In der Luft- und Raumfahrtindustrie werden Ingenieure händeringend gesucht. 1.200 Stellen sind derzeit unbesetzt, attraktive Jobs gibt es bei internationalen Konzernen und mittelständischen Zulieferern – zum Beispiel in der Flugzeugkonstruktion oder im Leichtbau.
Aus allen Nähten platzte der Flughafen Berlin-Schönefeld, als im Juni 2009 die Luft- und Raumfahrtindustrie zur Branchenmesse ILA einlud: 1.150 Aussteller aus 50 Ländern, 235.000 Besucher, 300 präsentierte Fluggeräte – darunter das größte Passagierflugzeug der Welt, der Airbus A380, sowie eines der größten amerikanischen Transportflugzeuge Amerikas, der ‘Super Hercules’ C130J von Lockheed Martin. Während andere Branchenmessen schrumpfen und sinkende Ausstellerzahlen verzeichnen, schloss die ILA 2010 mit einem Rekordergebnis ab. Die ILA-Muskelspiele der Branche haben einen handfesten Grund: Die Luft- und Raumfahrtindustrie ringt um Aufmerksamkeit, weil ihr der Nachwuchs fehlt. Keine andere Industrie Deutschlands hat eine derart große Ingenieurslücke:
»Jährlich werden zur Zeit 2.500 Luft- und Raumfahrtingenieure gesucht«, sagt Tim E. Brand vom ‘Career Center ILA 2010’ des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI). »Der Arbeitsmarkt wächst stetig, die Perspektiven für ingenieurwissenschaftliche Absolventen in der Luft- und Raumfahrtindustrie könnten nicht besser sein.«
Rund 93.000 direkt Beschäftigte arbeiten derzeit in der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Trotz Krise hat sich der Branchenumsatz in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt, während die Zahl der Beschäftigten um ein Drittel zugelegt hat. Die Aussichten sind rosig: Schätzungen gehen von einem weltweiten Bedarf an rund 25.000 neuen Passagier- und Frachtflugzeugen in den kommenden 20 Jahren aus.
»Die Luft- und Raumfahrt ist als Wachstumsbranche ein Jobmotor im faszinierenden High-Tech-Sektor und bietet eine Vielzahl von Arbeitsfeldern für Ingenieurinnen und Ingenieure der verschiedensten Fachrichtungen – nicht nur der Luftund Raumfahrttechnik«, sagt Andreas Schütz, Sprecher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). »Schon ein Elektrotechnik- oder Maschinenbaustudium ist eine ideale Grundlage für den Einstieg und bietet viele Entwicklungsmöglichkeiten.«
EADS
Attraktivster Arbeitgeber der Branche aus Absolventensicht ist EADS, ein internationaler Konzern, der unter anderem den Zivilflugzeughersteller Airbus, das Raumfahrtunternehmen Astrium sowie den Hubschrauberhersteller Eurocopter unter seinem Dach vereint: 118.000 Mitarbeiter beschäftigt EADS, 43.000 davon in Deutschland. Studenten wählten das Unternehmen zuletzt auf Platz sechs der beliebtesten Arbeitgeber überhaupt.
Dabei übersehen angehende Luft- und Raumfahrtingenieure häufig, dass ein Gros der offenen Stellen bei den oft mittelständisch geprägten Zulieferern und Dienstleistern der Branche zu finden sind: So hat Philipp Seitz nach seinem Studium der Luftund Raumfahrttechnik an der Uni Stuttgart einen attraktiven Job bei der Bertrandt AG gefunden. Der Ingenieurdienstleister mit Sitz im baden-württembergischen Ehningen beschäftigt 6.100 Mitarbeiter an 31 Standorten in Europa und in den USA. Vor drei Monaten ist Seitz zum Lead Engineer bei Bertrandt aufgestiegen.
»Als Luftfahrtingenieur bleibe ich am Boden und habe trotzdem mit der Fliegerei zu tun«, sagt der 31- jährige passionierte Hobbyflieger, der schon als kleiner Junge vom Fliegen geträumt hat.
Heute ist Philipp Seitz als Projektleiter für die Integration von Interieurs wie Küchen, Toiletten und Gepäckablagen in Flugzeugen verantwortlich. Speziell die sehr komplexen Halterungssysteme und Verbindungselemente betreut er vom ersten Design bis zum fertigen Produkt.
»Ein Dienstleister wie Bertrandt bietet die Möglichkeit, mich im Bereich der Luft- und Raumfahrt in ganz unterschiedliche Richtungen zu entwickeln«, sagt Phlipp Seitz. »Ich will mich nicht so früh festlegen. «
Der Ingenieur ist immer wieder mit neuen Projekten beschäftigt und führt Akquisegespräche bei wechselnden Kunden.
»Diese Vielfalt reizt mich sehr. Die Aussicht, in meinem Job viel herumzukommen und viel Neues kennenzulernen, war ein Entscheidungskriterium für Bertrandt.«
Mit einem durchschnittlichen Einstiegsgehalt von rund 45.068 Euro jährlich liegen Ingenieure der Luft- und Raumfahrtindustrie nach Erhebungen der Personalmarkt GmbH weit vor den Salären ihrer Kollegen anderer Branchen. So verdienen ingenieurwissenschaftliche Berufseinsteiger in der Bahnindustrie zum Beispiel nur 42.270 Euro pro Jahr – und damit rund 2.800 Euro weniger als in der Luft- und Raumfahrt.
Neben den im Studium erworbenen Kenntnissen sind gute Englischkenntnisse aufgrund der extremen Exportlastigkeit der Branche erforderlich. Laut VDI sollten Ingenieure für die Arbeit in der Entwicklung und Konstruktion zudem eine schöpferische Begabung und Improvisationsvermögen mitbringen. Auch Verantwortungs - bewusst sein sei eine zwingende Voraussetzung, vor allen Dingen für Ingenieure, die sich um die Instandhaltung von Fluggeräten kümmern.
»Interkulturelle Kompetenz wird zunehmend an Bedeutung gewinnen«, sagt Andreas Schütz vom DLR. »Internationale Zusammenarbeit ist zwar nichts neues für die Luft- und Raumfahrt, sie wird aber noch viel stärker als andere Branchen diese Zusammenarbeit in den Bereichen der Grundlagenarbeit, Entwicklung und Integration von Systemen verstärken.«
Als boomender Bereich innerhalb der Luft- und Raumfahrt, der in Zukunft mehr Arbeitsplätze für Ingenieure bereithalten wird, gilt derzeit der Leichtbau mit Faserverbundstoffen als Baumaterial. Sven Renkel vom VDI macht außerdem auf den wachsenden Bereich der regenerativen Energien aufmerksam.
»Hier entstehen neue Arbeitsplätze «, weiß der VDI-Experte. »In Zukunft werden noch mehr Ingenieure gebraucht, die sich mit neuen Energiekonzepten auseinandersetzen – zum Beispiel wie in Flugzeugen weniger Treibstoff verbraucht wird oder welche Alternativen es zu herkömmlichen Treibstoff gibt.«