Bildrechte: Pexels / Matthias Zomer

Granny allein zuhaus

Senioren und Technik – Welche Rolle Ingenieure und Informatiker dabei spielen

Jede zweite Person in Deutschland ist älter als 45 Jahre. Jeder Fünfte ist laut einer Studie des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2019 sogar älter als 66 Jahre. Längst ist der demographische Wandel in Deutschland angekommen. Aufgrund des ansteigenden Anteils der älteren Bevölkerungsgruppen bei gleichzeitig sinkendem Anteil junger Bevölkerung, verschiebt sich der demographische Rahmen immens und wirkt sich signifikant auf das gesellschaftliche Zusammenleben aus. Vor allem im
Gesundheitsbereich eröffnet die Digitalisierung ganz neue Möglichkeiten, um eine altersgerechte und gute gesundheitliche Versorgung zu gewährleisten. Aber welche Stolpersteine existieren dabei? Welche Möglichkeiten bietet dieses Feld? Wen braucht es für die Entwicklung digitaler Anwendungen und wie steht's um die digitalen Kompetenzen der Zielgruppe?

Reif für's Alter?

Professor Ursula Lehr, Ehrenvorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, stellte sich schon vor einigen Jahren die Frage »Ist das Internet reif für die Ältern?« Denn ihrer Meinung nach seien viele Anwendungen nicht intuitiv bedienbar und erfordern digitale Kompetenzen. Erst wenn diese Kompetenzen von der älteren Bevölkerung erworben werden, könne Technologie das Leben bereichern und eine Teilhabe gewährleisten. Wie erleichternd wären zum Beispiel digitale Applikationen zur Bestimmung des Blutzuckers, der Herzfrequenz oder anderer Vitaldaten? Zudem können Anwender mithilfe von modernen Kommunikationstechnologien Beziehungen pflegen und Kontakt zu vertrauten Personen aufrechterhalten. In Sachen Mobilität punkten Online-Sprechstunden mit digital geführter Pflegeakte. Benefits hier: Weniger Stress und eine Menge Unabhängigkeit. Empirische Studien belegen allerdings, dass vor allem ältere Menschen, die ihre eigene Kompetenz im Umgang mit derartigen Technologien als gering einschätzen, diese Gesundheitsangebote weniger nutzen. An diesem Punkt braucht es Erkenntnisse darüber, wie man Angst, Unsicherheit und Zweifel älterer Menschen ausräumen und altersgerechte Voraussetzungen für den Umgang mit und den Zugang zu modernen Technologien schaffen kann. Absolvierenden aus Bereichen wie der »Human-Computer Interaction« oder Softwareentwicklung bietet die multidisziplinäre Forschung hier das perfekte Spielfeld zum Austoben. Wichtig: Grundlegend für den Zugang zu älteren Menschen sind nicht nur technische Fertigkeiten, sondern auch soziale Skills. Denn ohne Vertrauen und Einfühlungsvermögen läuft in puncto digitale Vermittlung absolut gar nichts. »Die Idee einer bestimmten digitalen Technologie oder eines Hilfsmittels kann noch so gut sein – wenn sie nicht für und mit der Zielgruppe gemeinsam entwickelt wird und deren Bedarf trifft, wird sie nicht akzeptiert und folglich auch nicht verwendet. Der Markt braucht daher nicht nur das technische Know-how zur Entwicklung der digitalen Technologien/Hilfsmittel, sondern auch die (Gestaltungs-)Kompetenz, Anforderungen gemeinsam mit teils wenig technikaffinen Zielgruppen zu definieren, zu iterieren und in ein ganzheitlich nutzerzentriertes Produkt zu überführen, das den Bedarfen der Zielgruppe entspricht und von dieser ohne Ängste und Unterstützung von außen genutzt werden kann«, so Martina Simon, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Gruppe Human-Centered Innovation. Sie ist Teil der Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS. Neben den technischen Fachbereichen Informatik und Ingenieurwissenschaft spielen Psychologie, Human-Computer Interaction, aber auch Product Design eine übergeordnete Rolle, da sie besonders die Nutzersicht im Blick haben.

Einsatz in vier Wänden, nur anders

Haben ältere Semester den Absprung in die Digitalisierung einmal geschafft, stehen ihnen quasi alle Türen offen. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn Smart Homes, sogenannte »Ambient Assisted Livings (AAL)« schaffen den perfekten Rahmen für altersgerechtes Wohnen. Egal ob die Wohnungstür noch sperrangelweit offen steht oder über einen längeren Zeitraum keine Aktivität im Haus aufgezeichnet wird: Systeme, die die Sicherheit im häuslichen Umfeld sicherer machen sollen, haben sich in der professionellen Pflegearbeit hierzulande breit etabliert. Auch praktikabel: elektronisch verstellbare Betten, Sensormatten mit Alarmfunktion, Sturz- und Dekubitusprophylaxe – diese ermöglicht die ausreichende Sauerstoffversorgung von Haut und Gewebe und beugt Wundliegen vor. Um genau diese Enwicklung weiter voranzutreiben und jüngere Generationen für die Wichtigkeit dieses Bereichs zu sensibilisieren, sprießen in den letzten Jahren immer mehr Projekte aus dem Boden, die sich mit genau dieser Materie befassen. So auch das Chemnitzer Projekt »WohnXperium« oder das »WohnXLab« der Hochschule Hof, das im Rahmen des Studiengangs »Innovative Gesundheitsversorgung« enstanden ist. Dekan Prof. Gerald Schmola erklärt den Hintergrund der multimodularen Erlebniswelt so: »Bedarfe und Bedürfnisse dieser Personengruppen werden auf diesem Weg anwendungsorientiert vermittelt. Zugleich werden in diesem Labor Hilfsmittel, Technologien und digitale Anwendungen direkt und in praxisnahen Szenarien ausprobiert und auf ihre individuelle Eignung hin überprüft.« Wer sich nach dem Studium mit Herzblut diesem Bereich widmen möchte, beschäftigt sich also interdisziplinär mit den Schnittstellen der Gesundheitsversorgung, Informatik und den Ingenieurwissenschaften, aber auch mit Inhalten aus Medizin, Psychologie, Pädagogik und dem Management.

Ist da IT drin?

Neben Sensoren an Wänden, Kleidung und Böden sind unter anderem intelligente Matratzen in der Lage, Vitaldaten zu messen und für das pflegende Umfeld zur Verfügung zu stellen. Möglich macht's die stetige Weiterentwicklung des IT-Bereiches, die mit spezifischen Weiterbildungsmöglichkeiten einhergeht: Der Masterstudiengang »Gesundheitswesen IT« bereitet Absolvierende beispielsweise darauf vor, den Bereich Pflege und Medizin 4.0 weiterzuentwickeln. Neben der Vermittlung klinischer Technik, Bereichen wie dem »Ambient Assisted Living«, der Biophysiologie und Neurowissenschaften oder der Entwicklung mobiler Anwendungen werden Studierende hier auf die Arbeit in Bereichen wie E-Health, der Telemedizin, Medizintechnik und IT-Architektur vorbereitet. Der Mix aus technischem und medizinischem Wissen ermöglicht Absolvierenden, sich sozialen Problemen wie betreutem Wohnen und digitalen Aktivitäten des Alltags im Lebensabend zu widmen und der alternden Gesellschaft so optimal unter die Arme zu greifen. Aber auch Wissenschaft und Forschung bieten ein weiträumiges Lernumfeld zum Flügel ausstrecken und wachsen: Bei »PRAXLABS« werden beispielweise innovative Informations- und Kommunikationsanwendungen in Praxisfeldern wie der alternden Gesellschaft, kooperativer Arbeit, Industrie 4.0 und dem Internet of Things untersucht.

Paradigmenwechsel gegen Stigmatisierung

Übergroße Telefon-Bedienfelder und Displays in Kofferradio-Größe waren gestern. Der Fokus liegt heute auf dem Zusammenspiel von Bedienbarkeit und Ästhetik. Zur Umsetzung dieser Komponenten ist es unerlässlich, den ingenieurwissenschaftlichen Bereich um Disziplinen wie Design und Gerontologie zu erweitern. Nice to know: Haptisches Feedback im Rahmen kommunikationstechnologischer Anwendungen ist der Schlüssel, denn neben dem Hör- und Sehvermögen bleibt der Tastsinn am Längsten erhalten. Dafür braucht es weder übergroße Technik-Gadgets, noch grell leuchtende Lichter in Verbindung mit laut schrillenden Signalen. Denn Integrität funktioniert in diesen Zeiten auch ohne offensichtliche Altersanpassung.

 


Anzeige

Anzeige