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Moot Courts: Wir sehen uns vor Gericht

Studierende schlüpfen bei fiktiven Gerichtsprozessen in die Rolle eines Anwalts – und kämpfen.

Sie argumentieren präzise, nennen Urteile und Paragraphen. Die Verhandlungssprache: Englisch. Die Anwälte: Anfang 20. Anspannung füllt den Raum. Die Professionalität und der Kampfgeist der Beteiligten lassen schnell vergessen, dass es sich hier um ein Scheingericht, einen fiktiven Gerichtsprozess im Rahmen eines Wettbewerbs, handelt. »Die deutschen Universitäten nehmen die drei großen interna-tionalen Moot Courts sehr ernst«, erklärt Marcel Kahl, Coach eines Moot-Teams an der Uni Heidelberg. Die meisten Teilnehmer würden daher ein Semester pausieren, um sich voll und ganz auf den Wettbewerb zu konzentrieren.

Hallo Wirklichkeit

Amelie Berz ist beim diesjährigen ›Willem C. Vis‹-Moot für die Uni Heidelberg angetreten. »Ich möchte später international arbeiten, da liegt es nahe, sich an internationalen Projekten zu beteiligen,« meint die Studentin. Es reizt sie besonders, »einmal aus dem Klausurenschreiben auszubrechen und in mündlichen Verhandlungen der prozessualen Wirklichkeit näher zu kommen.« Eine Möglichkeit, die das normale Jurastudium nicht bietet. Das hat auch Michael Strecker innerhalb seiner Familie schnell realisiert. »Mein Bruder hatte bereits an einem Moot Court teilgenommen und seitdem am Mittagstisch zuhause von nichts anderem gesprochen«, verrät er. Der Student der LMU in München interessiert sich für aktuelle und politische Themen. Als er am ›Willem C. Vis‹-Moot teilgenommen hat, stellte der zu behandelnde Fall den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland um die Krim-Halbinsel nach – der danach in echt vor dem IGH verhandelt wurde.

Dass sich die Studierenden auf solche Fälle nicht mal eben kurz vorbereiten können, liegt auf der Hand. Die Teilnehmer müssten schon bereit sein, enorm viel Zeit an der Universität zu verbringen, warnt Strecker. Auch die inhaltliche Absprache mit den Teammitgliedern und Coaches bliebe natürlich nicht immer reibungsfrei. »Das lässt einen aber unglaublich viel über eine so enge Arbeit im Team lernen«, meint der ehemalige Teilnehmer.

Gemeinsam stark

Die kollaborative Zusammenarbeit ist sehr wichtig. Allein deshalb, weil jeder andere Stärken mitbringt. »Dem einen liegt das Schreiben der Schriftsätze für beide Seiten, der andere kann den Schriftsatz besser für die mündliche Verhandlung ›lebendig aufbereiten‹«, vergleicht Amelie Berz. Ihr Team ist mit vier Teilnehmern ein kleines. Vor allem, wenn es vor der Abgabe anstrengend wurde, kam es Berz zufolge darauf an, die Stärken jedes Einzelnen bestmöglich zu nutzen und gemeinsam an den Schwächen zu feilen. Michi Strecker sieht im Schaffen eines Teamspirits sogar den Schlüssel zum Erfolg in jedem Moot Court. Außerdem lernen die Teilnehmer bei der Zusammenarbeit, Kompromisse zu machen und eigene Interessen hinter den Erfolg der Gruppe zu stellen – Soft Skills, die später im Berufsleben zählen. Trotz der Herausforderungen, die die Teamarbeit mit sich bringen kann, sieht Amelie Berz die größte Schwierigkeit darin, die Fragen der Schiedsrichter zu antizipieren und sich jedem Schiedsrichter anpassen zu können, also nicht ›anzuecken‹.

Ob am Ende nur noch der Sieg zählt? Nein, sagt Kahl, Coach an der Uni Heidelberg. »Es ist letztlich völlig egal, was beim Moot Court herauskommt. Die Erfahrung kann einem keiner nehmen. Sie ist der größte Gewinn«, ist sich Kahl sicher. Er rät zukünftigen Teilnehmern, die Zeit soweit möglich auszuschöpfen. Denn allein durch die Teilnahme könnten Jurastudierende schon unglaublich viel lernen.

Michi Strecker hat nach seinem Moot Court gemeinsam mit den anderen ›Mooties‹ aus seinem Jahrgang begonnen, am Lehrstuhl zu arbeiten. »Neben der gemeinsamen Examensvorbereitung verbindet uns bis heute eine tiefe Freundschaft«, sagt er. Ein weiterer Grund, der für die Teilnahme spricht. n


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