Interview mit einem Raumfahrtingenieur

Klimawandel, Polkappenschmelze ... Das ist dir alles zu abstrakt? Für Franco Marchese (34),Raumfahrtingenieur bei der European Space Agency (ESA), sind diese Dinge erfahrbar und erforschbar.

Interview mit einem Raumfahrtingenieur
Interview mit einem Raumfahrtingenieur WikiImages // Quelle: Pixabay.com unter CC0 Public Domain

Herr Marchese, was fasziniert Sie an der Weltraumforschung als "Erdbewohner" und als Ingenieur?
Dorthin zu gelangen, wo noch kein Mensch zuvor war, ist wohl für jeden ‘Erdbewohner’ eine großartige Vorstellung. Für mich als Ingenieur kommt die technische Faszination hinzu: die Möglichkeit, mit den eigenen Händen im Weltall Satelliten zu kontrollieren und zu steuern. Dabei geht es meist um Projekte, die sehr nützlich für die Menschheit sind. So sehen wir, wenn ein Schiff Alarm schlägt, weil es Öl verliert, und können die Verschmutzung der Meere messen. Oder wir beobachten die Wälder und sehen, ob irgendwo Rodungen betrieben werden. Hierdurch bekommen wir eine Vorstellung davon, wie sich unser Planet unter dem Einfluss der Menschheit entwickelt.

Beschreiben Sie doch einmal das Projekt "CryoSat-2", das in einigen Wochen startet und an dem Sie mitarbeiten!
Bei ‘CryoSat-2’ handelt es sich um einen Klimabeobachtungssatelliten, der die Dicke der Eiskappen an Nord- und Südpol misst. Dabei reden wir von Veränderungen in der Eisdecke von zwei bis drei Millimetern pro Jahr. Mit solch detaillierten Messungen hoffen wir, Aussagen zum Klimawandel auf der Erde treffen zu können. Das Eis und das Klima beeinflussen sich dabei wechselseitig: Wenn die Atmosphäre aufgeheizt wird, schmilzt das Eis und der Meeresspiegel steigt. Und wenn das Eis schmilzt, ist es, als ob man in einem Raum die Klimaanlage abstellt: Man beeinflusst die Temperatur. Letztlich wissen wir aber immer noch viel zu wenig über das Klima auf der Erde. Die Weltraumforschung kann hier mehr Klarheit schaffen.

Was sind Ihre Aufgaben bei dem Projekt?
Ich beobachte zusammen mit einem Team aus weiteren Ingenieuren den Satelliten während der gesamten Mission und kümmere mich um die Aufrechterhaltung seines Orbits und seines Verhaltens. Dabei kommt es auf schnelle Reaktionen an, da wir den Satelliten häufig nur für etwa zehn Minuten in einer Stunde zu Gesicht bekommen. In diesen zehn Minuten richtig zu handeln, ist eine große Herausforderung. Die Daten, die wir vom Satelliten erhalten, werden von unseren Kollegen in Frascati in Italien ausgewertet.

Das ist doch alles bestimmt eine aufregende Sache?
Absolut! Ich hatte das Privileg, auch schon beim Satelliten ‘CryoSat-1’ dabei zu sein, der uns leider im Oktober 2005 aufgrund eines Raketenfehlers verloren ging und mit ‘CryoSat-2’ wieder erneuert werden sollte. Eine Erneuerung in der Raumfahrt soll aber immer auch eine Verbesserung bedeuten. Der Satellit, den wir nun geschaffen haben, ist technisch viel detaillierter – und wird es diesmal hoffentlich ins All schaffen.

Inwiefern können Sie bei Ihrer Arbeit von Ihrem Wissen aus dem Studium profitieren?
In meinem Studium habe ich häufig gedacht: Diesen ganzen Stoff werde ich doch niemals anwenden! Das trifft in vielen Fällen auch zu. Aber die Theorie hat mir auch eine Menge gebracht: Ich habe ein Verständnis von reellen Zusammenhängen bekommen, und ich weiß nun, wie man sich Problemen nähert – auf eine strukturierte Weise und immer den nächsten Schritt vor Augen.

Was raten Sie Studenten, die ebenfalls an einer beruflichen Laufbahn in der Weltraumforschung interessiert sind?
Die beruflichen Möglichkeiten in der Weltraumforschung sind doch relativ begrenzt. Um hier Fuß zu fassen, ist eine hohe Motivation enorm wichtig. Wer sich wirkich für den Weltraum begeistert, sollte also nicht aufgeben, auch wenn er auf Widerstände oder Skepsis von außen stößt.


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