Digitalisierung***COVID-19***Corona
Gerd Altmann | Pixabay

Die Corona-Digitalisierung

Dr. Ingo Isphording ist Leiter des Forschungsteams ›Kompetenzentwicklung‹ am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. Hier spricht er über die digitalen Folgen von COVID-19 und die Lehre 2.0

 

Herr Dr. Isphording, inwiefern wird die COVID-19-Pandemie unser Zusammenleben verändern?

»Viele Lebensbereiche werden digitaler aus der Krise kommen als sie es vorher waren. Viele Menschen haben ihre Scheu und Vorbehalte vor Online-Meetings und Videochats verloren. Jetzt zwangsläufig erprobte digitale soziale Interaktion wird in einigen Bereichen zum neuen Standard. Gleichzeitig zeigt die Krise aber auch die Nachteile und Grenzen der digitalen Kommunikation auf. Manch einer sehnt sich aus dem Homeoffice wieder ins Büro zurück – oder den Besuch der Verwandtschaft herbei. Ich hoffe aber, dass in jedem Fall zwischenmenschliche Kontakte, ob digital oder analog, wieder etwas bewusster gepflegt werden.«

 

Durch die Corona-Krise sind Online-Lehre und Homeoffice plötzlich in ganz neuem Ausmaß möglich – werden wir eine neue Form digitaler Arbeit und digitalen Lernens erleben?

»Wir sollten nicht davon ausgehen, dass die unter dem Druck der Corona-Krise eingeführten Digitalisierungsmaßnahmen dem Qualitätsanspruch genügen, den wir zurecht an unsere Hochschullehre stellen. Zur Digitalisierung von Studiengängen ist eine langfristige Strategie vonnöten. Vor allem muss stetig empirisch überprüft werden, welche Auswirkungen die neuen Maßnahmen und Strukturen auf Lernerfolg und soziale Ungleichheit haben. Nicht alles, was jetzt plötzlich digital möglich ist, ist auch in Zukunft wünschenswert und der Präsenzlehre überlegen. Meine größte Sorge ist, dass Maßnahmen und Strukturen, die jetzt notwendigerweise überstürzt eingeführt werden, später unreflektiert in den Regelbetrieb übernommen werden. Wichtig hierbei ist empirische Evaluation im Rahmen von kontrollierten randomisierten Feldstudien, wie sie auch bei neuen Medikamenten zu Recht vorgeschrieben sind, um die Wirksamkeit zu belegen und Nebenwirkungen auszuschließen. An den gleichen Standard sollten wir uns auch bei Digitalisierungsmaßnahmen halten, die grundsätzlich die Art und Weise ändern, wie wir unsere Studierenden ausbilden.«

 

Wo steht Deutschland bei der Digitalisierung im Vergleich zu anderen Staaten?

»Leider nicht sehr weit vorne. Die Expertenkommission für Forschung und Innovation der Bundesregierung hat 2019 festgestellt, dass nur 14 Prozent aller Hochschulen eine Strategie zum Thema Digitalisierung vorweisen konnten. Unsere Nachbarn, zum Beispiel Dänemark, sind hier deutlich fortschrittlicher – möglicherweise auch, weil Digitalisierungsentscheidungen auf nationaler Ebene getroffen werden und deshalb nicht von langsamen und veralteten Governance-Strukturen der Hochschulen verhindert werden oder im föderalistischen Dickicht der Länderkompetenzen feststecken.«

 

Wie wichtig ist eine digitalisierte Lehre an Universitäten für Deutschlands Zukunft?

»Digitale Lernangebote, bis hin zu rein digitalen Fernstudiengängen, eröffnen breiteren Bevölkerungsschichten einen Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen. Das ist zunächst eine gute Sache. Denn von der hohen Flexibilität digitaler Studiengänge profitieren vor allem Menschen, die aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen, der Pflege von Angehörigen oder Kinderbetreuung kein reguläres Präsenzstudium aufnehmen können. Gleichzeitig warne ich aber davor, die mit der heißen Nadel gestrickten Online-Angebote nach der Corona-Krise ohne rigorose empirische Überprüfung der Effekte zu übernehmen. Durch eine Reihe internationaler Studien ist sehr fundiert belegt, dass reine Online-Angebote im Vergleich zu Präsenzangeboten zu geringerem Lernerfolg führen – vor allem bei den leistungsschwächeren Studierenden. Würden wir jetzt also überstürzt auf digitale Lernformate umstellen, könnten sich die bestehenden Ungleichheiten beim Bildungserfolg verschärfen.«

 

Inwiefern sind Online-Prüfungen eine Alternative?

»Häufig wird unterstellt, Online-Prüfungen müssten sich auf einfache Multiple-Choice-Aufgaben beschränken, die schwerlich dem akademischen Anspruch gerecht würden, gerade in den verbal geprägten geisteswissenschaftlichen Studiengängen. Große private Anbieter von Fernstudiengängen experimentieren aber schon seit längerem erfolgreich mit reinen Online-Prüfungen, die zum Teil hochkomplex sind. Dabei wird oft auf das sogenannte ›Online-Proctoring‹ gesetztdas auch von privaten Firmen als Service angeboten wird: Externe Prüfer beaufsichtigen die Prüflinge per Video-Telefonie und vermerken etwaige Betrugsversuche.«

 

Was muss dafür verändert werden?

»Online-Prüfungen in dieser Form haben sich in der Praxis schon bewährt, verlangen aber nach stabilen Internetverbindungen. Das ist bekanntermaßen im ländlichen Raum immer noch ein großes Problem, wie die aktuellen Beschwerden über instabile Videokonferenzen bestätigen. Darin könnte also eine weitere Quelle von Ungleichheit liegen.«

 

Welche Chancen bieten sich hier für Deutschland?

»Gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel profitieren Arbeitsmarkt und Gesellschaft von einem Ausbau der Online-Angebote: Durch die bessere Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Bildung kommen so mehr Menschen in den Genuss einer akademischen Ausbildung. Um steigende Ungleichheit bei Bildungschance und -erfolg zu verhindern, sollte jedoch Wert darauf gelegt werden, wesentliche Bestandteile des Präsenzstudiums – persönlicher Kontakt zu den Lehrenden, persönliche Ansprache und soziale Eingebundenheit in eine Studierendenschaft – durch geeignete Hilfsmittel in den digitalen Raum zu überführen. Auch hier hilft ein Blick in Richtung der etablierten privaten Anbieter digitaler Fernstudiengänge, die mit innovativen Social-Networking-Instrumenten eine intensive Interaktion mit den Lehrenden, aber auch unter den Studierenden ermöglichen.«


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