Rund 600 Milliarden Kilowattstunden an Strom haben wir im vergangenen Jahr erzeugt. Klassisch, wie etwa durch (noch) Atom oder Kohle und regenerativ mit Hilfe von Sonne, Wind und Wasser. Eine stattliche Leistung. Mit einem immer größer werdenden Haken. Denn Strom zu erzeugen bedeutet noch lange nicht, dass er auch ›da‹ ist wo er gebraucht wird. Zur Stromnutzung gehört auch der Transport und die Verteilung. Und die wird zunehmend kniffelig, technisch anspruchsvoll und teuer. Denn die Zeiten, in denen der Strom wie auf einer einfachen Einbahnstraße vom Kraftwerk zum Verbraucher floss, sind passé: Die Netze müssen auch bei unterschiedlichsten Belastungen und Erzeugungssituationen zuverlässig funktionieren und die Energie intelligent verteilen. Dazu zählt – neben dem konventionellen Strom - unter anderem die Aufnahme und das Verteilen von Solarstrom aus über 1,5 Millionen Photovoltaikanlagen und 25.000 Windkraftanlagen sowie von Dutzenden von Hochleistungs-Offshore-Windanlagen im Norden Deutschlands. Sie ›zwingen‹ die Netze zur Entwicklung hin zu Smart Grids. Deren Intelligenz soll die unterschiedlichsten Aufnahme- und Verteilmengen steuern. Hinzu kommt, dass diese Weiterentwicklung der Netze bei weitem nicht ausreicht. Auch der Aus- und Neubau von Verteilanlagen und Netzinfrastrukturen ist grundlegend, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Fast schon zum ›Symbol‹ für die neuen Aufgaben ist SuedLink geworden, der Bau von Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Leitungen, mit dem Windstrom aus dem Norden im großen Stil in den Süden der Republik geleitet werden soll. Verantwortlich für die Planung ist unter anderem der Netzbetreiber TenneT, für den auch Paula Walther arbeitet. Die Ingenieurin ist technische Planerin im SuedLink-Projekt und damit – gemeinsam mit einem Kernteam von rund zehn weiteren Experten aus Genehmigung, Kommunikation und Projektmanagement – verantwortlich für die Projektabwicklung: »Wir befinden uns nach wie vor in einer Frühphase und arbeiten an Plänen, welche technischen Konzepte wir wo umsetzen werden. Dazu gehören beispielsweise auch Überlegungen, wo wir Erdkabelabschnitte anstatt Freileitungen einsetzen können, ob wir klassische masseimprägnierte Kabel einsetzen oder auf andere Entwicklungen setzen und wie wir Fragen zur Umrichtertechnik beantworten.« Selten würden Ingenieure so ›nahe‹ am Drehkreuz zu allen Gewerken und dem Projektmanagement solch eines Großprojektes arbeiten, meint Paula Walther. Hinzu kommt ein für Techniker recht neuer Aufgabenbereich: das Einbeziehen der Bürger vor Ort. Mehrere Hundert Informationsveranstaltungen und Bürgerversammlungen haben entlang der geplanten Trasse bereits stattgefunden. Die Veranstaltungen sind zwar gut besucht, die Begeisterung der Betroffenen für eine Stromleitung durch ihre Region aber hält sich naturgemäß in Grenzen. Auch Paula Walther ist hier häufig anwesend, um »in meiner Eigenschaft als Ingenieurin zu versuchen, die Diskussion zu versachlichen und auf technische Fragen einzugehen«.
»Die Arbeitsbereiche bei der Planung von Leitungsbauprojekten sind so vielfältig, dass neben den im Studium erworbenen ingenieurwissenschaftlichen Kenntnissen auch genehmigungsrechtliche und technische Fragestellungen von zentraler Bedeutung sind. Ähnliches gilt für Fragen etwa rund um den Wohnumfeld- und Naturschutz«, betont Alexandra Mönch, Personalreferentin bei TenneT. Das Unternehmen sei deshalb kontinuierlich auf der Suche nach entsprechend interessierten und qualifizierten Hochschulabsolventen.
Kaum anders geht es da Wettbewerbern und bei Projekten wie SuedLink auch Kooperationspartner TransnetBW. Das Unternehmen, das vor allem in Baden-Württemberg aktiv ist, sucht derzeit rund 40 Ingenieure, die in den Bereich Projektplanung, Trassenbau und Instandhaltung einsteigen wollen. »Mit der Energiewende und der Entwicklung von Smart Grids gehen unsere Ingenieure derzeit einen hochspannenden Weg«, sagt Personalleiterin Elena Helbing. Eine dieser Ingenieure ist Tina Bokan. Die 28-Jährige ist verantwortlich für den Umbau und die Umrüstung eines bestehenden Freileitungsnetzes. »Wir rüsten von 220 KV auf 380 KV auf, damit im Raum Stuttgart auch künftig genügend Strom zur Verfügung steht«, sagt sie. Denn als Leiterin des mehrere Jahre dauernden Millionen-Projekts ist sie nicht nur für die Finanzierbarkeit und die technische Umsetzung, sondern auch für die Zukunftssicherheit der Region mitverantwortlich. Neben der Planung, der Koordination und Überwachung externer Firmen gehört dazu auch die Einbindung der Grundstückseigentümer sowie die detaillierte Schaltungsplanung. »Unser Netz funktioniert natürlich nur im Verbund mit anderen Netzen. Deshalb müssen die angrenzenden Netzbetreiber in Deutschland und Europa bis zu einem Jahr im Voraus über unsere Vorhaben informiert werden.« Aber nicht nur die Stromleitungen an sich müssen auf tausenden von Kilometern ausgebaut und modernisiert werden. Ähnliches gilt beispielsweise natürlich auch für die Umspannwerke. »Dabei handelt es sich häufig nicht um einen Neubau, sondern oftmals um eine Kompletterneuerung der Anlagen«, sagt Georg Stöckl. Der 30-jährige Ingenieur ist seit rund einem halben Jahr beim Energiespezialisten Alstom für die Planung und Projektierung von Umspannwerken verantwortlich. Dass, so erzählt er, sei insbesondere deshalb »tricky« und für Ingenieure wie ihn reizvoll, weil er dabei die Versorgungssicherheit aufrechterhalten muss. »Wir können also in der Regel nur komponenten- und bereichsweise arbeiten«, sagt er. Allein deshalb sei jedes Projekt ein Unikat mit individuellen Anforderungen. Fast drei Jahre dauert es, bis ein Projekt »durch« ist: Von der Ausschreibung der Netzbetreiber über die Angebotserstellung bis hin zur (Um-)Bauphase und der Übergabe. Und derzeit arbeiten die Projektingenieure allein bei Alstom an Dutzenden von Umspannwerken quer durch Deutschland. Kein Wunder also, dass die Energiewende für Netzingenieure vor allem eines bedeutet: Hochspannung.