Das Gemeinschaftsprojekt des Council of Bars and Law Societies of Europe, CCBE, zu dem auch der Deutsche Anwaltverein, DAV, gehört, finanziert sich durch Spenden von Einzelpersonen sowie von Anwaltsorganisationen in ganz Europa. Die Rechtsanwälte beraten ehrenamtlich.
Herr Dr. Brügmann, wann kam der DAV auf die Idee, sich in Lesbos zu engagieren?
Ende 2015, Anfang 2016 haben wir die Bilder der vielen Menschen gesehen, die als Flüchtlinge und Migranten Lesbos und andere Orte Europas erreichten. Wir haben beobachtet, wie Freiwillige aus allen denkbaren Berufen geholfen haben – von der Seenotrettung bis zur Versorgung mit Nahrung, Kleidung und einem Dach über dem Kopf. Als ich im Januar 2016 selbst auf Lesbos war, ist mir aufgefallen, wie unsicher viele Ankömmlinge waren. Sie wollten wissen, wie es mit ihnen weitergehen würde. Aber es gab keinen unabhängigen Rat, schon gar keinen Rechtsrat. Da haben wir gedacht: Das können wir ändern und haben gemeinsam mit unserem europäischen Dachverband, dem CCBE, das Projekt ins Leben gerufen.
Was ist das übergeordnete Ziel der Initiative?
Erst einmal wollen wir den Menschen im Registrierungscamp Moria auf Lesbos Rechtsrat erteilen. Sie sollen informierte Entscheidungen treffen können. Außerdem wollen wir darauf hinweisen, dass Rechtsrat genauso wichtig ist wie die übrige humanitäre Hilfe. Dafür werben wir bei der Politik in Berlin und Brüssel.
Warum gerade Lesbos?
Lesbos ist die griechische Insel, auf der die meisten Flüchtlinge angekommen sind. Auch wenn die Zahlen der Neuankömmlinge heute nicht mehr so hoch sind, ist das Camp Moria immer noch das größte. Vor etwa einem Jahr waren bis zu 5.000 Menschen dort. Heute sind es immerhin noch fast 2.500. Der Bedarf ist also sehr hoch. Wir hoffen, unsere Arbeit mittelfristig auch auf andere Hotspots ausdehnen zu können.
Wie sieht das Engagement vor Ort konkret aus?
Wir haben zwei Container in Moria, in denen drei Beratungsräume eingerichtet sind. Wir haben immer bis zu sechs Rechtsanwälte vor Ort. Dazu kommen Übersetzer für Arabisch, Farsi und Urdu sowie ein britischer Projektmanager und eine griechische Projektmanagerin.
Der typische Fall: Mit welchen Fragen kommen die Menschen in Lesbos zur Rechtsberatung?
Viele kennen die Verfahren nicht, die sie als Flüchtlinge und Migranten durchlaufen müssen. Unsere ehrenamtlichen Rechtsanwälte sortieren ihnen ihren Fall und bereiten sie auf die erste Anhörung im Asylverfahren vor. Sie helfen, wichtige von unwichtigen Informationen zu trennen und geben den Menschen die Auskunft, die sie brauchen, um informiert Entscheidungen treffen zu können.
Welche Nationalitäten sind am häufigsten in der Rechtsberatung vertreten?
Die größte Gruppe kommt aus Afghanistan, dann folgen Eritrea, die Demokratische Republik Kongo, Syrien und der Irak. Insgesamt haben wir Mandanten aus 43 Ländern beraten.
Einfach gefragt: Was raten die Rechtsberater den Flüchtlingen in der Erstberatung?
Stellen Sie ihre Situation so dar, wie sie ist und verlassen Sie sich nicht auf Gerüchte oder den Rat von Menschen, die das Asylverfahren nicht kennen und Dinge versprechen, die unrealistisch sind.
An welcher gesetzlichen Grundlage orientieren sich die Rechtsberater vor Ort?
Grundlage ist das griechische Recht, das aber im Bereich des Asylrechts sehr europäisch geprägt ist. Alle Rechtsanwälte, die im Asylrecht beraten, sind Spezialisten im europäischen Asylrecht. Daher ist hier eine europäische Zusammenarbeit von Rechtsanwälten gut möglich.
Was motiviert die Helfer, ihre Freizeit unentgeltlich in die Rechtsberatung von Flüchtlingen auf Lesbos zu investieren?
Ich denke, unser Projekt ist einzigartig, weil Rechtsanwälte im Ausland pro bono arbeiten können und nicht irgendetwas tun, sondern ihr Handwerkszeug anwenden können. Außerdem sehen wir, wie überwältigt unsere griechischen Kollegen von der Situation an der Grenze zur Türkei sind. Mit ›European Lawyers in Lesvos‹ können wir ein Zeichen der Solidarität setzen.
Können auch Studierende bei dem Projekt mitmachen?
Beraten können nur zugelassene Anwälte. Unterstützt werden diese von einem Rechtsreferendar. Vielleicht können künftig auch Studierende ein Praktikum im Rahmen des Projekts machen. Interessierte können sich auf unserer Website www.elil.eu beim DAV informieren.
Inwiefern ist das Projekt auch eine Investition in die europäische Idee?
Das Projekt würde wahrscheinlich gar nicht funktionieren, wenn es nicht grenzüberschreitend europäisch wäre. Alleine, dass Rechtsanwälte grenzüberschreitend tätig werden dürfen, ist der europäischen Einigung zu verdanken. Auch die Tatsache, dass sie europäisches Recht anwenden, macht die Arbeit leichter. Und zuletzt komme ich noch einmal auf meine eigenen Beobachtungen in Lesbos zurück: Zu sehen, wie Anwälte aus verschiedenen Ländern an einem gemeinsamen Ziel arbeiten, ist wirklich schön. Und auch die Menschen, die wir beraten, nehmen das wahr: Indem wir sie als Individuen mit eigenen Rechten behandeln, geben wir ihnen ein Stück von der Menschenwürde, die Grundlage unseres europäischen Zusammenlebens ist.