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An der Medizin der Zukunft mitarbeiten

In Zukunft gesund! Ob Krebstherapie oder High- Tech-Prothesen: Schlaglichter auf die Medizin der Zukunft.

›Gesundheit für alle‹
heißt das Leitmotiv der Weltgesundheitsorganisation WHO

In ihrer Satzung ist es verankertes Prinzip, »dass es zu den Grundrechten eines jeden Menschen gehört, sich der bestmöglichen Gesundheit erfreuen zu können«. Nun ist die Rede von der »bestmöglichen Gesundheit« eine recht vage und schließt nicht aus, einen Kranken mit ein paar lapidaren Worten darüber abzuspeisen, dass eine bessere Therapie nunmal nicht zu organisieren sei.

Gesundheit ist insofern natürlich zu einem großen Maß abhängig von der Art und Weise, wie Versorgung geregelt wird, vom Zugang zu sauberem Wasser, Diagnose- und Therapie-möglichkeiten. Sie ist mit anderen Worten eine oft politische und soziale Frage, und nicht eine des technischen Fortschritts. Manche Krankheit aber lässt sich selbst mit allen heute zur Verfügung stehenden Mitteln eben immer noch weder diagnostizieren noch therapieren. Dass dies in Zukunft anders sein möge, ist der Antrieb nicht jeder, aber doch eines großen Teils der medizinischen und medizintechnischen Forschung und Entwicklung.

Was dabei in den Fokus eben dieser Forschung rückt, hängt selbstredend von denen ab, die sie betreiben. Das Max-Planck-Institut für Polymerforschung (MPIP) etwa beschäftigt sich, wie der Name verrät, mit der Erforschung und Anwendung von Polymeren, also chemischen Verbindungen aus Kettenmolekülen. Anwendung finden diese Polymere als neuartige Materialien zum Beispiel in Mikroelektronik und der Informationstechnologie, in Handydisplays oder als Datenspeichermedien – und in der Medizin. So sind Mitarbeiter des MPIP am Sonderforschungsbereich ›Nanodimensionale polymere Therapeutika für die Tumortherapie‹ beteiligt, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zum 1. Oktober dieses Jahres an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz eingerichtet hat. Involviert sind Immunulogen und Biomediziner von Uni und Uniklinik sowie Chemiker vom MPIP. Zu letzteren gehört Katharina Landfester, geschäftsführende Direktorin des Forschungsinstituts. Die Ziele des Sonderforschungsbereiches erklärt sie so: »Es soll eine nanopartikelbasierte Tumortherapie gegen das Melanom entwickelt werden«, wobei ein besonderer Fokus darauf liege, auch minimale Resterkrankungen wie versteckte Metastasen zu eliminieren.

Vier Jahre wird es den Sonderforschungsbereich zunächst geben

Landfester und ihre Kollegen »erwarten, dass die Testung einer Reihe von Trägern soweit fortgeschritten ist, dass in einer hoffentlich zweiten Förderperiode erste Therapien in humanrelevanten präklinischen Melanommodellen getestet werden können.« Die erfolgreiche Forschung vorausgesetzt: Mit der konventionellen Behandlung eines Melanoms hätte die neuartige Therapie nichts mehr zu tun. Wer jemals bei einem Hautkrebs-Screening war, wird wahrscheinlich wissen, dass Melanome und auch auffällige Muttermale bisher chirurgisch entfernt werden. Glaubt man den Mainzer Forschern, liegt die Zukunft der Hautkrebstherapie aber nicht im Skalpell, sondern in Nanopartikeln. Sie wollen, sagt Landfester, »neuartige, multifunktionelle nanodimensionelle Therapeutika entwickeln, um Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen möglichst zellspezifisch freizusetzen«. Sie wollen einen Weg finden, gänzlich ohne zytotoxische, also zellschädigende Substanzen zu arbeiten. Funktionieren soll dies, indem Immunzellen in die Lage versetzt werden, nach einer Aktivierung selbst gegen Krebszellen zu kämpfen. Den polymeren Trägersystemen kommt dabei die Aufgabe zu, den Stoff, den es dafür braucht, geschützt in die Immunzellen hineinzubringen. Ohne ein solche Trägersystem würde er schon vorher zerstört.

Wichtig dafür ist es zu kontrollieren, wie die Partikel mit ihrer Umgebung interagieren. Ähnliches spielt mitunter auch für die Forschung Klaus-Peter Hoffmanns eine Rolle. Dann nämlich, wenn bestimmte Implantate körperverträglich gestaltet werden sollen. Doch der Reihe nach: Seit zehn Jahren forscht Hoffmann am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT), wo er Abteilungsleiter für Medizintechnik und Neuroprothetik ist. »Sehr viele administrative Tätigkeiten«, habe er da, sagt er fast bedauernd, »aber manchmal komme ich auch in ein Labor, und das sind die Sternstunden meiner Arbeit.« Hoffmann beschäftigt sich vorwiegend mit Neuroprothesen, die, um es kurz zu fassen, mithilfe elektrischer Impulse ausgefallene oder gestörte Nervenfunktionen wiederherstellen oder ersetzen sollen. Zwei recht bekannte Beispiele für solche Prothesen sind das Cochleaimplantat und der Herzschrittmacher. Es gibt Sehprothesen und solche, die bei Querschnittsgelähmten die Blasenfunktion wiederherstellen.

Diese Pionierarbeit in Sachen Neuroprothetik wollen das IBMT und Hoffmann fortführen. Zum Beispiel im Rahmen des Forschungsprojektes ›Myoplant‹, dessen Ziel die Entwicklung bionischer Handprothesen ist. Diese sind mittlerweile in der Lage, die Intuition des Trägers zu erfassen und in bestimmte Bewegungen der Prothese zu übersetzen. Umgekehrt ist es in einer in Rom durchgeführten Versuchsreihe auch gelungen, ein sensorisches Feedback zu erzeugen. Ein Meilenstein in der Entwicklung zukünftiger Prothesen, heißt sensorisches Feedback doch nichts anderes, als dass der Anwender seine Hand auch spüren konnte. Die Prothesen der Zukunft sind keine ›toten‹ Gegenstände an Armstümpfen – wie bei einer echten Hand war der Proband in der Lage, seine Hand intuitiv zu steuern, und bekam auch ohne ›visuelle Kontrolle‹ das Gefühl vermittelt: ›Da passiert etwas.‹

Abgeschlossen ist die Entwicklung damit aber noch längst nicht

Noch ist es zum Beispiel nicht gelungen, dem Träger der Prothese ein Gefühl für die Oberflächenstruktur oder das Gewicht der Gegenstände zu geben, die er mit seiner künstlichen Hand hält. Die Forschung wird deshalb noch andauern. Grundsätzlich aber sei die Neuroprothetik ein Zukunftsfeld, »schon allein wegen der demografischen Entwicklung«, sagt Hoffmann. Neuroprothesen könnten Lebensqualität erhalten, allerdings sei die Entwicklung anspruchsvoll.

»Es gibt etwa die Probleme der Biokompatibilität und der Langzeitstabilität«, führt Hoffmann an.

Prothesen müssten, und damit greifen wir einen Gedanken von vorhin wieder auf, aus einem langlebigen und verträglichen Material bestehen. Denkbar etwa, dass man menschliche Zellen auf den Oberflächen der Implantate ansiedelt, um sie biokompatibel zu machen.

»Davon sind wir aber noch weit entfernt«, schränkt Hoffmann ein, »wir müssen die Zellen erst dazu bringen, auf den künstlichen Oberflächen zu wachsen.«

Ebenso noch Zukunftsmusik ist die Entwicklung bioaktiver Oberflächen, die mit dem umgebenden Gewebe reagieren und zum Beispiel bei Entzündungen gezielt Wirkstoffe freisetzen.

Medizinische und medizintechnische Forschung, das zeigen die beiden Beispiele MPIP und IBMT, sind langwierig. Irgendwann aber führen sie auch zu Ergebnissen, die als Medikament oder neuartige Behandlungsmethode den Patienten zu Gute kommen. Am Helios-Klinikum Berlin-Buch etwa steht hinter den bleiverstärkten Mauern von Operationssaal 5 des Zentral-OPs ein Linearbeschleuniger, mit dem seit Ende 2012 an Krebspatienten eine intraoperative Strahlentherapie (IOERT) vorgenommen werden kann. Was das heißt, erklärt der Chefarzt der Klinik für Strahlentherapie, Robert Krempien: »Die Bestrahlung erfolgt schon während der Operation und in enger Zusammenarbeit zwischen Chirurgen und Strahlentherapeuten. Sie bestimmen die zu bestrahlende Körperregion im Operationsgebiet.« Weil der Chirurg die Stelle, an der er den Tumor zuvor entfernt hat, genau kennt, »kann er am besten die Region bestimmen, an der das Risiko für ein Wiederauftreten des Tumors am höchsten ist«. Anstatt den Patienten großflächig und von außen zu bestrahlen, würde der Strahl gezielt in das Tumorbett gelenkt. Umliegende gesunde Körperstrukturen und Organe würden damit vor Strahlen geschützt, das Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen reduziert und die Behandlungszeit erheblich verkürzt.

Kürzere und schonendere Therapien liegen dabei ja nicht nur im Interesse der Patienten, sondern auch der Krankenkassen.

Klaus Rupp, Leiter des Versorgungsmanagements der Techniker Krankenkasse (TK), betont, dass die TK gerne neue Behandlungsleistungen anbiete, solange sie innovativ und sicher seien. Die Betonung liegt auf dem ›und‹. Innovative Verfahren, sagt Rupp, würden keine Kassenleistung, wenn sie sich in der Praxis nicht als sicher bewährt hätten. »Wenn sich aber eine bestimmte Maßnahme in einem Pilotprojekt als erfolgreich erwiesen hat, wird sie auch flächendeckend von uns eingeführt.«

Ein Beispiel: Die magnetresonanztomographisch gesteuerte fokussierte Ultraschallbehandlung bei Frauen, die ein Myom erleiden. Diese Gebärmuttergeschwulst lässt sich mitunter nur durch das operative Entfernen der Gebärmutter ›heilen‹, betroffene Frauen können dann keine Kinder mehr bekommen. »Hier«, sagt Rupp, »erproben wir gerade, inwieweit die Ultraschallbehandlung den Frauen so helfen kann, dass sie ihren Kinderwunsch nicht aufgeben müssen und natürlich trotzdem gesund werden.« Besonders im Blick aber hat Rupp die personalisierte Medizin. Die hat zu einem großen Teil mit technischem Fortschritt zu tun, wird unter ihr doch verstanden, dem Patienten unter Berücksichtigung seines Genoms genau die Therapie zu verabreichen, die ihm hilft. Personalisierte Medizin heißt in gewisser Weise aber auch, sich als mündiger Patient von den vielen Therapieangeboten für genau jenes zu entscheiden, das am besten zu ihm passt. Und das ist keine Frage des Fortschritts, sondern vor allem eine der Information. 


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