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Lebensmitteltechnik 2023

Unsere Nahrung wird teurer und teilweise knapper. Technische Entwicklungen helfen mit, dass auch in Zukunft alle satt werden.

Nehm' ich die Tomaten? Dafür dann aber nicht die Paprika! Oh, oh, die Butter ist schon wieder teurer geworden! So oder so ähnlich ging es sicherlich in einigen Köpfen von Supermarkt-Kunden innerhalb der letzten Monate zu. Die Preise für Lebensmittel sind teilweise enorm gestiegen und viele wägen ab, was in den Einkaufskorb kommt. Ein Nebeneffekt, der trotz der äußerst misslichen Lage dabei eintritt: Es entsteht eine Wertschätzung für Lebensmittel. Bisher war es oft selbstverständlich in den Laden zu gehen und das Glas Gurken, das Stück Käse oder die Tafel Trauben-Nuss-Schokolade aus dem Regal zu nehmen. Es ist momentan ein guter Zeitpunkt einmal in sich zu gehen und die Frage zu stellen: Was kauf' ich da eigentlich genau? Denkt man einmal darüber nach, ist viel Arbeit nötig, bis die Waren im Regal landen und es braucht eine ganze Menge Arbeitskräfte. Wer garantiert, dass mein Gurkenglas dicht ist? Wer verhindert Keime im Käse? Wer sorgt für das genau richtige Verhältnis von Trauben und Nüssen in der Schokolade? Und vor allem: Wer kümmert sich darum, dass sich unsere Nahrung weiterentwickelt sowie energiesparender und klimaneutraler wird? Viele Fragen und nur eine Antwort: Technikerinnen und Techniker.

Sicheres Fleisch

Mittlerweile hat das Angebot an technischen Studiengängen rund um die Ernährung beachtlich zugenommen. Bei hochschulkompass.de werden einem 120 Studiengänge für das Stichwort »Lebensmittel« angeboten. Einer davon ist das Fach »Lebensmitteltechnologie« an der Hochschule Neubrandenburg. Dort lehren Prof. Marco Ebert und Prof. Heralt Schöne im Fachbereich Agrarwirtschaft und Lebensmittelwissenschaften. Auch sie vermitteln ihren Studis die Relevanz der Sicherheit unserer Nahrung: »Die wichtigste Aufgabe der Lebensmittelsicherheit ist der Schutz der Verbraucher*innen vor Infektionen, die hauptsächlich von Bakterien ausgelöst werden«, erklären die Professoren. »Zu nennen sind beispielsweise Listerien, die allgegenwärtig sind, aber bei zu hoher Konzentration geschwächte Personen krank machen können.« Besonders hoch müssen diese Sicherheitsstandards in der Produktion tierischer Lebensmittel sein. In den letzten zwanzig Jahren haben uns zahlreiche Zoonosen vor Augen geführt, welche gravierenden Auswirkungen falsche Tierhaltung und fehlende Hygiene in Ställen haben können. Auch Antibiotikarückstände im Fleisch sind Probleme, die von fähigen Technikern gelöst werden müssen – zum Beispiel durch die Entwicklung von geeigneten Alternativen. »Fleischersatzprodukte sind ein Beitrag zum Umwelt- und Ressourcenschutz«, so die Professoren Ebert und Schöne. »Sie sorgen dafür, dass über die gesamte Produktionskette hinweg weniger Dünger, weniger Einträge von Stickstoff und Phosphor in Oberflächengewässern und eine geringere Emission von Treibhausgasen als bei der Fleischproduktion stattfinden.« Die Hochschule Neubrandenburg bietet diesbezüglich mittlerweile sogar Spezialisierungen zu nachhaltiger Lebensmittelproduktion vegetarischer und veganer Lebensmittel an. Auch wenn diese Perspektiven auf den ersten Blick nur für Ingenieure, Anlagen- und Maschinenbauer interessant wirken, gibt es ebenfalls für Informatiker alle Hände voll zu tun, denn auch Prozessautomation kann Lebensmittel sicherer machen wie Marco Ebert und Heralt Schöne zeigen: »Eine vollständig automatisierte Dokumentation der Herkunft und gesamten Logistikkette einschließlich des Produktionsbetriebes hilft, Kontaminationsquellen ausfindig zu machen, bevor ein Schaden einen größeren Teil der Lebensmittel erfasst hat.«

Geschmack – Voll – Milch

Die Möglichkeiten von Automatisierung und Künstlicher Intelligenz hören an dieser Stelle allerdings noch längst nicht auf. Neben der Sicherheit für Verbraucher, ist es die Wirtschaftlichkeit, die permanent aufrechterhalten werden muss. Auch für die Analyse der Kundenbedürfnisse bietet sich der Einsatz von KI an, wie beispielsweise das finnische Lebensmittelunternehmen »Valio« zeigt. Mit deren Hilfe habe man 1,5 Millionen öffentliche Diskussionen über Milchschokolade in den sozialen Medien aus der ganzen Welt analysiert sowie mehrere hundert Menschen nach ihren Vorlieben befragt. »Die Beobachtungen und Auswertungen von Unterhaltungen auf sozialen Medien haben es uns ermöglicht, Rückschlüsse auf authentische Verbrauchervorlieben zu ziehen«, sagt Valios Senior Vice President Timo Pajari. Festgestellt habe man dabei, dass Schokoladenliebhabern sowohl die große Geschmacksvielfalt wichtig ist, als auch die Nährwerte des Riegels zunehmend relevant werden. Viele wünschten sich eine Reduktion des hohen Zuckeranteils. Das Unternehmen hat sich diese analysierten Vorlieben nun zu Nutze gemacht, um »The Bar« zu entwickeln, die Pajari als »Milchschokolade der Zukunft« bezeichnet. Insgesamt habe diese durch Informatik entwickelte Schokolade 30 Prozent weniger Zucker und ist in verschiedenen Geschmacksrichtungen erhältlich. Ziel von »Valio« sei es nun, technische Lösungen zu entwickeln und komplett auf den Zusatz von Zucker zu verzichten. »Wir sehen, dass die Milchschokolade der Zukunft weniger Zucker und nur natürliche Bestandteile enthält, ohne dabei dem bekannten Geschmack zu schaden«, schließt Timo Pajari. Man könne die KI nutzen, um noch bessere Produkte für die sich ändernden Bedürfnisse und Wünsche der Verbraucher zu schaffen.

Nicht ohne Sensor

Mehr Beispiele für den Einsatz von Technikerinnen und Technikern gefällig? Der nächste Gang wird gleich serviert. Doch halt! Riecht es hier nicht etwas streng? Tja, die Krux an der Vereinbarung von Technik und Lebensmitteln ist oft ihre Natürlichkeit. Jeder Nahrungsrohstoff ist etwas natürliches und somit hoch individuell. Um doch den Zustand von Lebensmitteln kontrollierbar zu machen, leistet die Sensortechnik einen großen Dienst, dessen Relevanz immer sichtbarer wird. Unter der Führung der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe entsteht auf dem Campus in Lemgo derzeit ein neues Forschungsinstitut rund um Lebensmittel – die sogenannte »Smart Food Factory«. Auf insgesamt 1.500 Quadratmetern sollen eine Werkhalle, Labore, Seminar- und Vortragsräume entstehen, um die »Lebensmittelindustrie 4.0« voran zu bringen und »smarte« Nahrung zu produzieren. »Wir wollen Lebensmittelproduktionsprozesse vom ersten bis zum letzten Produktionsschritt überwachen und verstehen«, erklärt Dr. Andrea Dacis, die Projektleiterin der Factory. Besonders entscheidend soll dabei die Sensortechnik zum Einsatz kommen. Diese ermöglicht es, die Lebensmittel zu untersuchen und auf ihre Eigenschaften zu überprüfen. In der Produktion können sie so individueller genutzt werden. Verhindert werden kann dadurch beispielsweise, dass eine ganze Charge von Rohstoffen aussortiert wird und so nachhaltige und wirtschaftliche Effekte für den ganzen Produktionsapparat entstehen. Weitere technische Möglichkeiten für Sensoren kommen in der Verpackungsindustrie zum Einsatz, die unmittelbar mit der Herstellung von Lebensmitteln verknüpft ist. Auch wenn es mittlerweile viele spannende Projekte mit alternativen Verpackungsmöglichkeiten gibt, bleibt der Kunststoff wohl doch noch einige Zeit die Nummer Eins im Lebensmittelbereich. Die Bemühungen sind dabei groß, möglichst recyceltes Material zu verwenden. Damit bei der Wiederverwendung die Äpfel allerdings nicht nach Waschmittel schmecken, weil alte Weichspülerflaschen hierfür recycelt wurden, haben die Ingenieure der Universität des Saarlandes unter anderem erforscht, wie Sensoren zuverlässig Gerüche identifizieren können. Gelingt es Sensoren, Geruchsrückstände beim Plastikrecycling aufzuspüren, könnten Kunststoffe zielgenauer wiederverwertet werden. Auch bei Projekten wie diesen sind immer wieder Techniker für die weitere Entwicklung gefragt.

Appetit bekommen?

Zurück bei den Professoren Marco Ebert und Heralt Schöne lässt sich erfahren, was es denn genau braucht, um sich als Ingenieur oder Informatiker für unsere Nahrung einzusetzen. »Das erforderliche Fachwissen wird besonders in den technologischen Modulen wie Fleischtechnologie, Technologie der Gemüse, Früchte und Öle, Milchtechnologie, Mikrobiologie und Qualitätsmanagement des Studiums Lebensmitteltechnologie vermittelt«, berichten die Dozenten aus ihrem eigenen Lehralltag. »Soft Skills sind unter anderem Führungskompetenzen sowie die Fähigkeiten zur Mitarbeiter*innen-Motivation, zum selbständigen Arbeiten, zum lebenslangen Lernen und Teamfähigkeit.« Dieses Wissen und diese Skills befähigen einen Einsatz in jeglichen Bereichen der Lebensmittelindustrie, aber auch in Behörden oder Forschungsinstituten.


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