Leben im All: Warum im All die Leibspeise fad wird

Dr. Reinhold Ewald berichtet über seinen dreiwöchigen Aufenthalt im All und warum ihm seine Leibspeise nicht mehr schmecken wollte

ein Astronaut

Warum im All auch die Leibspeise fad wird.


Bereits als Kind las er am liebsten Science-Fiction- Romane. Die großen Fragen des Lebens, wo wir herkommen und wie das All entstanden ist, interessierten ihn schon immer.

»Als ich eine Anzeige der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt las und wusste, dass ich selbst Astronaut werden und alles am eigenen Leib erfahren könnte, bewarb ich mich sofort«, erzählt Dr. Reinhold Ewald. Genau ein Vierteljahrhundert ist das her. Und drei Wochen lang konnte Ewald inzwischen »all die Dinge ausprobieren, die man im Weltraum machen kann«.

1997 hatte der studierte Physiker seinen großen Einsatz auf der Mir. Ob ihm im Nachhinein realistisch erscheint, dass er Hunderte von Kilometern von der Erde entfernt im All schwebte? »Manchmal gucke ich mir mein Missionsvideo an und denke dann, ja, das muss doch so stattgefunden haben«, meint er und lacht.

»400 Kilometer bis zur Raumstation – das ist zwar vertikal, aber eigentlich ist das nichts«, sinniert er und erinnert sich an den beeindruckenden Ausblick während des Flugs: »Wir haben wunderschöne Ausschnitte gesehen, die Atmosphäre, Kontinente und größere Inseln unter uns.« Im Nachhinein möchte er sich manches Mal ohrfeigen dafür, dass er sich die Erde von dieser exponierten Perspektive aus nicht noch systematischer angeguckt hat. »Auf der Raumstation selbst ist man dann wie in einem Hamsterrad. Da geht es primär um die Arbeit«, sagt der ehemalige Astronaut. Die Raumfahrer seien komplett gepolt auf den Missionserfolg. »Wer oben nur Seins machen will, hat nicht die richtige Einstellung. Man ist am Kollektiverfolg interessiert.« Zwar hat jeder seinen speziellen Aufgabenbereich, »man geht den Kollegen aber immer gerne noch zusätzlich zur Hand«. Ewalds ganz eigener Auftrag im All war ein wissenschaftliches Experiment zu Körperreaktionen auf die Zufuhr von Salz und Mineralstoffen. Die Versuchsperson war er selbst.

»Ich durfte nicht wie die anderen frei essen«, erklärt er. »Damit ich genügend Salze zu mir nahm, musste ich sehr viel Brokkoli essen. Das hat bei mir ziemlich schnell zu einer Abneigung gegen dieses Gemüse geführt, da ich davon sehr viel, auch über den Hunger hinaus, verzehren musste«, sagt er und verzieht den Mund.

Dabei sollte das Essen so etwas wie ein »Wohlfühlfaktor« an Bord sein. »Je variantenreicher, desto besser«, meint Ewald, gibt aber gleichzeitig zu bedenken: »Bei sechs Monaten mit einer beschränkten Menükarte wird man auch seines Lieblingsrestaurants überdrüssig.« Denn die heutigen Besatzungsmitglieder werden auf einen halbjährigen Aufenthalt im All vorbereitet.

»Unsere Ernährungsphysiologen haben aber schon viel experimentiert.« Allein bei der Haptik, also wie sich die Nahrung beim Kauen anfühlt, habe sich viel getan. »Die Mahlzeiten müssen ja alle irgendwie haltbar gemacht werden, meistens durch Wasserentzug«, berichtet er. »Wir kriegen dann eine Tüte mit Krümeln, auf der ›Maccheroni‹ steht. Dann kann man nur hoffen, dass nach der Zugabe von heißem Wasser auch wirklich etwas Essbares draus wird«, scherzt Ewald. Suppen und andere Flüssigkeiten schlürft die Mannschaft in der Schwerelosigkeit mit Strohhalmen. Alles, was eine festere Soßenkonsistenz hat, könne man auch aus einem aufgeschnittenen Behältnis löffeln. »Selbst bei größter Vorsicht gehen aber immer ein paar Tropfen eigene Wege. Dann darf man bloß nicht hinterher! Wenn man die ganze Tüte vernachlässigt, wird’s nur noch schlimmer.«

Diese Art von Verschmutzung ist einkalkuliert. Ein Luftstrom, der durch die gesamte Raumstation fließt, führt Tropfen und Krümel mit sich. Die Filter an den Ventilatoren werden jede Woche gereinigt. Damit die Astronauten selbst nicht ungewollt durch die Gegend vagabundieren, beispielsweise während sie schlafen, binden sie ihre Schlafsäcke in den Kabinen fest. »Damit ist man vorm Wegschweben einigermaßen sicher«, erklärt Ewald. Die Kabine, eine schrankgroße Nische mit Vorhang, ist das kleine Refugium eines jeden Besatzungsmitglieds. »Da hat man ein paar Fotos von der Familie an die Wand gepinnt und seine Klamotten verstaut.« Geschlafen wird aufrecht, »denn unter Schwerelosigkeit ist ja egal, wie man orientiert ist«.

Nach acht Stunden Schlaf startet um sechs Uhr morgens der Tag für die Mannschaft. »Davon kriegen die Kontrollzentren aber noch nichts mit, weil wir der Besatzung immer noch etwas Ruhe lassen«, sagt Reinhold Ewald, der heute die ISSEinsätze vom Boden aus betreut. »Erst zur Daily Planning Conference, in der die Tagesgeschäfte oder was in der Nacht alles passiert ist besprochen werden, schalten sich alle Parteien über Kopfhörer zu. Danach geht jeder seiner individuellen Tätigkeit nach.«

Zum Beispiel Experimenten, Reparaturarbeiten, Interviews oder ebenso dem Amateurfunk mit Schülern auf der Erde. »Jeden Tag muss die Mannschaft auch zwei Stunden lang Sport machen, um den Knochen- und Muskelabbau in der Schwerelosigkeit etwas zu verlangsamen«, schildert er. Eine weitere Daily Planning Conference am Abend beschließt einen Arbeitstag. »Dann versuchen wir, die Besatzung auch nicht mehr anzurufen.« Die Erinnerungen an seinen eigenen Einsatz auf der Mir werden ihm beim Erzählen heute noch so präsent wie vor 14 Jahren. »Ich würde auch noch mal ins All fliegen – kein Thema«, sagt Reinhold Ewald. »Jetzt kriegt aber erst mal eine neue Generation ihre Chance.«

 


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