Fragt man Studierende nach ihrem Wunscharbeitgeber, ist die Antwort in aller Regel so überraschend wie ein Brummschädel nach einer völlig durchzechten Nacht: Auf den ersten zehn Plätzen tummeln sich, ganz egal, wer Auftraggeber der Umfrage ist, die großen Automobilkonzerne wie Audi, BMW, Porsche, Volkswagen und Daimler. Stammgäste in den Top Ten sind zudem Siemens und der Luft- und Raumfahrtkonzern EADS. Ganz klar: Viele Studenten haben das Ziel, die Uni so schnell wie möglich wieder zu verlassen und in der Industrie eine steile Karriere zu starten.
Auf die Idee, sich an der Ausbildungsstätte quasi häuslich einzurichten und dem Studium an der Uni einen Job an der Hochschule folgen zu lassen, kommen hingegen die allerwenigsten Absolventen. Durchschnittlich gerade mal jeder 20. Student eines ingenieurwissenschaftlichen Studiengangs kann sich überhaupt vorstellen, nach dem Diplom oder Master an der Hochschule zu bleiben und zu promovieren.
Ganz ähnlich ging es lange Zeit Gregor Schacht während seines Diplom- Bauingenieurwesenstudiums an der TU Dresden.
»Als ich mein Studium begonnen habe, wollte ich unbedingt im Bauwesen arbeiten, also studieren und dann bauen. Aber im Laufe meines Studiums und vor allem durch meine Hiwi-Tätigkeiten in der Lehre und in der Forschung habe ich Spaß an der Arbeit an der Universität gefunden«, berichtet der 28-Jährige.
Schacht hat eine auf drei Jahre befristete Vollzeitstelle als Promotionsstudent im Rahmen der ›Landesinnovationspromotion‹ des Europäischen Sozialfonds und der Sächsischen AufbauBank. »Meine Promotionsförderung endet im Mai 2013, dann sollte ich fertig sein.« Fertig, damit meint Schacht seine Doktorarbeit, die sich mit der experimentellen Untersuchung von bestehenden Bauwerken beschäftigt. »Viele unserer bestehenden Gebäude und Brücken haben mittlerweile ein beträchtliches Alter und die Belastungen, wie durch den zunehmenden Schwerverkehr, werden immer höher. Bei diesen Tragwerken ist es oft schwierig, die Tragsicherheit für diese erhöhten Beanspruchungen rechnerisch nachzuweisen. Dann greift man auf experimentelle Verfahren zurück, um Tragreserven aufzudecken und so das Bauwerk erhalten zu können«, erklärt Schacht.
Leidenschaft für die Wissenschaft
Neben seiner Promotion hat Schacht wie viele Doktoranden allerdings noch ein ganzes Bündel an zusätzlichen Aufgaben, die an einem Lehrstuhl eben so anfallen.
»Literaturrecherche, Präsentationsgestaltung, Begleitung von Versuchsreihen, Unterstützung bei Lehrveranstaltungen «, zählt Anja Robert auf, die an der RWTH Aachen in der Abteilung Karriereentwicklung tätig ist.
Unter ›Unterstützung bei Lehrveranstaltungen‹ fällt typischerweise die gesamte Palette, angefangen bei der Vorbereitung und endend bei Prüfungskorrekturen, viele Doktoranden stehen im Laufe ihrer Promotion zudem selbst vor einem Kurs.
Erfahrungen in der Lehre zu sammeln zählt schließlich zu einer der wichtigsten Fähigkeiten eines Doktoranden, weswegen Studenten »nur dann eine Karriere an der Hochschule in Erwägung ziehen sollten, wenn sie gerne Wissen an junge Menschen weitergeben wollen«, wie es Anja Robert ausdrückt.
Doch was gehört noch dazu, um an der Uni nicht nur während des ›normalen‹ Studiums durchzustarten? Sicherlich eine große Portion Leidenschaft für Wissenschaft, doch das ist nicht alles.
»Man sollte sich von Rückschlägen nicht abschrecken lassen, da Wissenschaft, also Wissen schaffen, fast nie planbar zu einem Ziel führt«, erzählt Robert.
Nicht planbar wird eine Karriere an der Hochschule spätestens dann, wenn es um Professuren geht. Diese sind rar gesät, sodass jeder einen ›Plan B‹ in der Tasche haben sollte. »An der RWTH Aachen haben 2010 circa 4.000 Menschen ihr Studium abgeschlossen, promoviert haben etwa 700, 30 habilitierten und circa 30 Professuren wurden neu besetzt. Daran zeigt sich der extrem enge Flaschenhals, der zur Professur führt«, zeigt Anja Robert auf. Kein Wunder also, dass nach der Promotion »rund 90 Prozent der Absolventen aus dem ingenieurwissenschaftlichen Bereich in die Industrie gehen«, wie Professor Ernst Rank erzählt.
Rank ist Direktor der TUM Graduate School, die vor knapp zwei Jahren gegründet wurde, um alle Doktoranden der TU München auf dem Weg zur Promotion zu unterstützen.
»Dass das Gros nach der Promotion in die Industrie geht, ist ausdrücklich erwünscht, weil sehr viele Professoren, die berufen werden, aus der Industrie zurückberufen werden. Das ist allgemein ein guter Weg: Nach der Promotion ein paar Jahre in der Industrie Praxiserfahrung zu sammeln, dabei den Kontakt zur Hochschule zu halten, um sich anschließend für eine Professur zu bewerben«, erklärt Professor Rank.
Für die Graduate School der TU München, die derzeit noch rund 1.200 Promovierende betreut – bis Ende des Jahres werden es bereits etwa 1.800 sein –, geht es bei der Unterstützung während der Promotion bei Weitem nicht ausschließlich um die fachliche Arbeit.
»Der zentrale Aspekt unserer Arbeit besteht darin, Doktoranden in jeglicher Hinsicht zu vernetzen. Es ist uns wichtig, dass ein Doktorand im Maschinenwesen eine Idee davon kriegt, was eine Doktorandin der Chemie als Wissenschaftsbild hat«, formuliert der Direktor der Graduate School.
Um dieses Ziel zu erreichen, veranstaltet die Graduate School auf der Fraueninsel im Chiemsee ein viertägiges Kick-off-Seminar mit jeweils 100 Doktoranden aus allen Fakultäten. Dabei sollen die Doktoranden die verschiedenen Fachrichtungen der TU München kennenlernen, eigene Netzwerke aufbauen und Präsentationstechniken erlernen. Zudem ist das ›Science-Speeddating‹ fester Bestandteil des Seminars. Dabei sitzen sich alle Teilnehmer für jeweils zwei Minuten gegenüber und müssen in dieser Zeit das Thema ihrer Doktorarbeit erklären. Doch die Betreuung für die Doktoranden geht auch darüber hinaus. Allein in diesem Sommersemester haben sie die Wahl zwischen 200 Seminaren zum Beispiel zu Rhetorik, Ethik in der Wissenschaft und Start-up-Gründungen.
Letztlich aber kann die Graduate School die Doktoranden auf ihrem Weg zur erfolgreich abgeschlossenen Promotion nur begleiten, der innere Antrieb muss von jedem selbst kommen. »Eine fast schon kindliche Neugierde ist unabdingbar. Man muss eine wirkliche Befriedigung empfinden, wenn man verstanden hat, warum etwas so ist und nicht anders und es muss einem Spaß machen, sich auch bis nachts um zwölf damit zu beschäftigen«, berichtet Professor Rank, schränkt allerdings im nächsten Atemzug ein: »Das heißt nicht, dass ich mich permanent mit meinem Wissensgegenstand auseinandersetze, aber es muss Phasen geben, in denen ich Tag und Nacht am Thema sitze und mich auch im Biergarten mit meinen Kollegen über meine Promotion unterhalte.«
Sechs Jahre lang promovieren
Das Thema für seine Promotion hat Alexander Nottbeck noch nicht gefunden. Nottbeck hat an der TU München zunächst seinen Bachelor und anschließend seinen Master in Bauingenieurwesen absolviert. Momentan ist er Mitarbeiter am Lehrstuhl, seine Vollzeitstelle ist zunächst auf drei Jahre befristet, »wird aber hoffentlich verlängert, denn insgesamt ist die Anstellung im Regelfall auf sechs Jahre befristet«, erzählt der 26-Jährige. Eine konkrete Themenvorstellung für seine Promotion hat Nottbeck noch nicht, meistens finden Doktoranden im Rahmen eines Forschungsprojektes ›ihr‹ Promotionsthema. Überhaupt war für Nottbeck erst im Laufe seines Masterstudiums die Möglichkeit ins Auge gestochen, an der Uni zu bleiben und nicht direkt in die freie Wirtschaft zu wechseln.
»Durch die Arbeit als Hiwi am Lehrstuhl kannte ich die Mitarbeiter und die Arbeitsatmosphäre schon, vor dem Beginn der Masterarbeit habe ich dann das Gespräch bezüglich Promotionsmöglichkeiten am Lehrstuhl gesucht und bekam eine grundsätzlich positive Rückmeldung.«
Kurz vor Abgabe der Masterarbeit hat sich Nottbeck zwar auch noch bei anderen Arbeitgebern beworben, zu diesem Zeitpunkt stand sein Entschluss allerdings schon weitestgehend fest. Nun ist er in erster Linie in der Lehre tätig, also Seminarveranstaltungen betreuen, Lehrveranstaltungen in Eigenverantwortung übernehmen, Betreuung von Abschlussarbeiten.
Insgesamt rechnet Nottbeck für seine Promotion mit einem Zeitrahmen von sechs Jahren, was bei einer zeitgleichen Vollzeitstelle zumindest in ingenieurwissenschaftlichen Lehrstühlen keine Seltenheit ist. Fünf Jahre sind dann für die komplette Promotion der Durchschnitt, bei einer reinen Forschungsstelle liegt die durchschnittliche Dauer bei knapp vier Jahren. Zeit, in der die Doktoranden sicherlich etwas weniger Geld verdienen, als wenn sie direkt im Anschluss an ihre Diplom- oder Masterarbeit in die Industrie gegangen wären. Dafür aber ist das Gehalt nach der Promotion signifikant höher als bei reinen Master- beziehungsweise Diplomabsolventen und die Karrierechancen sind sowieso hervorragend – und auch nicht ganz unwichtig: Im Ausland genießt ein in Deutschland erworbener Doktortitel in den Ingenieurwissenschaften »einen hervorragenden Ruf«, so Professor Rank von der TU München.
Für Nottbeck jedenfalls ist es »schwer vorstellbar «, direkt im Anschluss an die Promotion eine Professur anzustreben. »Durch die lange Zeit an der Uni und die mangelnde Praxiserfahrung ist es meiner Meinung nach in einem sehr praxisbezogenen Fach wie dem Verkehrswegebau nur schwer möglich, Wissen an Studenten zu vermitteln.« Daher wird Nottbeck wohl erst mal der TU München den Rücken kehren, doch wie so viele Doktoranden sagt auch er: »Zu einem späteren Zeitpunkt könnte ich mir eine Rückkehr in den Bereich der Forschung und Lehre sehr gut vorstellen.«
Die finanziellen Rahmenbedingungen sind für Doktoranden sehr unterschiedlich. »Die Spanne reicht von der selbstfinanzierten Promotion aus Leidenschaft über eine Vollfinanzierung mithilfe von Stipendien bis zur Promotion im Rahmen von drittmittelfinanzierten Projekten, wobei man hier bedenken muss, dass man für die wissenschaftliche Tätigkeit bezahlt wird, die eigentliche Promotion findet nicht im Rahmen dieser Projektarbeiten statt. Die finanziellen Rahmenbedingungengehen also von null Euro bis zum ersten Einstiegsgehalt eines Lehrers«, fasst Anja Robert von der RWTH Aachen zusammen.
Welche Leistungsnachweise wichtig sind? Überdurchschnittliche Studienleistungen (in der Regel besser als 2,5), erste Erfahrungen in Forschungszusammenhängen (zum Beispiel durch Studienarbeiten oder Abschlussarbeiten) sowie internationale Erfahrungen und sehr gute Englischkenntnisse.
An Hochschulen wird zwischen Plan- und Projektstellen unterschieden. Dazu Anja Robert: »Aufgaben und Lehrgebiete, die eine dauerhafte Grundfunktion an den Hochschulen erfüllen, sind in der Regel entfristet. Projektstellen hingegen sind im Normalfall projektbezogen und damit zeitlich befristet.«
Auf dem Weg zur ordentlichen Professur warten in Deutschland die Promotion und die Postdoc Phase (Habilitation oder Junior Professur).