hölzerner Steg; Umfeld neblig

Sterbebegleiter gesucht: Arbeitsfeld Palliativmedizin

Palliativmediziner schützen und begleiten Sterbenskranke auf dem Weg in den Tod - aufgrund der alternden Gesellschaft werden sie in naher Zukunft immer stärker nachgefragt

Uwe Ochsenknecht will sterben: Er spielt in der niederländischen Kinoproduktion »Nena – Viel mehr geht nicht« einen schwerkranken, gelähmten Selbstmordkandidaten. Während der Film in den Niederlanden bereits gelaufen ist, wartet er hierzulande vergebens auf eine Auswertung.

»In den Niederlanden sind wir mit der Diskussion um Sterbehilfe und Palliativmedizin schon etwas weiter«, erklärt Filmregisseurin Saskia Diesing. »Doch auch für die Deutschen wird das Thema immer dringlicher – denn unsere Gesellschaft wird immer älter.«

Demografischer Wandel sorgt für rasante Entwicklung

Was in der gesellschaftlichen Diskussion lange ein Tabu war und nun durch Filme wie »Nena – Viel mehr geht nicht« oder aktuelle Romane wie Stephen Kings »Doctor Sleep« langsam ans Licht der Öffentlichkeit gelangt, ist für Mediziner schon seit langem ein heißes Thema.

»Gerade in den letzten 20 Jahren hat sich die Palliativmedizin rasant entwickelt – und diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren noch fortsetzen«, urteilt Prof. Dr. Friedemann Nauck, Direktor der Klinik für Palliativmedizin an der Georg-August-Universität Göttingen. »Die Menschen werden immer älter, und das stellt uns in Zukunft vor neue juristische und ethische Herausforderungen.«

Wann darf sich ein Mediziner von seinem Auftrag der Lebenserhaltung abwenden und ein würdiges Sterben mit begleiten? Wann ist gar ein ärztlich assistierter Suizid mit dem Gewissen vereinbar?

Was ist Palliativmedizin?

Der Begriff Palliativmedizin stammt von dem lateinischen Wort ›palliare‹, zu Deutsch ›mit einem Mantel umhüllen‹.

Er zielt damit auf den beschützenden, umsorgenden Gedanken, dem die Palliativmedizin entspringt: Das wichtigste Ziel der Palliativmedizin ist es, Beschwerden zu lindern und eine höchstmögliche Lebensqualität für den Patienten zu erreichen.

Dazu gehört beispielsweise auch, in Absprache mit dem Kranken auf eine möglicherweise lebensverlängernde Therapie zu verzichten, wenn diese mit unverhältnismäßigem Leiden einhergehen würde.

Unter Palliativmedizin versteht man – im Gegensatz zur klassischen Medizin mit dem Ziel, den Patienten von seinen Krankheiten zu heilen – die Unterstützung unheilbar Kranker, ihre letzten Monate, Wochen und Tage mit einer möglichst hohen Lebensqualität zu erleben, selbstbestimmt und ohne unnötiges Leid.



Palliativmedizin ist ein Querschnittsfach

In der Medizin ist sie bislang noch kein eigenes Fach, doch kein Hochschulabsolvent startet heute mehr in den Arztberuf, ohne Module aus der Palliativmedizin belegt zu haben: Als Querschnittsfach ›Q 13‹ wurde die Palliativmedizin bereits 2009 als Pflichtlehr- und Prüfungsfach etabliert. Sie ist inzwischen mit Lehrstühlen für Palliativmedizin in Klinik, Lehre und Forschung universitär etabliert, und es gibt eine wachsende Anzahl von Palliativstationen, spezialisierten ambulanten Palliativdiensten und stationären und ambulanten Hospizen.

Im Jahr 1983 eröffnete in Köln die erste Palliativstation in Deutschland. Mittlerweile existieren deutlich mehr als 300 Palliativstationen und nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) über 270 sogenannte SAPV-Teams, die die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) in sehr unterschiedlichen Strukturmodellen anbieten.

Auch Pflegekräfte und Therapeuten sind gefragt

»Durch den Bedeutungszuwachs der Palliativmedizin eröffnen sich in der Medizin vielfältige Möglichkeiten, und der Bedarf an Fachkräften wird in den kommenden Jahren stark ansteigen«, prognostiziert Klinikdirektor Friedemann Nauck. »Das betrifft nicht nur Ärzte, sondern auch auf dem Gebiet der Palliativmedizin qualitativ gut ausgebildete Pflegekräfte und Therapeuten. In Zukunft benötigen wir in praktisch jeder Klinik, in der ambulanten Versorgung und in jedem Pflegeheim solche palliativmedizinisch geschulten Experten.«

Beziffern lasse sich dieser Bedarf nicht. »Doch zahlenmäßig hinken wir jetzt schon hinterher.« Angehenden Ärzten, die sich für dieses neue Arbeitsfeld begeistern, rät Friedemann Nauck nicht unbedingt zu einer frühzeitigen Spezialisierung:

»Wichtig ist die fundierte fachliche Grundausbildung bis zu einem Facharzt – im Anschluss kann man dann die Zusatzweiterbildungen in der Palliativmedizin erwerben. Dabei braucht man als Palliativmediziner in erster Linie das Herz am rechten Fleck.«

Auch Dr. Ulrike Hofmeister vom Berufsverband der Palliativmediziner in Westfalen Lippe glaubt, dass es in naher Zukunft in jedem Krankenhaus in Deutschland Palliativmediziner geben wird. »Und das nicht nur auf den Palliativstationen, sondern auch als Berater und Betreuer auf den anderen Stationen der Kliniken. Wir können fest damit rechnen, dass hier neue Arbeitsstellen entstehen werden.«

Zahlenmäßig sei das nicht mit der Chirurgie oder dem Augenarztbereich vergleichbar. »Denn die Palliativmedizin ist eine ausgesprochene Teamarbeit, bei der Mediziner mit Pflegekräften und anderen Professionellen zusammenarbeiten«, so Hofmeister. Der Wunsch nach einem ›ärztlich begleiteten Suizid‹ sei dabei äußerst selten.

»Ich persönlich habe das in 15 Jahren palliativmedizinischer Arbeit keine fünf Mal erlebt«, berichtet Hofmeister. Doch selbst wenn der ärztlich assistierte Suizid in Deutschland einmal unter Strafe gestellt werden sollte, habe dies keine Auswirkungen auf die Entwicklungsvorhersagen des palliativmedizinischen Berufsfeldes. »Denn es geht dabei ja nicht ums Sterben, sondern um die Begleitung der Erkrankten.«

Neues Gesetz soll für Klarheit sorgen

Dabei bleibt das Thema weiter hochaktuell: Erst im April dieses Jahres hat das Bundeskabinett einen vom Bundesgesundheitsministerium vorgelegten ›Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland‹ (Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) verabschiedet. Ziel des Gesetzesentwurfs ist ein flächendeckendes Hospiz- und Palliativangebot in ganz Deutschland.

»Sterbende Menschen sollen künftig weit umfassender betreut werden können, sei es zu Hause, in Heimen, Hospizen oder Krankenhäusern«, heißt es in dem Entwurf. »Dafür sollen vor allem auf dem Land Lücken in der Hospiz- und Palliativversorgung geschlossen werden.«

Die medizinische und pflegerische Versorgung dafür kostet voraussichtlich zusätzliche 200 Millionen Euro im Jahr – und es wird zusätzliches Fachpersonal benötigt. Bis Ende des Jahres soll das Gesetz durch den Bundestag gebracht werden.


»Palliativmedizin bedeutet, über den Rand der eigenen Profession hinausblicken zu können. Es braucht die unbedingte Bereitschaft zur Kooperation mit Pflegern und Therapeuten. Wer dazu bereit ist, hat in Zukunft vielfältiges Entwicklungspotential.«

Dr. Ulrike Hofmeister, Berufsverband der Palliativmediziner in Westfalen Lippe

Wissenswertes zum Thema Palliativmedizin

  • Die Palliativmedizin kommt also erst dann zum Tragen, wenn die Mittel der klassischen Medizin nicht mehr ausreichen. Sie verlegt den Fokus weg von der heilenden hin zur lindernden Behandlung.
  • Erst im Jahr 2007 wurde der Anspruch eines jeden bedürftigen gesetzlich versicherten Patienten auf die ›Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung ‹ (SAPV) gesetzlich verankert. Dabei handelt es sich um ein intensiviertes, multiprofessionelles ambulantes palliativmedizinisches Unterstützungsangebot für schwerkranke und sterbende Patienten in besonders komplexen Belastungssituationen.
  • Trotz einer Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Ausgestaltung dieser spezialisierten Form palliativer Unterstützung stellt sich in Deutschland ein regional sehr unterschiedliches Bild darüber dar, wie die SAPV umgesetzt wird. Mehr Infos unter dgpalliativmedizin.de

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