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Never ending city – Ingenieure im Städtebau

Städte sind cool. Leider aber auch voll, laut und ohne Zukunftskonzept? Wie Ingenieure das ändern.

Es ist Montagmorgen, die ersten Pendler fahren müde in die Stadt hinein – manche mit dem PKW, andere mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Rush Hour. Es hupt und stockt auf den Straßen, denn alle wollen rechtzeitig am Bahnhof, in der Arbeit, Uni oder Schule ankommen. Ein kurzes Aufatmen erfolgt in den Vormittagsstunden, in denen Rentner, Mütter und Urlauber den Tag gemütlich angehen lassen. Zur Mittagspause wird es wieder voller – hungrige Berufstätige tummeln sich auf Parkbänken und genießen die Pause in einer grünen Ecke der Stadt, Schulkinder vergessen das Erlernte auf dem Nachhauseweg. Am Nachmittag ist Zeit für Spiele, Sport und Freizeitspaß, bevor am Abend manch einer die Strapazen des Tages in einer Kneipe hinter sich lassen möchte. Die Nächte gehören den Straßenlaternen, Nachteulen und mitunter auch zwielichtigeren Gestalten. Die Stadt hat einen eigenen, manchmal gar eigensinnigen Rhythmus. Sie ist ein Mikrokosmos, der für zahlreiche Menschen unterschiedliche Funktionen erfüllen muss. In der Stadt wird gelacht, geweint, gearbeitet, gewohnt. In den Krankenhäusern kommen Kinder zur Welt, die erst zur Schule gehen, dann zur Uni oder ins Berufsleben wechseln, umziehen, heiraten, Freunde treffen und zum Lebensende ins Seniorenheim ziehen. Und mittendrin finden wir Ingenieure, die als moderne Stadthelden die City am Laufen halten und auf die Zukunft vorbereiten.

Wo gibt es was zu tun?

»Das ist einfach«, sagt Prof. Dr.-Ing. Philipp Dietsch, der im Bereich Holzbau und Baukonstruktion am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) forscht, »im Bereich Mobilität, Energieversorgung, Bau und vor allem beim Erhalt der Infrastruktur und der öffentlichen Gebäude kommen Ingenieure im städtischen Bereich zum Einsatz.« Sein KIT-Kollege Prof. Dr. Jochen Kolb, führt die Liste fort: »Recycling, Müllverbrennung, Wasserwerk, Urban Mining«. Der Experte im Bereich angewandte Geowissenschaften sieht vor allem im politischen Bereich dringend Handlungsbedarf – Genehmigungsverfahren müssten vereinfacht und beschleunigt werden. Ganz traditionell arbeiten Ingenieure im Planungs- und Tiefbauamt der Städte, überall dort, wo Anlagen stehen, Infrastrukturen geplant und überwacht werden müssen, so Stadtforscher Dr. Peter Zeile. Der Experte nennt ein gängiges Beispiel, bei dem Ingenieurwissen im städtischen Umfeld zum Einsatz kommt: »Selbst bei einem klassischen Bauleitplanverfahren sind das eine ganze Menge, da immer die sogenannten ›Fachplanungen‹ beteiligt werden müssen: angefangen vom Verkehr über Wasserver- und -entsorgung, Energie, Sport und Gemeinbedarfseinrichtungen bis hin zur Landwirtschaft und Forstwirtschaft. Überall dort, wo Ressourcenschutz, Nutzungsdifferenzierung, Abstandsregelungen und Lärmschutz bedacht werden müssen, können im direkten als auch erweiterten Umfeld Ingenieure arbeiten.«

Städte und deren Infrastruktur sind langlebig, sagt Ingenieurin Nina Frei, die als technische Projektleiterin für Nachhaltige Quartiere bei der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) arbeitet, die Herausforderung in Städten sei, vorhandene Strukturen zu durchbrechen und anzupassen, um dem Wandel der Zeit Platz zu machen. Neue Anforderungen entstünden durch die Urbanisierung, die Digitalisierung, im Zuge von Innovation und nicht zuletzt durch die Mobilitäts- und Energiewende, so die Expertin. »Die meisten Projekte haben das Ziel, die Lebensqualität zu erhalten oder zu verbessern und die Wege kurz und sinnvoll zu gestalten und berühren damit Themen wie Energieversorgung oder alternative Mobilitätskonzepte. In unseren Quartiersprojekten setzen wir beispielsweise auf Sektorkopplung, das heißt wir betrachten Strom, Wärme, Kälte, Mobilität und Stadtentwicklung nicht getrennt, sondern als Gesamtprojekt und können so wertvolle Synergien vor Ort nutzen«, nennt Frei ein Praxisbeispiel.

Stadthelden mit Skills

Die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten von Ingenieuren im städtischen Bereich erfordert auch eine Vielzahl an Fähigkeiten, die die Fachkräfte mitbringen müssen. Etwa Fachkenntnisse und Erfahrungen in der eigenen Fachdisziplin, erläutert KITler Prof. Dietsch. Wichtig sei auch, dass man teamfähig sei und ein Verständnis für die gesellschaftliche Relevanz der eigenen Tätigkeit habe. Verständnis brauche es im städtischen Umfeld auch für administrative Abläufe und in diesem Zuge benötigen die Ingenieure auch Geduld, führt der Wissenschaftler weiter aus. »Exzellente Kommunikationsfähigkeit mit anderen Ingenieurdisziplinen, der Öffentlichkeit und Politik«, erweitert Geowissenschaftler Prof. Dr. Kolb die Liste seines Kollegen. Da die Anforderungsprofile an Ingenieure vom jeweiligen Projekt abhängen und in Ballungsräumen häufig mehrere Sektoren in Projekte eingebunden werden, rät Nina Frei, dass »die Fähigkeit übergreifend und vorausschauend zu denken, sowie verbindend und klar zu kommunizieren« besonders wichtige Eigenschaften seien, die Ingenieure der zukünftigen Stadt unbedingt besitzen sollten. Zudem ist es bei der zunehmenden Digitalisierung, die auch bei den Aufgaben im städtischen Bereich einen immer höheren Stellenwert bekommt, sinnvoll IT-Kenntnisse zu besitzen.

Arbeitsmarkt Stadt

Wie viele Ingenieure und Ingenieurinnen im städtischen Umfeld arbeiten sei schwer quantifizierbar, so Frei: »Es gibt sehr viele verschiedene Akteur*innen – auf städtischer Ebene und Landesebene sind zahlreiche Ämter, aber auch Stadtwerke und Nahverkehrsunternehmen zu nennen; privatwirtschaftlich sind verschiedenste Unternehmen und auch Start-ups beteiligt wie auch wir als Energieversorger.« Als Mitglied des Vereins »Femtec.Alumnae e. V. (FTA)« könne sie aus eigener Erfahrung sagen, dass der Anteil insbesondere an Ingenieurinnen in den gestaltenden Bereichen und in den Bereichen der Nachhaltigkeit und Umwelt – die im urbanen Raum vereint werden – im Vergleich zu vielen anderen Ingenieurwissenschaften tendenziell eher hoch sei. »Besonders attraktiv für junge Ingenieur*innen ist der Einstieg in Themen wie Nachhaltigkeit, Umwelt, Mobilität und besonders Energie, in denen die Zukunft mitgestaltet werden kann«, so Vereinsmitglied Frei. Weiter führt sie aus, dass »Ingenieur*innen im städtischen Umfeld in ›sichtbaren‹ Bereichen wie Hochbau, Stadt- und Raumplanung, Verkehrsinfrastruktur – also Schienen, Straßen und Bahnhöfe – sowie der Energieerzeugung, als auch in ›versteckteren‹ Bereichen wie Schall- und Luftqualität, Wasser- und Stromnetze, Elektro- und Schalttechnik tätig sind.« Leider werde viel zu oft noch der Einstieg im Bereich der »grünen« Infrastruktur zur Verbesserung des Stadtklimas vergessen, weiß Dr. Zeile. Sehr interessant für junge Ingenieure sind neben den bereits genannten Bereichen auch Upcycling und Urban Mining. Allein bei der Stadt Nürnberg arbeiten rund 650 Ingenieure und Ingenieurinnen verschiedener Fachrichtungen, zu deren Aufgaben unter anderem die Sanierung des historischen Opernhauses und die Förderung der nachhaltigen Mobilität gehöre, so die Stadt Nürnberg.

Wie sieht es in der Gegenwart aus?

»Es gibt viele Städte, die die Herausforderungen angenommen haben und schon in Planungs- und Umsetzungsphasen sind«, bescheinigt KIT-Experte Dr. Zeile. Zu den Herausforderungen der Städte zählt der Wissenschaftler beispielsweise Hitze, Energieversorgung, Mobilität und die zunehmende Wohnungsnot, aber auch die in den Hintergrund gerückten Probleme Immissionsbelastung, Gewässergüte und Grünflächenschutz.

 

Quelle: nuernberg.de


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