Herr Weber, alles digital, alles anders: Was ist derzeit die deutlichste Veränderung, die Ingenieure als Arbeitnehmer durch die Digitalisierung zu spüren bekommen?
Hier sind zwei Trends zu nennen: Erstens, das Veränderungs- und Innova-tionstempo wird höher. Wer sich nicht mit der Digitalisierung beschäftigt und darauf reagiert, kann ganz schnell in Bedrängnis kommen – sowohl auf Seiten der Unternehmen als auch bei den Arbeitnehmern selbst. Und zweitens, mit diesen Veränderungen gehen neue Kompetenzbedarfe einher. Klassische Maschinenbauunternehmen bauen massiv ihre IT-Kompetenzen aus. Ingenieure müssen verstärkt Algorithmen programmieren können und etwas von künstlicher Intelligenz verstehen. Weiterhin verlangt die massenweise Erhebung und Auswertung von Daten nach Data Scientists, die daraus dann auch Geschäftsmodelle entwickeln können. Hier ist gerade viel im Fluss und am Neu-Entstehen.
Wie schätzen Sie die Lage ein: Ist die digitale Transformation der Arbeitswelt von Ingenieuren schon überwiegend abgeschlossen oder sind wir gerade erst mittendrin?
Wir stehen noch am Anfang. Viele Unternehmen beschäftigen sich zwar bereits mit Industrie 4.0, die großen, flächendeckenden Auswirkungen werden aber noch kommen. Neue Geschäftsmodelle, neue Kompetenzanforderungen und neue Organisationsmodelle für Arbeit sind gerade am Entstehen und werden die Wirtschaft erst in den kommenden Jahren in voller Breite erfassen.
Welche Trendthemen werden Ingenieure im Zuge der Digitalisierung in den nächsten Jahren verstärkt beschäftigen?
Kompetenzen an den Schnittstellen der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen werden zunehmend wichtiger. Das heißt nicht, dass jeder Maschinenbauingenieur nun zum Programmierer wird, aber er sollte beispielsweise so viel von Informatik verstehen, um seine Anforderungen und Bedarfe an einen Programmierer klar formulieren zu können. Genauso sollte ein Elektrotechnikingenieur so viel Statistik und Datenanalyse beherrschen, damit er in der Lage ist, seine Maschinen zu monitoren und die richtigen Rückschlüsse zu ziehen. Ingenieure, die über ihre Disziplin hinausblicken und mit Personen aus anderen Bereichen kommunizieren können, gewinnen an Bedeutung.
Nun steht der Nachwuchs vor der Herausforderung, sich diesen veränderten Kompetenzanforderungen anzupassen. Was ist zu tun?
Ein prägendes Element der Digitalisierung ist, dass wir noch nicht so genau wissen, wohin die Reise geht und dass das Veränderungs- und Innovationstempo bei Technologien, Geschäftsmodellen und auch Organisationsformen zunehmend höher wird. Darauf müssen junge Ingenieure mit der Bereitschaft und auch Fähigkeit zur kontinuierlichen Fortbildung und Anpassung reagieren. Ein Erststudium am Anfang der beruflichen Laufbahn kann noch weniger als früher auf 35 Jahre und mehr Berufsausübung vorbereiten, sondern wird regelmäßig aktualisiert und ergänzt werden müssen.
Neben der fachlichen Expertise werden auch überfachliche Qualifikationen immer wichtiger: Welche Skills sind in Zeiten der Digitalisierung besonders gefragt?
Die Basis eines guten Ingenieurs bilden auch in Zeiten der Digitalisierung die grundlegenden Fachkenntnisse. Wer seine Hard Skills nicht beherrscht, kann kein guter Ingenieur sein – das hat eine Umfrage von uns klar herausgefunden. Soft Skills sind dennoch relevante Ergänzungen: Hier sind vor allem die Fähigkeit zur kontinuierlichen Weiterentwicklung, Team- und Kommunikationsfähigkeit sowie ein hoher Grad an Eigenständigkeit zu nennen. Der Maschinen- und Anlagenbau als sehr international orientierte Industrie wertschätzt zudem Fremdsprachenkenntnisse, interkulturelle Kompetenzen und die Bereitschaft, auch mal im Ausland aktiv zu werden und dort Zeit zu verbringen.
Der einzelne Ingenieur ist auch immer Kind seiner Ausbildung. Produziert Bildungsdeutschland aktuell den Ingenieurnachwuchs, den es braucht, um an der Spitze zu bleiben?
Ja und Nein. Die deutsche Ingenieurausbildung ist top, das bestätigt nicht zuletzt der Markterfolg der Unternehmen. Damit das aber so bleibt, sind vielfältige Herausforderungen zu bewältigen: Die Studienabbruchquoten sind nach wie vor zu hoch. Die Lehre und die durchaus vorhandenen guten didaktischen Leistungen der Professoren genießen an den Hochschulen immer noch zu wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung. Außerdem ist die Praxisorientierung der Studiengänge häufig ausbaufähig. Auch die Curricula müssen regelmäßig überprüft und gegebenenfalls aktualisiert werden. Es darf sich also nicht auf den bestehenden Erfolgen ausgeruht werden, sondern muss kontinuierlich an der Verbesserung von Studiengängen und Bildungsangeboten allgemein gearbeitet werden.
Zur Person: Thilo Weber, Referent für Bildungspolitik und zuständig für die Themen Wissenschaftspolitik und Ingenieurstudium im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA)