Flugbegleiterin mit Gepäck vor weißer Wand mit rotem Pfeil
Als Jurist im Ausland arbeiten bogers / Quelle: Flickr.com unter CC BY 2.0

Als Jurist im Ausland arbeiten

Was für Wirtschaftswissenschaftler, Ingenieure und Informatiker längst Alltag ist, stellt für Rechtswissenschaftler noch eine Ausnahme dar: arbeiten jenseits der deutschen Grenze.

Auslandsaufenthalte sind heute für den Lebenslauf längst wie das Salz in der Suppe – mit nur einem Unterschied: Suppen kann man versalzen. Für Arbeitnehmer hingegen, ganz gleich ob Banker oder Ingenieur, BWLer oder Naturwissenschaftler, kann es gar nicht genug Ausland sein. Im Ausland studiert, ein Praktikum absolviert oder gearbeitet zu haben, bereichert persönlich, fördert Sprachkenntnisse und interkulturelle Kompetenz – und gilt nicht zuletzt Personalern als Beleg für Neugier, Aufgeschlossenheit und Weltgewandtheit. Wem wiederum seine eigenen vier Wände, seine Stadt oder Deutschland im Allgemeinen schnell zu eng werden, hat in einer immer internationaleren Wirtschaft eigentlich gute Chancen in aller Welt zu arbeiten. Sollte man meinen, und zumindest Ingenieure oder Wirtschaftswissenschaftler können das von sich wohl auch behaupten. Aller Globalisierung zum Trotz ist es für Juristen hingegen weit weniger einfach, jenseits der deutschen Staatsgrenzen tätig zu werden. Der Grund: Noch immer ist die Juristerei sehr national geprägt. Selbst ein guter juristischer Abschluss befähigt nicht automatisch zu einer Tätigkeit in Paris, London oder New York.

Weil das so ist, »sollte man sich schon gut überlegen, in welchem Bereich man später einmal arbeiten möchte, denn so viele Optionen wie in anderen Branchen hat man als Jurist einfach nicht«. Das rät die Anwältin Judit Gajdics, die als Principal Associate derzeit im Münchner Büro der internationalen Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer tätig ist. »Ich finde es sehr reizvoll, nicht nur auf Deutschland festgelegt zu sein«, sagt Gajdics. Um es nicht zu sein, entschied sich die 36-Jährige während ihres Studium an der LMU München für eine Spezialisierung auf Handels- und Gesellschaftsrecht. Mit Blick auf ihre internationale Tätigkeit eine gute Wahl, denn für Freshfields, wo sie 2007 nach einer dreimonatigen Wahlstation in Budapest einstieg, arbeitete sie nicht nur in München, sondern auch ein halbes Jahr in Paris: Im Rahmen eines so genannten Client Secondment verschlug es sie in die französische Hauptstadt. Dort betreute sie als externe Juristin in der ›Mergers & Acquisitions‹-, kurz: der M & A-Abteilung Übernahmen, Fusionen und Joint-Ventures eines internationalen Industrieunternehmens. »Derartige Transaktionen sind für viele Unternehmen strategisch wichtige Optionen zur Förderung des Wachstums«, erklärt Gajdics, »und normalerweise werden diese Vorgänge in den Rechtsabteilungen betreut. Erst wenn die anstehenden Aufgaben die Kapazitäten der internen Abteilungen übersteigen, kommen externe Juristen ins Spiel.«

Für Gajdics bedeutete dies auch einen interessanten Perspektivwechsel.

»In der Regel werden Anwälte bei solchen Transaktionen erst spät mandatiert. In meiner Pariser Zeit bekam ich dagegen sehr früh mit, wie in einem Unternehmen strategisch über Übernahmen entschieden wird und wie diese ablaufen. Im Prinzip«, sagt Gajdics, »habe ich für sechs Monate die Seite gewechselt und wie eine interne Juristin für unseren Mandanten gearbeitet.«

Dabei bewahrheitete sich für sie auch, dass Juristen in den einzelnen Jurisdiktionen natürlich unterschiedlich arbeiten. »Ich sehe das auch hier in München, wenn ich mit Kollegen aus anderen Büros aus dem Ausland zusammenarbeite. Es ist, auch wenn der Unterschied zu Frankreich beispielsweise nicht so extrem ausfällt, aufgrund der unterschiedlichen Gepflogenheiten doch ein wenig anders.«

Ähnlich äußert sich Michael Götz, ebenfalls 36 Jahre alt und Senior Associate bei DLA Piper in Köln, für die er derzeit in London arbeitet. »Verständnis für die Gepflogenheiten in anderen Ländern« müsse er für seine Tätigkeit mitbringen. Neben einem soliden juristischen Rüstzeug, einem guten Transaktionsmanagement und der Fähigkeit, unter Zeitdruck genau zu arbeiten. Sich in dieser Hinsicht beweisen darf Götz seit 2010 im Londoner Büro von DLA Piper. Er bearbeitet dort in Zusammenarbeit mit englischen Kollegen insbesondere Mandate für englische und internationale Banken und betreibt Networking. Besonders der »tägliche Austausch mit Kollegen und Mandanten aus verschiedenen Ländern und Kulturkreisen« habe ihn gereizt, seine Zelte für längere Zeit an der Themse aufzuschlagen. Dass er es konnte, dürfte Götz dabei zu einem Gutteil seinem Studium zu verdanken haben, schließlich studierte er nicht nur in Dresden und Köln. Auch absolvierte er einige Semester in Lausanne und Sydney, wo er sich 2004 mit dem Titel ›Master of Laws‹ für seine Mühen belohnte.

Thematisch beschäftigt sich Götz vor allem mit Restrukturierungen, seit er sich in seinem Studium auf ebenjenen Bereich verlegte. Dies hat er gemein mit Hagen Köckeritz. Köckeritz studierte Jura an der Martin-Luther-Universität (MLU) Halle/Wittenberg – sein Spezialgebiet: Arbeitsrecht mit den Schwerpunkten transaktionsbegleitendes Arbeitsrecht und Restrukturierungen. Obwohl während seines Studiums noch nicht im Ausland, ließ sich eine gewisse internationale Neigung schon damals nicht leugnen: Nach seinem ersten Staatsexamen erwarb sich Köckeritz den Titel eines Master im Internationalen Wirtschaftsrecht, abgekürzt ›LL.M.oec.int‹. Während der Wahlstation seines Referendariats schließlich flog Köckeritz erstmals beruflich über den großen Teich. Für vier Monate arbeitete der 36-Jährige für eine Anwaltskanzlei in Chicago, die Stadt am Südwestufer des Michigansees, die ihm so gefallen haben muss, dass er heute, als Senior Associate bei der internationalen Kanzlei Baker & McKenzie, zumindest vorübergehend ,wieder in Chicago arbeitet.

Ermöglicht hat ihm dies das ›Associate Training Programme‹ (ATP) der Kanzlei. »Global zu arbeiten und zu denken«, sagt Köckeritz, sei ohnehin schon »Teil unserer DNA«. Mit dem ATP wiederum soll es Associates, die mindestens zwei Jahre bei Baker & McKenzie tätig sind, ermöglicht werden, bis zu ein Jahr lang in einem der internationalen Büros zu arbeiten. Um dort andere Rechtsordnungen und Kulturen kennen zu lernen und über Grenzen hinweg Kontakte zu Mandanten und Kollegen zu knüpfen. Das alles sei eine berufliche Herausforderung, erzählt Köckeritz, da er nicht nur deutsches und europäisches Recht anwenden, sondern eben auch mit dem Rechtsverständnis anderer Kulturen umgehen müsse. Noch mehr aber profitiert er persönlich von den Erfahrungen, die ihn positiv prägen. Wenn er nach Ablauf seines ATP nach Deutschland zurückkehrt, wird er sie mit im Gepäck haben – zusammen mit Anekdoten, wie man sie als Jurist im Ausland eben sammeln kann. Michael Götz brach sich, kaum in London angekommen, bei einem Netballspiel den kleinen Finger. »Marketing auf englische Art«, bilanziert er trocken. Köckeritz dagegen schmunzelt über einen Mann, dem in den USA im September 2012 »ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 7,3 Millionen US-Dollar gegen einen Hersteller und die Vertreiber von Popcorn zugesprochen wurde. Er hatte geltend gemacht, über zehn Jahre hinweg täglich Mikrowellenpopcorn gegessen und wegen es Butteraromas eine Lungenkrankheit erlitten zu haben. In Deutschland«, ist sich Köckeritz sicher, »wäre eine solche Entscheidung sehr wahrscheinlich nicht denkbar gewesen.« Stimmt, aber in Deutschland hätte es auch viel weniger zu erzählen gegeben.


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