»Wenn ich mich mit dem Pflegehaftungsrecht beschäftige, dann gehe ich immer zur Hälfte anwaltlichen Tätigkeiten nach, zur anderen Hälfte psychologischen«, unterstreicht Rechtsanwalt Axel Foerster. 1986 begann er seine berufliche Laufbahn als Pflegekraft in der Altenpflege und Behindertenbetreuung, die ihn zwar »emotional auslastete, aber nicht intellektuell«. Das war für ihn damals der Grund, Jura zu studieren und Anwalt zu werden.
Mittlerweile schreitet man in der Akademisierung der Pflegeberufe jedoch fort, was Foerster auch für sinnvoll hält, denn »wo ein Berufszweig eigenständig sein soll, braucht er einen akademischen Überbau«. Er rät Jurastudenten, die sich für das Pflegerecht interessieren, das Gleiche, was er Anwälten anderer Fachrichtungen rät: »Geht selber in die Pflege hinein. Macht einen Bundesfreiwilligendienst. Bekommt eine Ahnung von dem, worüber ihr redet. Die extreme emotionale Betroffenheit, die im Pflegebereich eine große Rolle spielt, kann nicht angelesen oder durch ein Gutachten eingeholt werden!«
Emotionale Ebene auch als Anwalt wichtig
Ohne sein Feingefühl, das er als Pflegekraft entwickelt hat, hätte er zum Beispiel einen Konflikt zwischen der Ehefrau eines Pflegefalls und der Heimleitung nicht lösen können. Man bat ihn, der Ehefrau die Leviten zu lesen, weil sie die Pfleger stets kritisierte. Er hörte der Dame erst mal zu. Dabei fiel ihm auf, wo das wirkliche Problem lag: 75 Jahre lebte die Frau als eine Art Anhängsel für andere, ihr Mann entschied für sie und nicht andersrum. Um sie aus dieser Überforderung zu befreien, schlug Axel Foerster den Pflegern vor, der Dame bei ihren Entscheidungen zu helfen: »Macht ihr ein paar Vorschläge. Kommt ihr entgegen, indem ihr sagt: Wenn Sie nichts dagegen haben, machen wir das so und so...!« Durch ein scharf formuliertes Anwaltsschreiben hätte er sicher nicht die Rückmeldung bekommen, dass es an dieser Front für das Pflegeheim »wunderschön ruhig geworden« war.
Pflegeberuf zwischen Hilflosigkeit und Freude
Manche Beschwerden sind jedoch durchaus angebracht. Pflegealltag kann sehr trist aussehen und nur Lebensverlängerung, Quantität ohne Qualität sein. Immer wieder fällt der Begriff des ›Hinrichtens‹, wenn Axel Foerster von schlechter Pflege spricht. Sonst ist immer nur von einer vagen ›Menschenunwürdigkeit‹ die Rede, für die Foerster wohl die treffenderen Worte findet. Er selbst blickt aber positiv auf seine frühere Arbeit zurück und kann mit Begeisterung erzählen. So erinnert er sich an Frau Müller, für die ihre Demenz nicht das Ende ihres Lebens bedeutete, sondern die die glücklichste Zeit in ihrer Krankheit durchlebte: »Sie begriff nichts mehr. Genauso wenig gab es für sie aber noch etwas Schlechtes, Böses oder Sorgenbelastetes. Sie hatte kein leichtes Leben, doch nun war für sie alles nur noch schön und sie der Sonnenschein auf unserer Station.«
Unwissen über Hilfsangebote
Der Rechtsanwalt erlebt auch, wie es viele Menschen verpassen, sich ausgiebig über mögliche Pflegeleistungen zu informieren: »Ansprüche werden sehr häufig erst gar nicht geltend gemacht. Viele wissen nicht, wo sie überall Informationen und Hilfe an die Hand bekommen können«. Ein erstes niederschwelliges Angebot ist zum Beispiel der digitale ›Pflegeleistungs-Helfer‹ des Bundesministeriums für Gesundheit. Das Bundesministerium für »Familie und Gedöns«, wie Gerhard Schröder es einst liebevoll bezeichnete, bietet gar eine ganze Webseite zum Thema ›Wege zur Pflege‹.
Reformen in der Pflege 2015 und 2017
Axel Foerster ist froh, dass das ›SOS-Prinzip‹, eine Abkürzung für ›sauber, ordentlich, still‹, mittlerweile durch einen ganzheitlicheren Pflegebegriff abgelöst wurde, der neben den körperlichen auch die psychischen Herausforderungen mit einbezieht. Mit der Pflegereform 2015 wurde erstmals auch Demenz als Pflegefaktor beachtet. 2017 sollen dann in einem zweiten Schritt die drei Pflegestufen fünf Pflegegraden weichen. Reformbedarf sieht nicht nur die Große Koalition, sondern auch Stephan von der Trenck, Medizinrechtler bei der Deutschen Stiftung Patientenschutz, vor allem bei der durchgetakteten ›Minutenpflege‹, wie er sie nennt. »In der höchsten Pflegestufe III bekommen Sie immer maximal 1.612 Euro, egal ob Sie in Berlin oder in Nürnberg wohnen, wo Sie dann eventuell 3.000 Euro für ihre Pflegeunterkunft zahlen müssen. Dementsprechend sind wir für eine Vollversicherung, die pflegebedürftige Menschen nicht in die Armut treibt«.
Geklagt wird um Pflegestufen – oft monatelang
Wenn geklagt wird, geht es größtenteils um die Pflegestufe, also die Einordnung nach Schwere des Pflegefalls. Im Jahr sind das bei den Sozialgerichten ungefähr 9.000 Neuklagen. Nahezu kostenfrei darf geklagt werden, da keine Anwaltspflicht besteht und nur die Kosten des eigenen Anwalts selbst zu übernehmen wären. Allerdings sieht es dafür bei der Verfahrensdauer nicht gerade rosig aus: »14 Monate dauert das im Schnitt. Das ist natürlich extrem lang. Wenn Sie eine 92-jährige Patientin vertreten, fragen Sie sich schon, ob die Mandantin noch das Ende des Verfahrens erlebt«, gesteht der Medizinrechtler.
Großer Bedarf an Nachwuchskräften im Pflegebereich
2,7 Millionen Pflegebedürftige gibt es momentan in Deutschland, »3,4 Millionen werden es 2030 sein, der Markt wächst, damit auch der Beratungsbedarf«, so Stephan von der Trenck. Eine Spezialisierung auf das Pflegerecht kann sich also lohnen, auch weil »mit der Pflege viele andere Fragen zusammenhängen: Schnell geht es um Behandlungsfehler, also Medizinrecht, dann um Patientenverfügungen, um erbrechtliche Fragestellungen und alles, was unter den Begriff ›Seniorenrecht‹ fällt«. Dabei ist die Konkurrenz unter Anwälten mit diesen Spezialisierungen noch nicht so groß und schnell kann ein guter Ruf erworben werden.
Vorsorge durch gesunde Lebensweise und Einsatz für die Pflege
Jungen Menschen rät Rechtsanwalt Axel Foerster, einfach auf sich zu achten: »Heutige Pflegebedürftige rauchten, soffen und ernährten sich oft jahrzehntelang falsch – ihre Pflegebedürftigkeit ist zu oft Konsequenz ihres Lebensstils«. Eine andere Sache fällt ihm aber auch noch ein, die für junge Menschen von Belang ist, denn in der Pflicht sieht er nicht nur den Gesetzgeber: »Dass die Politik bremst, liegt auch an der Gesellschaft. Da gibt es keine großartige Bereitschaft, mehr Geld für Pflege auszugeben. Es müsste allen mal bewusst werden, dass wir mit unserem Einsatz für den Pflegebereich heute unsere eigene Zukunft bestimmen.«