Unter den vielen Vorzügen der Fliegerei – wie der stets vorzüglichen Bordverpflegung und der vielgerühmten Beinfreiheit – ist dies der vielleicht größte:
»Heute haben wir Nebraska in sieben Minuten überquert«, notierte einst der anonym gebliebene Pilot eines US-Aufklärungsflugzeugs in aufgeräumter Stimmung – und fügte an, dass er sich keinen besseren Weg vorstellen könne, diesen US-Bundesstaat hinter sich zu lassen. Als ›Flyoverland‹ werden die Staaten des Mittleren Westens gemeinhin zusammengefasst. ›Beleidigend‹ nennen das manche, dabei ist es einfach nur: wahr. Außer Kühen, Mais und einer deprimierenden intellektuellen Ödnis gibt es dort nichts zu sehen. Gleiches gilt für Brandenburg, von dem Wiglaf Droste einst dichtete, es sei »ein Land, wie totgeprügelt liegt es da«. Weil Untertunneln freilich keine praktikable Option darstellt, überquert der mondäne Mensch von heute solche Landstriche deshalb am besten in der Luft, schnell und in einer sicheren Distanz von mehreren tausend Metern. Ja, selbst auf den zweiten Blicke scheint dies der angenehmste Nebeneffekt des lange gehegten und spätestens mit den Experimenten der Gebrüder Wright wahr gewordenen Traums vom Fliegen.
Seine wirtschaftliche Bedeutung erhält der moderne Luftverkehr freilich aus anderen Gründen: »Wenn der Luftverkehr ruht, ruhen auch Produktionsbänder in vielen Teilen der Welt«, sagt Uta Maria Pfeiffer, Leiterin Nachhaltigkeit beim Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) in Berlin, »das zeigte sich 2010, als aufgrund der Aschewolke in Island die Flugzeuge in Europa nicht mehr fliegen konnten.« Die Luftfahrt verbindet Unternehmen mit Zuliefer- und Absatzmärkten in aller Welt, mit ihr landen Produkte oder nur Einzelteile schnell dort, wo sie für die weitere Produktion oder den Handel benötigt werden. Allein in Deutschland, sagt Pfeiffer, würden dadurch hunderttausende Arbeitsplätze gesichert – in wie außerhalb der Luftverkehrswirtschaft, und dabei auch die zahlloser Ingenieure. Schließlich umfasst Arbeit in der Luftfahrt mehr als nur das Hebelziehen und Knöpfedrücken eines Piloten oder den Service eines Flugbegleiters. »Der Flughimmel hält noch andere spannende Berufe bereit, die nicht jeder auf dem Radar hat«, versichert Pfeiffer. Als Konstrukteure würden sie beispielsweise gebraucht. Fluggesellschaften beschäftigten Ingenieure bei Beschaffung, Betrieb oder Wartung der Maschinen. Wer sich eher im operativen Bereich zuhause fühle, könne seine Bestimmung in der Flugplanung, beim Betrieb eines Flughafens oder als Flugsicherungsingenieur finden, erläutert Pfeiffer. Oder man folgt ihrem Beispiel und kümmert sich wie die Maschinenbauingenieurin in einem Verband um Umwelt- und Klimaschutz.
Gerade die Ökologie spielt unter den Vorzeichen eines stetig wachsenden globalen Flugaufkommens eine immer wichtigere Rolle. Denn bei allen Vorzügen: Die moderne Luftfahrt ist weder sauber, noch ist sie leise. Um das zu wissen, muss man nicht einmal in der Einflugschneise eines Großflughafens wohnen. Auch die Branche weiß das. Zwar ist ein Flughafen ohne Lärm beim jetzigen Stand der Technik schlechterdings nicht vorstellbar, allerdings bemühen sich Flughäfen und Fluggesellschaften darum, die »Nebenwirkungen des Fliegens«, so Pfeiffer, so gering wie möglich zu halten. »Immer bessere Technik hat dabei schon einiges möglich gemacht«, sagt die 46-Jährige, und die Technik wird noch vieles mehr möglich machen müssen. Vom Thema Lärm hängt schließlich auch die Akzeptanz der Branche ab, die oft auf Widerstand stößt. Die Zeit militanter Proteste – wie vor knapp 30 Jahren gegen die Frankfurter Startbahn West – ist glücklicherweise Geschichte, der Unmut etwa der Anwohner des Münchner Flughafens Franz-Josef-Strauß ist dennoch die Gegenwart. Unter dem Label ›AufgeMUCkt‹ streiten sie wegen der befürchteten Lärmbelastung und Umweltzerstörung vor Gericht gegen den Bau einer dritten Startbahn. Um solche Konflikte zu entschärfen, setzt der BDL laut Pfeiffer auf den »offenen Dialog, eine optimale Bürgereinbindung und transparente Entscheidungsprozesse«. Und natürlich auf den anhaltenden Ideenreichtum der Ingenieure.
Dem ist es schließlich mit zu verdanken, dass für Flüge heute deutlich weniger Treibstoff verbrannt werden muss als noch vor zwei Jahrzehnten. »Seit 1990«, berichtet Uta Maria Pfeiffer, »hat die Luftfahrt den durchschnittlichen Treibstoffverbrauch pro Person und 100 Kilometer bereits um 40 Prozent reduziert.« Dank leichterer Flugzeuge mit sparsamen Triebwerken etwa. Oder durch Verbesserungen bei der Aerodynamik und die bessere Auslastung von Flügen. »Wenn man weiß, dass allein das Kerosin ein Drittel aller Kosten einer Fluggesellschaft ausmacht«, sagt Pfeiffer über die Hintergründe, liege es ganz offensichtlich im eigenen Interesse der Airlines, den Spritverbrauch zu senken. Solange das Verkehrsaufkommen über den Wolken allerdings wächst, steigt auch der absolute Kerosinverbrauch weiter an. Entsprechend langfristig sind die Umwelt- und Klimaziele, auf die sich die internationale Branche 2008 verständigte. Ab 2020 soll der Luftverkehr demnach CO2-neutral wachsen, bis 2050 sollen die Netto-CO2-Emissionen auf die Hälfte des Niveaus von 2005 sinken.
Viel Tüftelarbeit bedeutet dies für die kommende Ingenieursgeneration, die Flugzeuge noch effizienter, noch windschnittiger und überdies unabhängig von fossilen Brennstoffen machen muss. Ideen dafür kommen zum Beispiel aus München, genauer: aus dem Bauhaus Luftfahrt. Die namentliche Nähe zur bahnbrechenden Kunstschule ist gewollt, versteht sich doch auch der 2005 gegründete Think-Tank als interdisziplinär. Derzeit 34 Forscher, vom Flugzeugtechniker bis zum Soziologen, werfen beim Bauhaus Luftfahrt weite Blicke in die Zukunft des Luftverkehrs. Der Clou: Innovative Ideen müssen dort nicht unbedingt Marktreife erlangen. Erlaubt ist alles, kein Gedanke verboten, solange er nur anwendungsorientiert und technisch machbar bleibt. »Wir planen nicht das nächste Produkt«, sagt denn auch Mirko Hornung, Professor für Luftfahrtsysteme an der TU München und Vorstand für Wissenschaft und Technik am Bauhaus Luftfahrt, »wir zeigen
Potenziale auf.«
So wiesen die Wissenschaftler zum Beispiel nach, dass Elektromobilität im Luftverkehr kein Hirngespinst ist. »Sie ist grundsätzlich machbar«, sagt Hornung, der Anfang 2010 von EADS zum Bauhaus stieß. Nur an der Speicherkapazität der Batterien müsse gearbeitet werden. Forscher des Bauhaus beschäftigen sich mit der Frage, wie der Luftverkehr in 20, 30 oder gar 40 Jahren aussehen könnte. Sie untersuchen alternative Antriebsmöglichkeiten, die mögliche Multifunktionalität von Bauteilen, oder allgemeiner: die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems – und wie sie gesteigert werden kann. »Autopiloten sind heute schon in der Lage, vollautomatisiert zu fliegen«, sagt Hornung beispielsweise über mögliche Automatisierungsprozesse in der Luftfahrt. Dass bald erste Frachten per Autopilot transportiert werden, sei zumindest denkbar. Doch auch die Prozesse am Boden, das dortige Automatisierungspotenzial und das Ineinandergreifen von Luft-, Schienen- und Straßenverkehr nimmt das Bauhaus ins Visier.
Ob sich das Aussehen der Flugzeuge dabei radikal ändern wird, vermag Hornung noch nicht zu sagen. »Jede radikale Änderung muss sich gegen ein zuverlässig arbeitendes System beweisen«, gibt er zu bedenken. Realistisch scheint ihm deshalb ein höchstens stufenweiser Umbau, der dann vielleicht auch durch Änderungen beim Antrieb bedingt würde. Und wer weiß, womöglich sind diese neuartigen Flugzeuge ja auch unerhört bequem. Damit sich in Zukunft noch viel komfortabler auf die Brandenburgs und Nebraskas dieser Welt herabblicken lässt.