doch einmal vor, Lastwagen und Bagger wären auch nur Menschen. Wie also wäre so ein 16-Tonner als Mensch? Feingliedrig und filigran, mit federndem Gang, beinah: ein Tänzer? Ein überlegter Intellektueller? Wohl kaum. Viel eher wäre so ein Laster doch groß und grobschlächtig, ein Mordstrumm von Mensch vielleicht, der mit lauter Stimme seine Umgebung volldonnert. Sicher eine herzensgute Person also, wenn auch im Vergleich zu ihren kleineren Verwandten, den PKW, nicht sonderlich raffiniert. Stimmt’s? Stimmt nicht.
Nutzfahrzeuge: Masterstudium
»Nutzfahrzeuge sind viel interessanter als PKW«, sagt Martin Wittmer, und er sagt es nicht einfach aus einer Laune heraus. Wittmer ist Professor für Fahrzeugkonstruktion/Nutzfahrzeugtechnik an der HTW Dresden, Nutzfahrzeuge sind sein Beruf und seine Passion – von Kindesbeinen an: »Meine ersten Bilder waren Traktoren«, erzählt Wittmer lachend, doch mit frühkindlicher Prägung allein ist der Reiz der Nutzfahrzeugtechnik nur halb erklärt. »Es steckt eine Menge Technik in Nutzfahrzeugen«, sagt der Professor, »man kann sie nur nicht sehen«. LKW-Bremsen etwa seien »vollmechatronische Systeme«, viel ausgeklügelter als das, was üblicherweise in Autos verbaut wird.
Und mehr noch: »Was die Einbindung von Elektrotechnik und Informationstechnik betrifft, ist die Nutzfahrzeugtechnik der Automobilbranche weit voraus.« Das wiederum erzählt Peter Kosack, Akademischer Oberrat und Geschäftsführer der Graduate School CVT an der TU Kaiserslautern, die den Masterstudiengang »Commercial Vehicle Technology« anbietet. Kosack zufolge stünden Nutzfahrzeuge gewissermaßen im langen Schatten der Automobiltechnik. Jede große und nicht ganz so große technische Neuerung in Autos würde breit beworben und medial thematisiert, Laster hingegen existierten für die meisten allenfalls als Ärgernis auf Deutschlands Autobahnen. Dass in ihnen die anspruchsvollere Technik steckt, sei weithin unbekannt.
»Die Vielfalt der Nutzfahrzeuge – vom Großserienprodukt LKW bis hin zu Kleinstserien im Bereich komplexer Land- und Baumaschinentechnik – und die damit verbundenen spezifischen Anforderungen sind beeindruckend.«
Ralph Pütz, Professor an der HAW Landshut
In gewisser Hinsicht teilt der Master der TU Kaiserslautern das Schicksal seines Forschungs- und Ausbildungsgegenstands. Denn obwohl ›Commercial Vehicle Technology‹ in einer wohl einzigartigen Weise Informatik, Elektrotechnik, Maschinenbau und Sozialwissenschaften verknüpft, jährlich sich mehr als 450 Bewerber um die 30 Studienplätze balgen und es bis nach Indien und China einen hervorragenden Ruf genießt:
In Deutschland ist das internationale und interdisziplinäre Masterprogramm ziemlich unbekannt. »Man kommt nicht darum herum, drei verschiedene Denkweisen zu lernen«, gibt Kosack zu, »allerdings sind unsere Absolventen auch international gefragt.« 80 Prozent der Bewerber kommen aus Asien, berichtet Peter Kosack. Hierzulande seinen Bachelor gemacht hat hingegen nur ein Bruchteil der Interessenten.
Nutzfahrzeugtag an der HTW Dresden: Studierende begeistern
An der Technik selbst liegt das kaum. Wer einmal mit ihr in Berührung kommt, das lehrt die Erfahrung Martin Wittmers, lässt sich meist schnell begeistern. Seit vier Jahren veranstaltet die HTW Dresden auf Initiative Wittmers den Nutzfahrzeugtag, an dem die so wenig greifbare Technik vermittelt werden soll. »Wir stellen den Studierenden etwas in den Hof, an dem sie sich selbst versuchen dürfen«, berichtet der Dresdner Professor.
Das Konzept geht auf: Seit der Einführung des Nutzfahrzeugtags studieren deutlich mehr Jungingenieure Nutzfahrzeugtechnik als in den Jahren zuvor. Es seien einerseits Menschen, die wie er schon eine gewisse Begeisterung mitbrächten, sagt Wittmer, alle anderen lassen sich begeistern. Am Nutzfahrzeugtag oder beim Blick in das hochschuleigene Labor für Nutzfahrzeugtechnik. »Ein bisschen wie eine LKW-Werkstatt sieht das aus«, erzählt Wittmer. Mit seinem Bremsenprüfstand, Kränen und anderen Gerätschaften sei das ausbildungslastige Labor »eines der schönsten hier an der HTW«.
Automobil- und Nutzfahrzeugtechnik: Beliebte Studiengänge
Etwa ein Drittel aller Dresdner Fahrzeugtechnikstudierenden haben sich auf Nutzfahrzeugtechnik spezialisiert, sagt Wittmer. Studiert wird an der Elbe übrigens noch auf Diplom, ein Masterprogramm soll aber in absehbarer Zeit aufgelegt werden. Im niederbayerischen Landshut wiederum ist der Master Automobil- und Nutzfahrzeugtechnik bereits im vergangenen Sommersemester mit Erfolg angelaufen. Der konsekutive Studiengang an der HAW Landshut schließt an das etablierte Bachelorangebot an, seine Einführung, findet Professor Ralph Pütz, sei nicht nur wegen der großen Nachfrage der Studierenden »naheliegend« gewesen.
Pütz betreut an der HAW das Fachgebiet Nutzfahrzeugtechnik und Verbrennungsmotoren, er ist außerdem Leiter des An-Instituts für angewandte Nutzfahrzeugforschung BELICON, das sich mit Forschungen unter anderem über Emissionen von Linienbussen und Landmaschinen einen Namen gemacht hat. Der 52-Jährige ist überzeugt, dass es durchaus Sinn macht, sich schon im Studium auf Nutzfahrzeugtechnik zu spezialisieren – ein gewisses Interesse für das Fach und die Branche natürlich vorausgesetzt. »Die Nutzfahrzeugtechnik unterscheidet sich von automotiven Anwendungen signifikant«, betont Pütz.
Mehr als ein klassisches Maschinenbaustudium
Er ist sich sicher: »Insbesondere die höheren Lebensdaueranforderungen, das breite Spektrum und die damit vielfältigen, hochspezialisierten Arbeitsaufgaben bedingen eine völlig andere Entwicklungsrichtung.« Was die Studierenden in einem auf die Branche zugeschnittenen Studium über die Feinheiten der LKW-, Omnibus-, Land-, Forst- und Baumaschinentechnik lernten, würde anderswo nicht abgedeckt. Erst recht nicht von einem klassischen Maschinenbaustudium. In Landshut wurde deshalb der Masterstudiengang in enger Zusammenarbeit mit der Automobil- und Nutzfahrzeugindustrie konzipiert, das Ziel, sagt Ralph Pütz, sei es, »die Ausbildung der Absolventen mit der Erwartung der Industrie zu korrelieren«.
Aber was ist das eigentlich für eine Industrie, in der unsere Spezialisten in spe einmal unterkommen sollen? Eine »flexible, höchst innovative und als Arbeitgeber attraktive«, sagt Ralph Pütz aus Landshut. »Eine weltweite Wachstumsbranche«, findet der Kaiserslauterer Professor Peter Kosack. Und der Dresdner Nutzfahrzeugtechniker Martin Wittmer wiederum betont, wie vielfältig und damit auch uneindeutig die Nutzfahrzeugbranche sei. LKW würden in großen Fabriken von nicht weniger großen Konzernen gefertigt, bei Fahrzeugbauern, die laut Wittmer eigentlich besser »Fahrzeugaufbauer« heißen sollten, reiche die Spannbreite »vom Fünf-Mann-Betrieb bis zum großen Mittelständler mit 1.000 Mitarbeitern«.
Unternehmen wie Magirus, das LKW zu Feuerwehrfahrzeugen umrüste, gehörten ebenso zur ›Szene‹ wie Kleinstbetriebe, die Anhänger fertigen. Es sei eine »Szene, in der unsere Leute gut aufgenommen werden«, sagt Wittmer. Und eine, in der jeder Absolvent einen Arbeitgeber nach seinem Geschmack finden könne. »Man kann programmieren, konstruieren oder sich aufs Prozessmanagement verlegen«, verspricht Wittmer. »Und das beste: Es kann jeder lernen.«