Stell dir doch mal vor, du fährst für den regelmäßigen Corona-Test zum Drive-Through-Zentrum. Dort begrüßt dich allerdings kein maskierter Mensch in luftdichter Schutzkleidung, sondern ein kastiger Automat – fast wie im Parkhaus. Nach ein paar Klicks und Scans rutscht ein kleines Teströhrchen heraus, mit dem du dann selbst den Abstrich machst und ihn völlig kontaktfrei wieder abgibst. Was jetzt noch Vorstellung ist, kann schon bald sehr realistisch sein. Im unterfränkischen Dorfprozelten finden erste Pilotprojekte mit dem Testautomaten statt. Das Geheimnis hinter der roten Fassade, ist ein gelber Roboterarm, entwickelt von der Firma »BoKa Automatisierung«.
Eigentlich scheint die Rechnung so einfach zu sein: In der Pandemie kommt es vor allem darauf an, überall Kontakte zu vermeiden. Was liegt da näher, als den Einsatz von Robotern in möglichst vielen Bereichen zu nutzen. Die nämlich sind steril und werden niemals krank. Und tatsächlich ließt man immer wieder von neuen Innovationen, die den Menschen in der kriselnden Zeit unterstützen sollen. Da gibt es Künstliche Intelligenzen, die tagtäglich tausende von Masken produzieren können oder rollende Helfer, die mit Infrarotlicht Krankenhauszimmer desinfizieren. Auch im Altenheim können Roboter nützlich sein, wenn sie als nette Kommunikationsautomaten eine Videoverbindung mit den lieben Verwandten herstellen.
Rollt der Robo-Rubel?
Mag die Euphorie über diese neuen Ideen auch groß sein, die Realität sieht auch in diesem vielversprechenden Fall etwas anders aus. Denn auch die Robotik-Branche merkt die finanziellen Einbrüche durch Corona. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) schätzt für 2020 einen Umsatzrückgang von 20 Prozent. Noch bis 2018 war die Branche von stetigem Wachstum begleitet.
Allerdings sieht die Lage für Freunde der Industrie 4.0 am besten aus. Die Zahl der Firmen, die auf der Suche nach Fachkräften in diesem Bereich sind, hat sich zwischen 2016 und 2019 auf 30 Prozent verdoppelt.
Auch Expert*innen sehen die Potentiale, der heutigen Zeit, die auch durch die Pandemie entstanden sind: gerade in Bereichen wie Medizin, Pflege und – dank mehr Online-Shopping – auch der Lieferbranche.
»Ein großer Bedarf an Robotik«
Prof. Tobias Kaupp von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt sieht besonders in zwei Bereichen großes Potential für zukünftige Entwicklungen: die Produktion und Intralogistik.
»In der Produktion geht es darum, Montage- und Fertigungsvorgänge zunehmend mit Hilfe der Robotik zu automatisieren. Das ist nötig, um Produktionsstandorte in Hochlohnländern zu erhalten, und hält letztendlich Arbeitsplätze in Deutschland. Zusätzlich werden Arbeiter von ergonomisch ungünstigen und eintönigen Arbeiten entlastet und können für Aufgaben eingesetzt werden, die besser den menschlichen Fähigkeiten entsprechen.« In der Logistik macht der Experte für Digitale Produktion und Robotik besonders auf den sinnvollen Einsatz fahrerloser Transportsysteme aufmerksam. Diese ermöglichen ein weitaus zeiteffizienteres Arbeiten innerhalb von Firmen.
Rise Up im Start-up
Soweit ist die Sache klar: Die Robotik wird in den folgenden Jahren immer mehr zum normalen Teil unserer Arbeitswelt. Doch wo sollen all die neuen die Systeme und Maschinen, die unseren zukünftgen Alltag besser machen sollen, herkommen?
Eine mögliche Antwort darauf sind die Vielzahl von Start-up-Unternehmen, die sich innerhalb der letzten Jahre gegründet haben. Viele junge Firmen konzentrieren sich dabei vor allem auf die Entwicklung eines spezifischen Teilbereichs von Robotik. So istdas Münchener Start-up »Robotise« in erster Linie auf die Entwicklung von Service-Automaten, bspw. für Pflege oder Hotelerie spezialisiert. Für Oliver Stahl, CEO bei Robotise liegen die Vorteile von start-Ups auf der Hand. In erster Linie sei ein Job in der Robotik zukunftssicher und gerade in der jungen Branche von enorm schnellem Wachstum geprägt. Als Fähigkeiten, um in der Robotik richtig duchzustarten, nennt Stahl vor allem »Problemlösungskompetenz, Fähigkeiten im Selbstmanagement wie aktives Lernen, Stresstoleranz Flexibilität« und natürlich sollten auch Fähigkeiten im Programmieren am Start sein. Gerade für Ingenieure ist auch ein Gefühl für räumliches Denken und ein Faible für Mathe nötig. Außerdem: »Integrationskompetenz«. Stefan May, Professor für Automatisierungstechnik und Mobile Robotik an der TH Nürnberg meint damit »die ganzheitliche Betrachtungsweise der Roboteranwendung. Das Lösen von technischen Problemstellungen umfasst meist mehr als nur eine Disziplin. Man stelle sich vor, dass ein Roboter eine komplexe Handlung durchzuführen hat, z.B. das Öffnen einer Tür. Hierbei sind sofort mechanische und regelungstechnische Konzepte beteiligt«.
Unterm Strich
Wie sieht die Tendenz für den Robo-Arbeitsmarkt aus? Hat sich die Corona-Pandemie positiv oder negativ auf die Branche ausgewirkt?
Stefan May sieht lediglich einen »verzögernden Effekt. Einige Investitionen wurden aufgeschoben, was sicherlich das eine oder andere Unternehmen in Schieflage brachte. Allerdings denke ich, dass der Markt technische Wettbewerbsvorteile auch während der Corona-Pandemie weiterentwickelt und sich ein Investitionsstau auch wieder auflöst.«
Stellt sich nur noch die Frage, die immer wieder bei Arbeits-Ethiker*innen aufkommt: Öffnen wir mit der Robotik nicht eine Büchse der Pandora, die am Schluss mehr Arbeitsplätze verschlingt, als sie schafft? Tobias Kaupp ist da vollkommen anderer Ansicht. Zwar wird der Umschwung nicht komplett intuitiv ablaufen, langfristig kommt es allerdings zu einer sinnvollen Umschichtung und Zunahme von Arbeitsplätzen: »Während Jobs mit geringeren Anforderungsprofilen verschwinden, werden gleichzeitig neue und besser bezahlte Arbeitsplätze geschaffen – unterm Strich sind in der Vergangenheit mehr Arbeitsplätze entstanden als gleichzeitig abgebaut wurden.«