Roboterarm zeigt nach links
Roboter im OP DirtyOpi / CC0 Public Domain unter pixabay.com

Roboter im OP-Saal: Medizintechnik trifft Robotik

Die Entwicklung medizinischer Roboter steht erst am Anfang. Ein guter Zeitpunkt für Ingenieure, jetzt einzusteigen

Es war damals eine Sensation: Robodoc, ein medizinischer Roboter aus den 1990er Jahren, fräste das Knochengewebe in Oberschenkelknochen für den Einsatz künstlicher Hüftgelenke vollautomatisch aus. Dafür benötigte er nur die Hälfte der Zeit wie ein menschlicher Kollege und sollte ihn an Passgenauigkeit ums Vielfache übertreffen. Doch nach der anfänglichen Euphorie über das neue Verfahren kam bald Katerstimmung auf: Der mechanische Arzt trug bisweilen zu viel Gewebe ab und dies an den falschen Stellen oder schädigte umgebende Gewebestrukturen. Die Folge: Probleme mit der Muskulatur. »Heute setzt ihn niemand mehr ein«, erzählt Professor Dr. med. Hanns-Peter Knaebel, Vorsitzender des Vorstands des Medizintechnologie-Herstellers Aesculap. Ein Fehltritt – und doch keineswegs das Ende der medizinischen Robotik.

Spannendes Tätigkeitsfeld für Ingenieure

Immer stärker entwickelt sich die Branche zu einem äußerst spannenden Tätigkeitsfeld für Ingenieure. Die Chirurgierobotik beispielsweise stehe erst am Anfang der Entwicklung, erläutert Prof. Knaebel. »Sicher werden vollautomatisierte Roboter die Chirurgie in den nächsten Jahren nicht beherrschen«, so der außerplanmäßige Professor der Universität Heidelberg.

»Wir sind jedoch überzeugt, dass schon bald automatisierte Teilprozesse im OP nicht mehr wegzudenken sind.«

Arbeiten am Fortschritt der medizinischen Robotik

Entwicklungsingenieure in privatwirtschaftlichen Unternehmen ebenso wie in der Wissenschaft treiben den Fortschritt der medizinischen Robotik beständig voran. So auch an der Technischen Universität München (TUM). Dort arbeiten Prof. Dr. Tim Lüth und sein Team am Lehrstuhl für Mikrotechnik und Medizingerätetechnik (MIMED) aktuell beispielsweise an patientenindividuellen chirurgischen Robotersystemen für die minimalinvasive Chirurgie. Die Roboter erinnern an kleine Schlangen: am Ende befinden sich zwei Arme für die Bewegung von kleinen Greifern und Scheren sowie ein dritter Arm für eine Mikrokamera. Durch diese kann der Arzt, der die Roboter per Joystick lenkt, die Bewegung im Körperinneren steuern.

Roboter für minimalinvasive Chirurgie

Auch wenn der Vergleich mit der Tierwelt den Robotern der TUM im ersten Moment fast Eigenleben einhauchen mag, sind sie letztlich doch nur zusätzliche Werkzeuge des Mediziners. Komplett autonom agieren, ohne den Arzt als Entscheider, können die Maschinen – nach heutigem Stand – nicht. Natürlich ist jedoch der höhere Autonomiegrad der Systeme eines der Ziele der Robotikentwicklung, so Florian Alexander Fröhlich, Teamleiter Medizinische Assistenzsysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die Ingenieure des DLR entwickelten den Leichtbauroboter MIRO, der für unterschiedliche Aufgaben in der minimalinvasiven Chirurgie eingesetzt werden kann. »Unsere Forschungsschwerpunkte sind neben der Verbesserung der Manipulierbarkeit, die hochwertige Rückkoppelung von zusätzlichen Informationen aus dem Inneren des Patienten sowie die Automatisierung von Teilschritten im Operationsablauf«, erläutert der Diplomingenieur der Technischen Kybernetik.

Drei Typen von medizinischen Robotersystemen

Insgesamt drei verschiedene Typen von medizinischen Robotersystemen identifiziert Professor Lüth von der TUM: Ferngesteuerte, wie sein eigenes Forschungsprojekt. Hands-on-Roboter, an denen ein Instrument zwar befestigt ist, jedoch durch den Arzt bewegt wird. Der Roboter ist dabei nachgiebig, kann aber die Bewegung eingrenzen. Ein Beispiel hierfür wäre etwa der Operationsroboter MAKO von Stryker, welcher Knie- und Hüftimplantate an die individuelle Anatomie der Patienten anpasst und ausrichtet – mit einer Präzision von unter zwei Millimetern, so die Hersteller. Zum dritten Typus, den vollautomatischen Robotern, zählte zum Beispiel der Robodoc. Heute wird diese Art von Robotern jedoch vor allem für bildgebende Verfahren wie beispielsweise der Röntgen- oder Ultraschalluntersuchung verwendet. Dabei fährt der Roboter auf einer vordefinierten Bewegungsbahn relativ zum Patienten – wie der Angiograph von Siemens, mit welchem mittels 3D-Bildgebungsverfahren Gefäßerkrankungen diagnostiziert und therapiert werden können.

Robotereinsatz bringt viele Vorteile im OP

Der Patient profitiert beim Einsatz medizinischer Robotik vor allem von kürzeren Operationszeiten und immer präziseren Eingriffen. Dies beginne bei einfachen Abläufen, wenn zum Beispiel während einer Operation ein Assistenzsystem Instrumente, eine Kamera oder Wundhaken halte, erklärt Professor Knaebel von Aesculap. Das Resultat: Geringeres Zittern, ruhigere, langsame gleichmäßige Bewegungen, schnellere Reaktionszeiten. Aber auch in komplexeren Anwendungsfällen wie etwa in der Herzklappenchirurgie bringe der Robotereinsatz Vorteile:

»Durch die 3D-Bildgebung erhält der Chirurg über die Optik eines Endoskops einen viel präziseren Blick auf den Ort des Geschehens im Inneren des Menschen – verglichen mit 2D oder gar einer offenen OP«,

so Prof. Knaebel.

Nachteil: Hohe Kosten

Die Kehrseite der Medaille: Der Preis. Der Orthopädieroboter MAKO von Stryker kostet allein eine Million US-Dollar. Gerade weil die Behandlung mit medizinischer Robotik häufig die teuerste Variante ist, müssen in der Roboterentwicklung besonders der Anwendungsbedarf, das medizinrechtliche Zulassungsverfahren und die Kosten im Auge behalten werden. »Robotik-Ingenieure lieben Roboter und wollen am liebsten alles mit Robotern machen«, gibt Tim Lüth zu bedenken. »Daher scheitern in mehr als 90 Prozent der Fälle alle Medizinroboterentwicklungen an Bedarf, Praktikabilität und Preis.«

Das sollten Ingenieure für die medizinische Robotik mitbringen

Ingenieure, die in der medizinischen Robotik einsteigen wollen, sollten logisches Denkvermögen, ein gutes Prozessverständnis und eine starke medizinaffine Grundneugier mitbringen, so Professor Knaebel von Aesculap. »Vieles für die berufliche Praxis eignen sich Absolventen während ihrer Einarbeitung an und schulen dabei weiterhin ihr offenes Ohr für die Medizin.« Tim Lüth von der TUM rät, selbst auf Tuchfühlung mit der Krankenhauspraxis zu gehen:

»Ingenieure sollten wissen, wie es im OP abläuft, um nicht an Bedarf und Praxistauglichkeit vorbei zu entwickeln.«


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