In den 1990ern hatte der geneigte Nachmittagsfernsehzuschauer die Wahl aus vielen Talkshows, die sich nicht nur durch einen illustren Gästestamm auszeichneten, sondern auch Sätze wie ›Kuck dich doch mal im Spiegel an‹ geprägt haben. Fielen solche Sätze, gab es mindestens eine Person im Publikum, die sich dazu verpflichtet fühlte, das Mikrofon heranzuwinken und in dieses im forschen Ton zu sagen:
»Es kommt nicht auf das Aussehen, sondern auf die inneren Werte an.«
Neben frenetischem Applaus kam neben wohlwollendem Nicken bei vielen Zuschauern auch das Gefühl dazu, dass es doch noch Menschen gibt, die das Individuum hinter ihrer Verpackung sehen.
Bei Produkten kommt es nicht nur auf die inneren Werte an!
Was beim Menschen durchaus seine Berechtigung hat, sollte in anderen Belangen etwas differenzierter betrachtet werden. Denn so mancher innere Wert würde ohne die richtige Verpackung sehr schnell an Schönheit, Haltbarkeit oder Harmlosigkeit verlieren – wie Lebensmittel, Getränke oder Medikamente. Weshalb ein passendes ›Drumherum‹ durchaus seine Berechtigung hat.
Dafür sorgen Ingenieure wie Pim van Dam oder Kerstin Schölzel. Beide sind in der Verpackungstechnikbranche tätig, wenngleich auch in unterschiedlichen Sparten. Junior Verpackungsentwicklerin Schölzel hat nach ihrem Bachelor in Verfahrenstechnik mit dem Schwerpunkt Verpackung, Kunststoff und Gestaltung den Master in Verpackungstechnik draufgelegt und ist aktuell als Junior Verpackungsentwicklerin bei der Unternehmensgruppe Theo Müller tätig. Ihre Aufgaben umfassen dabei die korrekte Projektplanung, die Durchführung und Ausführung gemäß den unternehmensinternen Prozessen sowie die Koordinierung des Projektteams. Die 31-Jährige weiß, dass Verpackungen mehr Anforderungen erfüllen müssen als ›nur‹ den Produktschutz.
Verpackungsverordnung: Verbrauch verringert, Effizienz erhöht
Als es 1991 zur Verpackungsverordnung kam, mit der zum ersten Mal eine umfassende Regelung im Sinne der Kreislaufwirtschaft und zur Verwirklichung der Produktverantwortung geschaffen wurde, hatte dies nicht nur zur (positiven) Folge, dass der jährliche Verpackungsverbrauch verringert werden konnte, sondern auch, dass die Hersteller dazu angehalten waren, verpackungseffizienter zu arbeiten. Dabei ist dies sehr kurz gegriffen, denn es geht nicht nur um Verpackungseffizienz, sondern auch um Abfallvermeidung, Normung, Entsorgungspläne und Umweltschutzaspekte. Kurz, das Geschäft mit der Verpackung ist vor allem auch eine Beschäftigung mit Paragraphen und Vorschriften – die stets aktualisiert und geändert werden.
Damit konfrontiert ist auch Schölzel, die erklärt, dass die sich ändernden gesetzlichen Vorgaben einen unmittelbaren Einfluss auf ihr Tagesgeschäft hätten:
»Neben der Produktsicherheit ist natürlich auch die Wirtschaftlichkeit einer Verpackung zum Beispiel im Sinne des Ressourceneinsatzes und der Stapelbarkeit auf einer Palette von entscheidender Bedeutung.«
Diese Anforderungen, die neben dem Produktschutz an Verpackungen gestellt werden, sind für die Verpackungsentwicklerin manchmal durchaus herausfordernd:
»Es ist nicht immer einfach, möglichst alle Wünsche und Erfordernisse zu berücksichtigen und die bestmögliche sowie gleichzeitig die kostengünstigste Lösung zu finden.«
Interdisziplinäre Arbeit
Hinzu kommen interdisziplinäre Inhalte aus der Zusammenarbeit mit dem Marketing, der Technik, den Lieferanten und dem Qualitätsmanagement, die die Tätigkeit der Ingenieurin nie langweilig werden lassen und dafür sorgen, dass eine gute Verpackung vielen Anforderungen entsprechen kann. Denn diese sollte ebenso anwenderfreundlich wie kosteneffizient sein und zugleich das Produkt bestmöglich in den Regalen präsentieren.
Neben der Tatsache, dass in europäischen Haushalten nach wie vor rund 70 Millionen Tonnen Lebensmittel jährlich verderben, weil sie nur unzureichend verpackt sind, erwarten viele Verbraucher von einer guten Verpackung, dass sie nachhaltig, wiederverwertbar und in diesem Zusammenhang gut recyclebar ist. Deutschland ist bei den Recyclingquoten zwar bereits Vorreiter in Europa, aber es geht immer noch mehr beziehungsweise eben weniger. Brüssel sähe hier gerne Einwegtüten in einer Stärke von weniger als 0,05 Millimeter und Süßigkeiten, Obst sowie Gemüse in Papiertüten oder in biologisch abbaubaren Plastiktüten.
Gewichtsoptimierung von Verpackungen
Während dies erst Realität wird, wenn die 28 europäischen Regierungen im EU-Ministerrat zustimmen, arbeitet Pim van Dam seit über 30 Jahren an der Gewichtsoptimierung von Verpackungen. Zwar merke er den Einfluss der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen auf seine Arbeit, aber beeinflusse damit im Umkehrschluss durch sein Tun die Umwelt zu ihrem Vorteil.
Der 58-Jährige kann auf eine lange Karriere im Bereich der Verpackungstechnik zurückblicken: Seinem Abschluss als Maschinenbauingenieur in den Niederlanden folgten ein Studium in der Kunststoffverarbeitungstechnologie an der RWTH Aachen und Zusatzstudien im Metall-Umformungsbereich in Europa und den USA. In seiner aktuellen Position als Innovation Manager Primary Metals & Processes für Europa bei der Ball Packaging Europe Holding hat er viel zu tun: van Dam managt die Abteilung der Entwicklungsingenieure im Umformbereich, definiert Metallverpackungsspezifikationen und -prozesse für die Zukunft, optimiert die laufenden Prozesse, generiert IP, bearbeitet und beurteilt Kundenanfragen, arbeitet neue Materialstrategien aus, ist als Mitglied in Entscheiderkreisen für neue Verpackungen und Ideen tätig, initiiert und überwacht umweltrelevante Entwicklungen und arbeitet mit Lieferanten und Universitäten zusammen.
Die Liste ließe sich noch ein wenig ausweiten – dennoch erklärt er, dass er im Grunde alles und nichts weiß:
»Da es kaum jemanden gibt, den ich meine Aufgaben betreffend um Rat fragen kann, trage ich eine sehr hohe Verantwortung. Im Umkehrschluss eröffnet sich mir hier aber auch eine umfassende unternehmerische Freiheit.«
Wie auch Kerstin Schölzel arbeitet van Dam sehr interdisziplinär: Sei es mit der Marketingabteilung, um Marktpotenzial zu analysieren, mit dem Controlling, um Planungen und Investitionen zu steuern, mit Physikern, Chemikern, Biologen, Ernährungs- oder Oberflächentechnologen, um sich mit Verpackungsqualität, den Nahrungs- und Medizinanforderungen auseinanderzusetzen, mit dem Supply Chain, um Transportformate und Lieferzeiten zu klären oder Footprint-Analysen durchzuführen oder um sich mit externen Spezialisten wie Erfindern, Instituten, Maschinen- und Werkzeuglieferanten auszutauschen.
Van Dam ist weltweit tätig – »Das Besondere an meiner Tätigkeit ist«, wie er resümiert, »reisen, analysieren, zusammenfassen, anregen und überzeugen, stets mit Fokus auf Kundenzufriedenheit und Gewinnmaximierung auf Kunden- und Lieferantenseite.«
Und all dies mit dem Ziel, dass die Verpackung stimmt. Denn stimmt diese, kann das Innere nicht so schlecht sein.