Er scheint vor nichts und niemandem Halt zu machen, unbeirrt überfällt er die Wirtschaft – auch die Agrarbranche hat er erwischt: der Fachkräftemangel. Besonders in Unternehmen, die international oder im Bereich Agrartechnik tätig sind, können bereits nicht mehr alle vakanten Stellen mit geeigneten Absolventen besetzt werden, weiß Markus Ebel-Waldmann. Der Präsident des Bundesverbands Agrar Ernährung Umwelt (VDL) kennt auch einen Grund für diesen Engpass: »Agrarwissenschaften werden an vielen Hochschulen nicht mehr ausreichend gelehrt, da die eh schon wenigen Absolventen von der Wirtschaft abgefischt werden und sie so nicht mehr für eine wissenschaftliche Laufbahn zur Verfügung stehen« – ein Teufelskreis.
Ein Einstieg in die Agrarbranche lohnt sich folglich, auch weil vielfältige Einsatzmöglichkeiten auf Absolventen verschiedener Fachrichtungen warten: In der Wissenschaft suchen Forscher beispielsweise nach neuen Techniken und Verfahren für die Pflanzen- und Tierproduktion, in der Agrar- und Umweltverwaltung überprüfen Mitarbeiter die Einhaltung der Standards in der Landwirtschaft, in der Beratung helfen Experten, die Produktionsmethoden, Unternehmensführung und Vermarktung zu verbessern und in großen landwirtschaftlichen Betrieben sorgen Landwirte für eine reibungslose Produktion von Futtermitteln und nachwachsenden Rohstoffen. Das sind noch lange nicht alle Möglichkeiten, die etwa Absolventen der Agrarwissenschaften, der Umweltwissenschaften oder der Landespflege offenstehen. Besonders im Vertrieb und natürlich in den technischen Bereichen werden Absolventen händeringend gesucht. Dafür sollten sie Kommunikationsvermögen und Durchsetzungsstärke mitbringen. Für die Arbeit in der Agrarbranche sollte außerdem ein gewisses Verständnis für die landwirtschaftlichen Prozesse und agrarpolitischen Systeme nicht fehlen, auch ein grundsätzlich agrartechnisches Wissen und Interesse sind von Vorteil. Ebel-Waldmann vom VDL nennt zudem Einsatzbereitschaft, Analyse- und Entscheidungsfähigkeit, lösungsorientiertes Denken sowie Verantwortungsbewusstsein als Voraussetzungen. Schließlich übernehmen Mitarbeiter in der Agrarbranche »nicht nur spannende und abwechslungsreiche Tätigkeiten, sondern auch äußerst verantwortungsvolle«, betont der 48-Jährige. Denn Ziel ist letztendlich die Versorgung der Menschen mit ausreichend und qualitativ wertvollen Lebensmitteln und dabei gegenüber Natur und Umwelt verantwortlich zu handeln.
Dennoch steht die Agrarbranche bei den Wunscharbeitgebern von Absolventen nicht sehr weit vorn. Was spricht aber für einen Einstieg in diese Industrie? »Ingenieurwissenschaften im Allgemeinen und Agrartechnik im Besonderen sind anwendungsorientierte Wissenschaftsdisziplinen. Alle Mühen von Forschern und Entwicklern münden letztlich in Produkten und Verfahren. Der praktische Aspekt ist sozusagen systemimmanenter Bestandteil der Wissenschaftsdisziplin. Doch heißt das, dass Agrartechnik damit etwas für junge Menschen ist, die keine Lust haben, sich mit mathematischen, naturwissenschaftlichen und methodischen Grundlagen zu beschäftigen? Bei Weitem nicht! Theoretisches Wissen dient dem grundsätzlichen Verständnis technischer Vorgänge und Zusammenhänge«, erklärt Dr. Andreas Herrmann von der VDI-Gesellschaft Technologies of Life Sciences, der auf ein paar Trends der Branche eingeht: »In der Landwirtschaft wird der Trend von der gegenwärtigen teilflächenspezifischen Behandlung der Felder immer mehr zur Einzelpflanzenerkennung und -behandlung gehen. In der Tierhaltung bedeutetet das, dass auch bei großen Tierbeständen das Einzeltier im Fokus des Landwirts steht. Sensorik und Automatisierung werden einen immer stärkeren Einfluss gewinnen und in Zukunft gilt es, die landwirtschaftliche Produktion durch das Zusammenwachsen der virtuellen Welt und der realen Welt zu optimieren.«
Die Agrarwirtschaft ist immer noch einer der sichersten Arbeitgeber der Zukunft. Schließlich müssen täglich über sieben Milliarden Menschen auf der Welt ernährt werden – Tendenz steigend, bestätigt die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG). Für uns in Deutschland ist es schon fast eine Selbstverständlichkeit, dass im Supermarkt ausreichend qualitativ hochwertige Lebensmittel zur Verfügung stehen und diese auch für jedermann bezahlbar sind. »Es gibt aber Gebiete auf der Welt, wo das ›tägliche Brot‹ ganz und gar nicht selbstverständlich ist. Zukünftig wird von der Landwirtschaft auch erwartet, dass sie mehr und mehr Biomasse für eine umweltfreundliche Energiegewinnung und Rohstoffe für die Grundstoffindustrie bereitstellt«, so Herrmann vom VDI. Diesen Anforderungen kann Landwirtschaft – insbesondere vor dem Hintergrund einer steigenden Weltbevölkerung und wachsenden Umweltanforderungen – nur durch steigenden Technikeinsatz gerecht werden.
Die Technik soll nicht nur eine hohe Leistung bei den verschiedenen Arbeiten in der Landwirtschaft erbringen, sie soll auch umweltverträglich und kostengünstig sein und ein nachhaltiges Wirtschaften des Landwirts ermöglichen. Dieser Quadratur des Kreises hat sich letztlich die Landmaschinenindustrie zu stellen. Diese ist in Deutschland gut aufgestellt, heißt es von der DLG: Fast ein Viertel der europäischen Produktion von Landmaschinen und Traktoren ist hier angesiedelt. Deutsche Landtechnik bleibt international begehrt. Der Ingenieur in der Agrartechnik kann aus den verschiedensten Ingenieurbereichen kommen und seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Agrartechnik weiter entwickeln und anwenden, denn Landtechnik wird unter schwierigsten Bedingungen eingesetzt und muss hohen Belastungen standhalten. Der Umwelt- und Nachhaltigkeitsgedanke spielt in der Agrartechnik dabei eine entscheidende Rolle – und: Kenntnisse auf dem Gebiet der Sensorik, Elektronik und Software nehmen einen immer größeren Stellenwert ein. »Schon heute beträgt der Anteil der Bereiche Sensorik, Elektronik und Software circa 30 Prozent der Wertschöpfung beim Umsatz von Traktoren und Landmaschinen«, erklärt Dr. Herrmann. Die deutsche und europäische Landmaschinenindustrie bietet auf den Gebieten Forschung, Entwicklung und Konstruktion ebenso gute Einstiegschancen wie die Bereiche Service, Marketing und Vertrieb. Doch egal, ob Agrarwissenschaftler oder Ingenieur: Wer es mit Landtechnik zu tun hat, hat es auch immer mit Natur zu tun, mit Pflanzen, mit Tieren oder mit dem Boden. Dieses Zusammenwirken von Technik und Natur macht Agrartechnik zu einem besonders herausfordernden und spannenden Arbeitsgebiet.
Die Agrarbranche bietet folglich nicht nur vielfältige und verantwortungsvolle Tätigkeiten, sondern auch zukunftssichere – Lebensmittel werden schließlich immer gebraucht.