Frau Pisal, eine Aufgabe des Deutschen Juristinnenbundes (djb) ist die Fortentwicklung des Rechts. Was ist damit konkret gemeint?
Der djb ist ein Verband von Juristinnen und einer im Vergleich dazu kleineren Zahl von Betriebs- und Volkswirtinnen, deren fachliche Expertise wir vereinen und einbringen, um Recht und Gesetz im Sinne der Gleichberechtigung von Frauen geschlechtergerecht mitzugestalten. Wir sind kein berufsständischer Verband, der die beruflichen Interessen seiner Mitgliedsfrauen vertritt. Recht und Gesetz hat unterschiedliche Auswirkungen, je nachdem, ob ein Mann oder eine Frau betroffen ist. Eine geschlechtsneutrale Lebenswirklichkeit gibt es nicht. Klassisches Beispiel dafür sind Unterhaltsvorschriften. Für Frauen haben gesetzliche Unterhaltsund Versorgungsansprüche im Fall von Trennung und Scheidung aufgrund der immer noch gelebten asymmetrischen Verteilung von Familien- und Erwerbsarbeit eine ganz andere Relevanz als für Männer. Es gibt viele weitere Beispiele. Dementsprechend evaluieren wir aus einer fachlichen Perspektive und gleichzeitig aus Frauensicht, wie bestehendes Recht für Frauen wirkt, benennen Reformbedarf, erarbeiten konkrete Vorschläge für gesetzliche Regelungen, beziehen Stellung zu Gesetzesvorhaben und in Verfahren vor den obersten Gerichten, immer mit Blick auf die besondere Situation von Frauen, Kindern und älteren Menschen.
Können Sie hier ein Beispiel nennen?
Viele. Intensiv haben wir uns beispielsweise mit dem Prostituiertenschutzgesetz befasst, das eine ungleich größere Bedeutung für Frauen als für Männer hat, da mehr Frauen in der Prostitution arbeiten als Männer – weswegen wir hierzu Stellung beziehen. Ebenso verhält es sich hinsichtlich der Reform der Strafvorschriften zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Sexuelle Übergriffe und sexualisierte Handlungen wie ungewollte Berührungen treffen in erster Linie Frauen. Die Überlegungen für ein Entgeltgleichheitsgesetz zum Abbau der Entgeltdiskriminierung zum Nachteil von Frauen begleiten wir intensiv, den Entwurf eines Wahlarbeitszeitgesetzes haben wir im September 2015 anläßlich unseres 41. Bundeskongresses in Münster vorgestellt, und in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht haben wir uns zuletzt zum Thema Betreuungsgeld und zur Abstammungsklärung zu Wort gemeldet.
Die Gleichstellung zwischen Mann und Frau ist immer noch ein großes Thema in Deutschland. Wie sieht es hier konkret zwischen Juristen und Juristinnen aus?
Wie in vielen anderen Berufen und Branchen zeigen sich auch im juristischen Bereich, wie in der Anwaltschaft, deutliche Unterschiede bei Gehalt und Führungspositionen. In den großen Sozietäten sind relativ wenige Frauen beschäftigt und auch die Zahl der Partnerinnen in den großen Kanzleien ist gering. Diese Konstellationen ändern sich nur sehr langsam und wenn, dann oft nur zu den Bedingungen der Männer. Frauen müssen die gleiche zeitliche und örtliche Verfügbarkeit, unbedingten Einsatzwillen unter Hintanstellung sämtlicher persönlicher Belange mitbringen, wie Männer dies tun, wenn sie höhere Positionen erreichen wollen. Auf der anderen Seite verändert sich das männliche Erwerbsmodell kaum dahingehend, dass Männer im Beruf zugunsten familiärer oder anderer persönlicher Interessen kürzer treten würden. Es ist schlicht zu gefährlich für ihr Fortkommen, auf den unschlagbaren Wettbewerbsvorteil der uneingeschränkten Verfügbarkeit zu verzichten. Es kommt hinzu, dass Frauen weiterhin noch oft ›frauentypische‹ Schwerpunkte wählen wie Familien- oder Sozialrecht, während gerade in den Großkanzleien die Männer wirtschaftsrechtlich orientiert sind, womit sich deutlich mehr Geld verdienen lässt.
Woran liegt das?
Dies hat einerseits wohl immer noch mit einer rollenstereotypen Erziehung zu tun und vielleicht auch damit, dass Frauen ein größeres soziales Engagement mitbringen. Befragungen zeigen, dass für Frauen nicht allein Gehalt und Sozialprestige die Berufswahl bestimmen, sondern die empfundene Sinnhaftigkeit ihres Tuns eine entscheidende Rolle spielt. Auf der anderen Seite geben auch Kollegen, Vorgesetzte und Sozietäten gewisse Prägungen und Vorurteile weiter. Erst kürzlich wurde eine jüngere Kollegin gefragt, warum sie im Wirtschaftsrecht promovieren wolle anstatt im Familienrecht. Für eine Frau ist es weniger schwierig, in einer Kanzlei als Familienanwältin einzusteigen als in eine für Wirtschaftsrecht. Erfreulich ist, dass sich immer mehr junge Juristinnen davon unbeirrt auch auf Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht spezialisieren. Die Männer werden sich auf starke weibliche Konkurrenz einstellen müssen, auch im Wirtschaftsstrafrecht.
Inwiefern sind hier auch explizit die Hochschulen in die Pflicht zu nehmen?
Die Lehrstühle, Professoren und Professorinnen müssen vermehrt auf die jungen Juristinnen zugehen und sie dazu ermuntern, sich entsprechend zu spezialisieren, zu promovieren und sich zu habilitieren. In einzelnen Jahrgängen gibt es bereits mehr Frauen als Männer, die das Studium der Rechtswissenschaften mit sehr guten Ergebnissen abschließen. Es gibt überhaupt keinen Mangel an Juristinnen mit guten Abschlüssen – dennoch promovieren Männer öfter als Frauen. Hier sind die Hochschulen definitiv in der Pflicht, auch mit der Berufung von Professorinnen Vorbilder zu schaffen und positive Signale zu setzen, dass sich eine wissenschaftliche Karriere auch für Frauen verwirklichen läßt.
Damit der Verband seine Ziele erreicht, arbeitet er unter anderem mit anderen Netzwerken zusammen. Wie gestaltet sich diese Zusammenarbeit konkret?
In meiner nun mehr als fünfjährigen Amtszeit als Präsidentin habe ich gesehen, dass es sehr sinnvoll ist, sich auf ein Thema zu konzentrieren und sich dafür MitstreiterInnen zu suchen. Wir pflegen intensive Kontakte mit anderen Verbänden und Vereinen, loten aus, wo unsere Interessen übereinstimmen, worin sie sich unterscheiden, treten gemeinsam solidarisch mit Pressemitteilungen, Veranstaltungen und Stellungnahmen an die Öffentlichkeit und politische EntscheidungsträgerInnen heran.
»Unser Ziel ist es, Frauen dahingehend zu sensibilisieren, sich nicht das Selbstbewusstsein nehmen zu lassen. Sie sollen fest davon ausgehen, dass sie erfolgreich sein können.«