Foto: Ethan McArthur/Unsplash

Über den Wolken

Zwölf spannende Forschungs- und Entwicklungsprojekte aus der Luft- und Raumfahrt im Porträt

Sitzkomfort im Flugzeug
»14 Stunden und mehr sitzen Fluggäste in unseren Sitzen. Deshalb haben wir uns die Frage gestellt, wie wir das Wohlbefinden der Passagiere verbessern können. Unsere Forschung zu diesem Thema ergab Folgendes: Beim Menschen stellt sich nur dann eine entspannende Wirkung ein, wenn gleichzeitig mehrere seiner Sinne angesprochen werden. Damit war klar, dass wir ein ›Wohlfühlpaket‹ entwickeln müssen und nicht eine einzelne Funktion. Unser optionales Paket für den Langstreckensitz der Business Class beinhaltet daher drei Komponenten: eine individuell regelbare Beleuchtung, eine pneumatische Massagefunktion sowie eine Sitzheizung für behagliche Wärme. Teilweise kennt man diese Funktionen aus dem Auto. Da Flugpassagiere allerdings mehr unterschiedliche Sitzpositionen einnehmen, haben wir alles daraufhin optimiert. Den Prototypen haben wir bereits vorgestellt. Jetzt arbeiten wir an der Umsetzung der Kundenwünsche für den Flugbetrieb.«
Jochen Lohrmann, Head of Innovation and Advanced Development bei Recaro Aircraft Seating

Studenten heben ab
In zwölf Semestern bauten Studierende der Hochschule Reutlingen in wechselnden Teams ein eigenes Flugzeug, eine Vans Aicraft RV 12. Insgesamt sechs Jahre und 20.000 Arbeitsstunden dauerte es von den 36.000 Einzelteilen bis hin zum fertigen Flugzeug. Jeweils im sechsten Semester haben insgesamt 160 Studierende des Studiengangs ›International Project Engineering‹ am Flugzeug gearbeitet – in Projektteams, wie sie auch in der Wirtschaft zu finden wären. Es gab einen Projektleiter, Qualitäts- und Marketingmanager und weitere Positionen, die die Studenten übernommen haben. Das Projekt wurde zudem regelmäßig vom Luftfahrtbundesamt überprüft. Insgesamt kann das Flugzeug nun schon zwölf Flugstunden vorweisen – der Professor und Studiengangsleiter Prof. Jochen Brune flog den Testflug bei der Flugzeugtaufe. Das Flugzeug wurde auf ›Ingenious Performance‹ getauft – das nächste Flugzeugprojekt für die kommenden Studijahrgänge soll ein Doppeldecker werden: ›Pitts Model 12‹ aus Holz mit einem Sternmotor.

Forschung & Industrie
»Ich arbeite am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt für das Institut für Systemarchitekturen in der Luftfahrt, das sich auf die Kombination von Künstlicher Intelligenz und Flugzeugentwurf spezialisiert hat. Die meisten meiner Arbeiten umfassen das Erstellen von Ontologien, die das Wesentliche der Flugzeugherstellungs- und Montageprozesse erfassen. Außerdem generiere ich mithilfe der Programmierumgebung in Python Modelle. Zu den Herausforderungen, die sich für mich täglich ergeben, gehören die Abstraktion von Wissen bei der Erstellung von Modellen und die Verbindung zwischen den verschiedenen Modellen. Meine Forschungsergebnisse fließen direkt in Projekte ein.«
Julia Page Risueño, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Systemarchitekturen in der Luftfahrt des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt

Entstehung von Planeten erforschen
Studierende der Universität Frankfurt gewannen mit ihrem Versuchsaufbau ›EXCISS‹ den Überflieger-Wettbewerb des Raumfahrtmanagements im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Sie können nun die Bildung von so genannten Chondren – millimetergroße Silikatkügelchen, die bei der Entstehung von Planeten eine Rolle spielen – auf der Internationalen Raumstation ISS untersuchen lassen. Ihr Versuchsaufbau ist am 17. November 2018 in einem unbemannten Frachter zur ISS gestartet. Das Experiment besteht darin, Staubpartikel in Schwerelosigkeit unter ähnlichen Bedingungen kollidieren zu lassen, wie sie im Solaren Nebel geherrscht haben. Dafür wird eine kleine Menge an Sandstaubpartikeln, die sich in einer Glaskammer befindet, Hochspannungsblitzen ausgesetzt. Mit einem Mikroskop wird beobachtet, wie die Partikel dabei aufschmelzen und mit anderen zusammenklumpen.

Digitalisierung der Kabine
Michael Bauer, Modul-Ingenieur bei Airbus, arbeitet aktuell an der Digitalisierung der Flugzeugkabine, insbesondere im Bereich der Bordküchen. Eines seiner Hauptziele ist es, die Abläufe der Kabinenbesatzung zu unterstützen und diese effizienter zu gestalten. »Neben den technischen Detaillösungen ist die Verbindung zu den Kommunikationsnetzwerken, die entsprechende Verarbeitung der Daten und die größtmögliche Flexibilität der Systeme eine enorme Herausforderung«, erzählt er, »die Lebenszyklen von geforderten digitalen Lösungen sind zudem oft viel kürzer als der Lebenszyklus eines Flugzeugs. Zusätzlich berührt das Thema Bereiche, die bisher nicht zwingend zur Grundfunktion eines Flugzeugs gehörten.« Sein Kollege, Ronald Sweers, ist Produktleiter. Es liegt in seiner Verantwortung, Produkte zu identifizieren, die aufgrund von Marktanforderungen entwickelt werden müssen. »Das erfordert eine kontinuierliche Abstimmung neuer Technologien mit den Marktentwicklungen«, beschreibt er, »›Time-to-market‹ ist hier ein extrem wichtiger Stichpunkt – durchschnittlich sind zwei bis drei Jahre nötig, um neue Produkte zu entwickeln und auf den Markt zu bringen.«

Leben auf dem Mars
»Ich arbeite zurzeit an dem Projekt ›ExoMars‹. Dies ist eine Kooperation zwischen der Europäischen Weltraumorganisation ESA und der Russischen Weltraumorganisation ROSCOSMOS. Ziel des Projekts ist es, mit Hilfe eines sich auf einem Rover befindlichen Bohrers, Proben des Marsuntergrunds zu entnehmen, zu untersuchen und Spuren von vergangenem oder existierendem Leben auf dem Mars zu finden. Ich arbeite im Rahmen der ExoMars RSP Mission an dem Carrier Modul, welches den Rover und seine Abstiegskapsel zum Mars befördert. Hierbei unterstehen alle elektrischen Schnittstellen meiner Verantwortung. Dies ist eine große Herausforderung, da ich sicherstellen muss, dass jede einzelne Unit in der Lage ist, mit anderen Units zu kommunizieren und so das Gesamtsystem seine Aufgabe erfüllen kann. Ein technisches Verständnis des Gesamtsystems und eine gute Kommunikation sowie Zusammenarbeit im Team sind hierbei von höchster Bedeutung.«
Anna Metz, System Engineer for Electrical Interfaces bei OHB

Erhöhte Integrationsdichte
»Durch Mitarbeit bei der Softwareentwicklung einer Komponente des FCS, konnte ich meinen Teil dazu beitragen, die Luftfahrt umweltschonender zu machen: Die Gewichtsreduktion durch die höhere Integrationsdichte in der Elektronik und die Optimierung der Einbauposition der Steuerungselektronik macht das Flugzeug wieder ein Stück leichter. Das ­bedeutet wiederum eine Kerosinreduktion. Die Komplexität der zu entwickelnden elektronischen Systeme und die Anzahl des geschriebenen Codes erhöhen sich zunehmend beträchtlich. Für Softwareentwickler ist es wichtig, die gegebenen Softwareanforderungen zu verstehen, damit diese im  Architekturmodell umgesetzt werden können und letztendlich in ein detailliertes Softwaredesign münden. Das erfordert Geduld, Genauigkeit und Verantwortungsbewusstsein, da Prozesse in der Luftfahrt strikt geregelt, äußerst ­sicherheitsrelevant und teilweise aufwendig abzuarbeiten sind.« 
Dirk Greindl, Director Aerospace South Germany bei AKKA 

Alles Karbon
Karbonfasern sind deutlich leichter als Metalle, können für fast jedes Bauteil verwendet werden und glänzen nach der Verarbeitung mit hoher Festigkeit und Steifheit – beste Voraussetzungen für ihren Einsatz in der Luft- und Raumfahrt. Einziges Problem dabei: Abgesehen von großflächigen Bauteilen wie Flügelflächen und Rumpfteilen, die automatisiert produziert werden, müssen komplexe Formen bislang per Handarbeit gefertigt werden. Das Start-up Cevotec hat mit seiner Fiber Patch Placement (FPP)-Technologie ein Verfahren entwickelt, mit dem Roboter ebendiese Bauteile herstellen können. Die Vorteile? Durch umfangreiche Sensorik können Qualitätskontrollen bereits während der Fertigung durchgeführt werden, die Produktionszeiten reduzieren sich deutlich und Einsparungen am Karbonfasermaterial von 50 Prozent im Vergleich zur manuellen Fertigung sind möglich.

Gesunde Kabine
»Meine Kollegen und ich haben eine neue Art der Ober­flächenbeschichtung von Flugzeugkabinenbauteilen entwickelt. Dieses Verfahren ist einerseits frei von Lösemitteln. Das bringt bei der Lackierung selbst gegenüber den derzeitigen lösemittelbasierten Lackierverfahren ­einen positiven, gesundheitlichen Mehrwert. Andererseits ist das entwickelte Lacksystem leichter als bisherige Beschichtungen, was jährlich zu einer deutlichen Kerosineinsparung führt und somit unsere Umwelt schont. Bei der Entwicklung müssen wir das komplette Anwendungsfeld sowie mögliche Wechselwirkungen eines Systems kennen und beachten. So muss beispielsweise die Lackierung auf verschiedensten Untergründen immer gleich aussehen. Ändere ich einen Parameter, könnte das Auswirkungen auf mein Gesamtsystem haben.« 
Linda Windmüller, Entwicklungsingenieurin im Bereich Research Cabin bei Diehl Aviation 

Recycelter Flug
Das Start-up Caphenia will aus CO2 Treibstoff produzieren. Der Kohlenstoff der CO2-Emissionen von beispielsweise Kraftwerken wird in einem mehrstufigen Prozess stofflich umgewandelt, um dann mit Methan, das als Erdgas oder Biogas bereitgestellt wird, zu ­einem hochreinen Kraftstoff wie Diesel oder Kerosin verarbeitet zu werden. Aufgrund ihrer hohen Reinheit weisen auf diese Weise erzeugte Kraftstoffe nicht nur einen höheren Brennwert auf, sondern Erzeugung dabei auch keinen Feinstaub. Somit können Kraftstoffe aus fossilen Quellen ersetzt und bis zu 30 Prozent CO2-Emissionen eingespart werden. Für die Luft-und Raumfahrt sind solche synthetischen Kraftstoffe am wertvollsten, da hier erneuerbare Alternativen wie im Bahn- oder Straßenverkehr fehlen und elektrifizierte Flugzeuge mit mehr als 100 Passagieren in naher Zukunft nicht umsetzbar sind. 

Composite Cycle Engine
Kolbentriebwerk oder Turbomaschine? Was bisher eine Frage nach dem Motto ›entweder, oder‹ war, könnte in Zukunft beides vereint arbeiten. Bauhaus Luftfahrt, eine gemeinnützige Förderungseinrichtung, versucht, die Vorteile beider Systeme zu kombinieren. Dabei soll das Hochdruckteil des Triebwerks der T­urbomaschine durch ein Kolbensystem ersetzt werden. Die Turbomaschine ›liefert‹ den Schub für das Kolbensystem, welches ­damit Drücke und Temperaturen erreicht, die sonst nicht erreicht werden können. Dieses Konzept soll dabei helfen, den Kraftstoffverbrauch um 15 Prozent ­sowie den Ausstoß von Stickstoffoxid) um 10 Prozent zu reduzieren. 

Sitzplatz wie gedruckt
»Wir arbeiten an diversen Studien zur Raumoptimierung von Flugzeugkabinenlayouts. Hieraus haben sich bereits Produktentwicklungsthemen ergeben, die es ermöglichen, mehr Passagiere im ­selben Airline-Layout zu befördern. Außerdem untersuchen wir diverse Möglichkeiten zum stärkeren Einsatz von 3D-Druck-Bauteilen. Darüber hinaus arbeiten wir an der Umsetzung des ›Digital Threads‹ in der Produktentwicklung – also einem roten Faden, der Informationen aus unterschiedlichen Punkten der Produktentstehung zusammenführt. So ergeben sich Optimierungsmöglichkeiten in der ­Produktion und sogar Perspektiven zur Erschließung komplett neuer Geschäfts­felder. Wichtig bei alldem ist, alteingesessene Denk- und ­Diskussionsmuster zu überwinden und Softwareentwicklungskompetenzen zu integrieren. « 
Raj Kotian, Teamleiter Architektur der Flugzeugkabine bei Bertrandt 

 

Text: Sabine Storch, Viktoria Feifer und Felix Schmidt 


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