Nahaufnahme von männlichen Autofahrer

So arbeiten Testingenieure im Bereich Autonomes Fahren

Autonome Fahrzeuge dürfen erst nach gründlichem testen auf die Straße. Wie das passiert und welche Jobs es dabei gibt, liest du hier

Verletzt wurde niemand, als das selbstfahrende Auto von Google mit geringer Geschwindigkeit frontal mit einem Linienbus zusammenstieß. Ein Softwarefehler soll laut Firmenangaben für die Kollision der beiden Fahrzeuge in Kalifornien verantwortlich gewesen sein. Die Algorithmen des Google-Cars hatten es für zu wahrscheinlich gehalten, dass ein Bus das Fahrzeug passieren lassen würde. Vorfälle wie diese zeigen, dass es oft auf Nuancen der zugrundeliegenden Steuermechanismen ankommt – und deshalb bei autonomen Autos kein Weg am ausführlichen Testen vorbei führt.

Das System übernimmt die Kontrolle

Bis 2019 wird es voraussichtlich noch dauern, bis es Fahrzeuge mit einem Autonomisierungsgrad Level Drei auf dem Markt geben wird, erklärt Sven Bauer, Vice President Engineering Software Technical Lead im Bosch-Geschäftsbereich Chassis Systems Control. Level Drei bedeutet: Der Fahrer übergibt die Fahraufgabe vollständig an das System, muss aber nach Aufforderung jederzeit wieder das Steuer übernehmen können. Das Fahrzeug muss demnach alle kognitiven Funktionen des menschlichen Gehirns leisten können – die Umwelt wahrnehmen, den Standort feststellen und Entscheidungen treffen. Die derzeit existierenden Fahrerassistenzsysteme, wie etwa Spurhalteassistenten, agieren auf Level Zwei – noch ist der Fahrer verantwortlich, noch unterstützt das Fahrzeug lediglich. Xavier Vagedes, technischer Projektleiter Entwicklung für Hochautomatiertes Fahren bei Bosch, entwickelt aktuell an einer Level Drei-Funktion: dem Highway-Pilot. Das Ziel: automatisiertes Fahren auf der Autobahn bei einer Geschwindigkeit von 130 Stundenkilometern ermöglichen. Um eine Straßenzulassung für Entwicklungsprojekte wie den Highway-Piloten zu erlangen, durchläuft der Testingenieur immer wieder bestimmte Test- und Entwicklungsschleifen – solange, bis das System den erforderlichen Reifegrad erreicht hat. Keine leichte Aufgabe, denn »die Realität ist komplex, und je umfangreicher die Funktion eingesetzt werden muss, umso mehr Szenarien müssen wir in Betracht ziehen«, erklärt Vagedes. Einen Königsweg zur Serienfreigabe gäbe es nicht, hier griffen verschiedene Vorgehensweisen ineinander. Bevor eine Funktion in ein Gesamtsystem integriert werde, wird sie auf der Softwareebene geprüft. Schließlich wird das Gesamtsystem wiederum mittels Simulationstools durchgecheckt. Erst danach wird die Hardware umgesetzt– der Weg zur Straße ist lang.

Virtuelle Simulation des Verkehrsverlaufs 

›PTV Vissim‹ ist eines der zahlreichen Simulationstools, welches zum virtuellen Testen von autonomen Fahrzeugen und deren Komponenten genutzt wird. Hierfür bildet die Software den Verkehrsverlauf ab, indem sie die Bewegungen einzelner Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger, Fahrradfahrer oder Autos simuliert. Über eine Software-Schnittstelle können virtuelle Nachbildungen autonomer Fahrzeuge eingespeist werden. »Das System gibt Antworten auf zwei grundsätzliche Fragestellungen: Erstens, wie verhält sich ein autonomes Fahrzeug in einer realen Verkehrssituation? Und zweitens, was passiert, wenn ein bestimmter Prozentsatz von Fahrzeugen mit diesen Systemen ausgerüstet ist – gibt es dann etwa mehr oder weniger Stau, oder wirkt es schon, wenn 20 Prozent der Fahrzeuge autonom unterwegs sind?« erklärt Thomas Benz, Solution Director Automotive bei PTV. Was genau Kunden mit der Verkehrssimulation testen, ist flexibel variierbar. Auch eine Rush Hour in Tokio könne simuliert werden, so Benz. Besonders gefragt seien aktuell die seltenen, kritischen Situationen, wenn etwa ein Fußgänger unerwartet auf die Straße tritt oder das Verkehrsverhalten in Shared Spaces. Durchgeführt werden die Tests dann von Ingenieuren wie Xavier Vagedes für seinen Highway-Piloten. Erst wenn virtuell alles passt, verlagert sich das Testing auf die reale Asphaltpiste – auf die Zielgerade zur Straßenzulassung.

Praxischeck: Ein Testingenieur im Bereich autonomes Fahren erzählt

Xavier Vagedes, Technischer Projektleiter Entwicklung für Hochautomatisiertes Fahren bei Bosch, erzählt aus seinem Berufsalltag: 

»Als Technischer Projektleiter und Entwickler sind relativ lange Entwicklungsphasen, in denen ich mit sehr komplexen Fragen umgehen muss, Teil meiner Arbeit. Irgendwann kommt dann tatsächlich der Punkt, an dem eine Funktion auf der öffentlichen Straße getestet wird. Auch nach drei Jahren und tausenden Kilometern bin ich in dem Moment, in dem das System aktiviert wird, immer ziemlich aufgeregt – ich bin einfach gespannt, wie gut es funktioniert. Wenn das Auto über lange Strecken automatisiert fährt und die neuentwickelten Funktionen stabil laufen, freue ich mich dann immer sehr.«

Faktencheck: Arbeiten als Testingenieur

  • Aufgaben für Ingenieure In der Umgebungssimulation Neben Software-Experten mit IT- oder mathematischem Hintergrund arbeiten auch Ingenieure mit elektrotechnischer Expertise an der Simulationserstellung. Sie sind dafür zuständig, ihre Messungen realer Verkehrssituationen in Algorithmen zu übertragen, die dann in die Software umgesetzt werden kann.
  • Auf der Straße Ist das Fahrzeug reif für eine Straßenzulassung, wird es mit Testingenieur sowie Messinstrumenten an Bord konstant weiter in verschiedenen Verkehrssituationen getestet. Bosch erprobt seine Testflotte etwa auf deutschen wie U.S.-amerikanischen, australischen und japanischen Straßen, um möglichst viele Infrastrukturgegebenheiten und  verkehrsbedingungen abzudecken. Die Auswertung der immensen Datenmengen durch Sensoren und Bordkamera zählt aktuell zu den größten Herausforderungen. Gefragt sind hier Ingenieure mit Programmierkenntnissen sowie Schwerpunkten in den Bereichen Sensorik oder Aktuatorik. 
  • Aufpolieren Willst du dein Wissen in Trendthemen wie Maschinellem Lernen, Big Data oder Künstliche Intelligenz vertiefen, bietet Udacity Online-Nanodegrees etwa für Deep Learning oder im Bereich Selbstfahrende Autos an. www.udacity.com/nanodegrees
  • 58 Prozent aller Patente zum autonomen Fahren wurden im Jahr 2015 von deutschen Unternehmen angemeldet. Bosch, Audi und Continental zählen einer Studie des Instituts der deutschen Wirschaft nach zu den Top drei der Patentanmelder in diesem Sektor.

  • 40 Milliarden US-Dollar schätzen Roland Berger-Experten das Marktpotenzial bis zum Jahr 2030 für neue Hardwareprodukte für autonome Fahrzeuge ein. Für Softwareprodukte sind es 30 Milliarden. 

  • 48 Millionen voll- und teilautomatisierte Fahrzeuge sollen bis zum Jahr 2035 laut einer Prognose von LMC Automotive und Oliver Wymann weltweit produziert werden.

     

     


     

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