Fliegen wie die Vögel – das war schon immer ein Traum der Menschheit. Weil dem Menschen aber dummerweise keine Flügel vergönnt sind, begann die Krone der Schöpfung, sich künstliche Schwingen auszumalen – Leonardo da Vinci mit seinen fantastischen Zeichnungen von ›Helikoptern‹ ist hier das wohl berühmteste Beispiel. Doch künstliche Flügel waren nicht mit demselben Erfolg gesegnet wie die aus Federn bestehenden Vorbilder der Natur.
Irgendwann also nahm die Menschheit Abschied von dem Gedanken, sich mit einer Konstruktion aus Leder, Holz oder Tuch in die Lüfte erheben zu können. Anfang des 19. Jahrhunderts beschrieb der englische Gelehrte Sir George Cayley als erster das Prinzip eines Fluggerätes mit ›Vortriebsmechanismus‹, er gilt als Vater der Aeronautik. Seitdem ist klar: Ein funktionstüchtiges Flugzeug besteht aus Rumpf, Tragflächen und Getriebe. Energie gewinnen heute die meisten Flugzeuge durch die Verbrennung von Kerosin – das ist umweltschädlich und die Strahlantriebe machen ordentlich Krach.
Ingenieure in der Luftfahrt: vielfältige Herausforderungen
Die Herausforderungen, an denen Ingenieure der Aviatik, wie die Luftfahrt in Insider-Kreisen genannt wird, seit ›Geburt‹ der Branche arbeiten, sind immer die gleichen: Steigerung der Effizienz, Verringerung der Emission und des Lärms sowie die Erhöhung der Sicherheit im Luftverkehr. Angehende Ingenieure und Triebwerkstechniker sollten sich aber darauf einstellen, dass die Lösungsansätze für all diese Herausforderungen immer kleinteiliger und über das gesamte Flugzeug verteilt sind. Die Einsatzgebiete werden also immer individueller. Ivaylo Vladimirov arbeitet bei MTU Aero Engines in München in einem Team ausschließlich daran, den Rotor in der Turbine stabiler und leichter zu designen.
»Die Rotoren sind ein sehr sicherheitsrelevanter Bestandteil einer Turbine oder eines Verdichters«, erklärt der 38 Jahre alte Ingenieur.
»Sie müssen den Belastungen im Betrieb über eine bestimmte Lebensdauer unbedingt standhalten.«
Neue Materialien und Konstruktionsverfahren testet er zunächst in Simulationen am Computer. Gut die Hälfte seiner Arbeitszeit verbringt Vladimirov aber auch am Realmodell. Mit Experten aus anderen Teams führt er Versuche im Windkanal durch, unterzieht dem Material Stresstests oder klopft es auf Empfindlichkeiten für Hitze, Kälte oder Druck ab. Die Vielfalt an seinem Arbeitsplatz wird in den kommenden Jahren wohl noch weiter zunehmen: Fortschritte beispielsweise im 3D-Druck werden es Ingenieuren ermöglichen, ihre theoretischen Annahmen schon in einem sehr frühen Stadium in der Realität zu überprüfen.
Berufs- und Einstiegsmöglichkeiten für Ingenieure in der Luftfahrt
So vielfältig wie die Herausforderungen in der Aviation sich derzeit gestalten, so vielfältig sind auch die Berufs-Einstiegsmöglichkeiten. Ivaylo Vladimirov beispielsweise hat anfangs zunächst in Bulgarien einen Bachelor in Wirtschaftsingenieurwesen studiert, anschließend in Deutschland einen Master Computational Engineering absolviert, daraufhin promoviert und an der RWTH Aachen im Bereich Bauingenieurwesen gelehrt. Über Hochschulkooperationen ist er auf das Unternehmen MTU aufmerksam geworden.
Doch viele Wege führen in die Luftfahrt: An manchen Hochschulen werden einzelne Schwerpunkte als eigenständiges Studium angeboten, woanders existieren innerhalb bestehender Studiengänge mögliche Vertiefungsrichtungen. Egal was ein an der Luftfahrt interessierter Bewerber studiert hat, neben sehr guten Studienleistungen sind den Personalern weitere Fähigkeiten wichtig:
»Unsere integrierten Produktteams können nur dann erfolgreich funktionieren, wenn alle Mitarbeiter eine hohe Sozialkompetenz mitbringen«, so Isabel Porzel, Personalmanagerin bei MTU. »Außerdem ist die Luftfahrt eine extrem globale Branche. Fließendes Englisch und eine ausgeprägte interkulturelle Sensibilität sind da unerlässlich.«
Eine Richtlinie, an der sich die Forschung und die Unternehmen orientieren, hat die Europäische Union unter dem Titel ›Flightpath 2050‹ veröffentlicht. Dort sind Werte vorgeschrieben, an die sich die Aviatik halten muss – beispielsweise die Erhöhung der Flugsicherheit um 80 Prozent. Eine große Herausforderung, denn: Das Flugzeug ist schon heute das sicherste Verkehrsmittel. Um solche und ähnliche Herausforderungen in den Griff zu bekommen, forschen DLR, Institute der Universitäten und die Hersteller von Flugzeugturbinen und anderen technischen Komponenten Hand in Hand. Der Konzern General Electrics (GE) beispielsweise hat vor zwei Jahren in München ein ›Advanced Aviation Center of Excellence‹ ins Leben gerufen, in dem Ingenieure in interdisziplinären Teams an den zukünftigen Herausforderungen des Flugverkehrs arbeiten.
»Bis eine Innovation es zur Marktreife geschafft hat, durchläuft sie zahlreiche Stadien der Forschung und Entwicklung«, sagt Günter Wilfert, der Leiter des AAT Centers. »20 Jahre lang wird das Produkt dann verkauft, und da wir auf Langlebigkeit produzieren, fliegen unsere Kunden weitere 20 Jahre damit.«
So wird klar, weshalb neue Produkte in der Aviation nicht gerade im Minutentakt auf den Markt schwemmen, sondern eher Seltenheitsstatus genießen.
Heiß begehrt: die Berufschancen in der Luftfahrtbranche sind gut!
Der Luftverkehr in Europa nimmt stetig zu, zuletzt in 2014 erneut um knapp sechs Prozent. Zusätzlich werden in der Konstruktionsweise von Bauteilen wie etwa der Turbine gerade vormals in Stein gemeißelte Regeln abgeschafft. In den vergangenen Jahrzehnten, erklärt Dr.-Ing. Eberhard Nicke, Abteilungsleiter ›Fan and Compressor‹ beim DLR, habe es eine übergeordnete Maxime bei der Konstruktion des Brenners gegeben: Der Antrieb darf nicht ausgehen und geht er doch mal aus, muss er im Flug sofort wieder gezündet werden können. Das ist natürlich sinnvoll, weil ein Flugzeug, dessen Antrieb den Dienst versagt, sofort abstürzen würde – allerdings ging dieses ›Brennerregime‹, wie es Nicke formuliert, zu Lasten der Effizienz.
»Heute geht man in der Forschung anders vor. Ingenieure experimentieren auch mit instabilen, aber effizienteren Brenner-Varianten, und arbeiten daran, in diesen Modellen die Zuverlässigkeit zu erhöhen.«
Fortschritte in solch unkonventionelle Richtung lassen den Erfindergeist in der Luftfahrtbranche auflodern: Auf einmal erscheinen Lösungen möglich, die jahrzehntelang ausgeschlossen waren – und die weit über das bloße Simulieren von Vogelflügeln hinausschießen.