»Patents, Trendscouting & Basic Research Manager«
So lautet die offizielle Berufsbezeichnung von Dominik Erhard, der bei Raumedic, einem Hersteller für medizintechnische Produkte, arbeitet. Weil sich nur wenige etwas Genaues darunter vorstellen können, beschreibt sich der promovierte Chemiker gerne als Dolmetscher: »Eine meiner Hauptaufgaben besteht darin, zwischen Entwicklern und Patentanwälten zu vermitteln.«
Nur so finden Innovationen, die die Ingenieure und Anwendungstechniker entwickeln, den Weg zum Patienten. »Manchmal merken die Entwickler gar nicht, von welcher Bedeutung ihre Erfindungen sind, sie nehmen sie häufig nur als logische Weiterentwicklungen wahr. Meine Aufgabe ist es, schutzrechtwürdige Erfindungen bei Raumedic auszumachen und den Weg für die Patentierung zu ebnen«, erklärt der 31-Jährige. Das mittelständische Unternehmen mit Hauptsitz in Bayern entwickelt und produziert vor allem Kunststoffartikel wie Schläuche, Formteile und Katheter, die zum Beispiel in der Neurochirurgie zum Einsatz kommen.
Als Naturwissenschaftler bringt Erhard das nötige Fachwissen mit, er spricht die Sprache der Wissenschaft – doch schon immer hat ihn auch der Blick über die eigene Disziplin hinaus interessiert. »Ein Schlüsselmoment war, als ich im Rahmen meiner Promotion in einer Konferenz saß, in der Physiker, Chemiker und Ingenieure aufgeregt miteinander diskutierten. Es klang, als sprächen sie über ganz unterschiedliche Dinge. Bis mir auf einmal klar wurde: Sie meinen genau das Gleiche.« Als er im Vorstellungsgespräch bei Raumedic betonte, wie viel Spaß ihm die interdisziplinäre Arbeit mache, bot man ihm die Stelle im Trendscouting an. Dazu gehört nicht nur das Aufspüren von neuen Technologien, sondern auch die Koordination von Förderprojekten und das Schutzrechtsmanagement. Auf Konferenzen spricht Erhard mit Ärzten und erkundigt sich bei ihnen, welche Verbesserungen von Medizinprodukten sie sich für ihre Arbeit wünschen.
»Die Medizintechnik ist eine extrem schnelllebige Branche. Ständig werden neue Technologien und Produkte entwickelt und man versucht vorauszusehen: Welche Innovation könnte in fünf Jahren den Durchbruch bringen?«
Aus unserem Gesundheitssystem ist die Medizintechnik nicht mehr wegzudenken. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen steigt und mit ihr die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen, die helfen sollen, die Lebensqualität zu wahren. Während Ärzte und Pflegepersonal nah an den Patienten arbeiten, sorgen Medizintechniker im Hintergrund dafür, dass die Möglichkeiten in Diagnostik und Behandlung vielfältiger werden. Herzschrittmacher, Knieprothesen, Röntgengeräte, Kerspintomographen – in der Medizintechnik werden die unterschiedlichsten Produkte, Geräte und Verfahren entwickelt. Vor allem Naturwissenschaftler und Ingenieure sind in der Branche sehr gefragt, ebenso Informatiker, Betriebs- und Volkswirte. Zu den verschiedenen Tätigkeitsbereichen zählen unter anderem Forschung und Entwicklung, Qualitätsmanagement, Key Account Management und Vertrieb.
In der Medizintechnik arbeiten nicht nur unterschiedliche Berufsgruppen zusammen, auch Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Kliniken kooperieren. Nach den USA und Japan ist Deutschland der weltweit drittgrößte Produzent von medizintechnischen Produkten und führt laut dem Europäischen Patentamt in München die Liste der angemeldeten Erfindungen an. Im Jahr 2009 waren es 16.400 Patente. Damit liegt die Medizintechnik deutlich vor anderen innovationsträchtigen Branchen wie der Automobilindustrie oder der Datenverarbeitung. Rund 137.000 Beschäftigte arbeiten in der deutschen Medizintechnik-Branche. Von 2000 bis 2008 ist ihre Zahl um zwölf Prozent gestiegen. Zum Vergleich: In der Pharmabranche ist die Beschäftigtenzahl im gleichen Zeitraum um etwa vier Prozent zurückgegangen. Die Branche ist mittelständisch geprägt, 95 Prozent der Betriebe beschäftigen laut Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) weniger als 250 Mitarbeiter.
»Die Medizintechnik ist ein Jobmotor, sowohl Naturwissenschaftler als auch Ingenieure erwarten hier glänzende Berufsaussichten«, sagt Manfred Beeres vom BVMed. »96 Prozent der Unternehmen haben derzeit offene Stellen und der Bedarf wird in den nächsten Jahren weiter steigen. « Es werden vor allem gut ausgebildete Fachkräfte für die Forschung und Entwicklung gesucht. »Insbesondere hier fehlt es an Nachwuchs und dieser Mangel wird, wie in anderen Branchen auch, in Zukunft noch größer werden«, sagt Beeres. Eine Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen des BVMed aus der Medizinprodukteindustrie ergab, dass 91 Prozent der befragten Firmen zunehmend Probleme haben, offene Stellen zu besetzen. »Auch im Vertrieb, in Marketing und Kommunikation und im Key Account Management gibt es Bedarf.« 2011 haben allein die BVMed-Mitgliedsunternehmen rund 3.000 neue Jobs in der Medizintechnik geschaffen. Das durchschnittliche Einstiegsgehalt von Naturwissenschaftlern in der Medizintechnik liegt laut der Vergütungsberatung Personalmarkt bei 44.200 Euro brutto im Jahr.
Das mittelständische Unternehmen Heine optotechnik beschäftigt rund zehn Naturwissenschaftler in der Medizintechnik. Dort entwickeln sie gemeinsam mit Ingenieuren medizinische Instrumente wie Otoskope, Dermatoskope, Ophthalmoskope, Lupenbrillen und Stethoskope, die von Allgemeinmedizinern, Hals-Nasen-Ohren-Ärzten, Haut-, Augen-, Zahn- oder Tierärzten auf der ganzen Welt verwendet werden.
»Wir beschäftigen unter anderem Physiker in der Entwicklungsleitung und der Projektleitung, außerdem in der Elektronikentwicklung, einen technischen Mathematiker als LED-Spezialisten und einen Biologen im Bereich Regulatory Affairs«, sagt Geschäftsführer und Inhaber Oliver Heine.
Auch bei B. Braun Melsungen finden Biologen, Chemiker, Biotechniker und Physiker unterschiedliche Tätigkeitsfelder vor.
»Wir suchen vor allem Absolventen der Naturwissenschaften für die Bereiche Qualitätsmanagement und Regulatory Affairs«, sagt Dirk Kalb, Leiter des Ressorts Angestellte im Personalwesen bei B. Braun.
Während sich die Mitarbeiter im Qualitätsmanagement vorwiegend um die Einhaltung von Qualitätsrichtlinien kümmern und entsprechende Prüfverfahren zur Qualitätssicherung durchführen, sind ihre Kollegen in der Abteilung Regulatory Affairs dafür zuständig, das die bei B. Braun entwickelten medizinischen Produkte in anderen Ländern zugelassen werden. In beiden Abteilungen kennzeichnet sich die Arbeit durch Interdisziplinarität:
»Wer hier arbeitet, betreibt eine Art Schnittstellenmanagement: Man ist im ständigen Austausch mit anderen Fachdisziplinen und vereinbart Maßnahmen mit verschiedenen Spezialisten, zum Beispiel mit Entwicklungsingenieuren und Produktmanagern.« »Berufserfahrung ist hilfreich, aber keine Bedingung, um bei uns anfangen zu können«, kommentiert Heine die Aussichten für Berufseinsteiger bei Heine Optotechnik.
»Grundsätzlich sind bei uns Absolventen mit Bachelor-,Master- und Diplomabschluss sowie Promotion willkommen.« Interessanter als der jeweilige Studienabschluss sei die fachliche Vertiefung. »Unverzichtbar ist darüber hinaus die Fähigkeit, logisch und strukturiert denken zu können«, sagt Heine. »Problemlösungspotenzial, Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit – das ist keine lose Aneinanderreihung von geforderten Kompetenzen, das meinen wir auch so.« Es gehe darum, im Team innovative Lösungen für die Kunden zu entwickeln, diese zu produzieren und zu vermarkten. »Das funktioniert nicht ohne den direkten, respektvollen aber auch kritischen Austausch mit Kollegen aus den unterschiedlichsten Bereichen.« Genau richtig sei in der Medizintechnik, wer Kreativität gepaart mit Pragmatismus mitbringe. »In dieser Branche vereinen sich Wissenschaft und Wirtschaft.« Es geht um den wissenschaftlichen Fortschritt, aber auch darum, welche Produkte sich verkaufen lassen. Hier sind Erfindergeist und ein Gespür für Trends gefragt.
Bei B. Braun starten Absolventen per Direkteinstieg oder Traineeprogramm, Voraussetzung für den Einstieg ist ein Bachelor- oder Masterabschluss. »Unter dem Zeugnis muss keine Eins stehen, aber einen guten Abschluss sollten die Bewerber schon mitbringen«, sagt Kalb. Eine Promotion kann von Vorteil sein, ist aber kein Muss.
»Wichtiger ist uns, dass der Bewerber bereits in den Bereich hineingeschnuppert hat, in dem er arbeiten möchte – etwa in Form von Praktika. Auch eine zusätzlich Berufsausbildung kann hilfreich sein, zum Beispiel im technischen oder im kaufmännischen Bereich.«
So bringe manch ein Berufseinsteiger neben seinem naturwissenschaftlichen Studium beispielsweise eine Ausbildung zum Chemielaboranten oder zum Industriekaufmann mit. Das Traineeprogramm dauert in der Regel 18 Monate, das Brutto-Jahresgehalt der Trainees liegt zwischen 43.000 und 46.000 Euro.
»In jedem Fall ist es wichtig, dass jemand eine Affinität zu den Themen der Gesundheitswirtschaft besitzt und Spaß daran hat, an der Entwicklung und Verbesserung von Gesundheitsprodukten mitzuarbeiten«, sagt Kalb. Da die Medizintechnik eine internationale Branche ist und B. Braun auch an vielen ausländischen Standorten vertreten ist, sind außerdem gute Englischkenntnisse von Nöten. Soll eine Infusionslösung oder ein Dialysegerät in China oder Brasilien zugelassen werden, setzen sich die Mitarbeiter aus der Abteilung Regulatory Affairs mit den dortigen Behörden in Verbindung. »Viele unserer Niederlassungen befinden sich auf dem amerikanischen Kontinent und in Asien, das Arbeiten in internationalen Teams gehört zur Tagesordnung. « Dabei ist auch interkulturelle Kompetenz gefragt, auf die die Mitarbeiter und Trainees in Seminaren geschult werden. Aufgrund der kontinuierlichen Weiterentwicklung in Medizin und Forschung ist die Medizintechnik eine Branche mit hohem Zukunftspotenzial. Und sie gilt als krisensicher.
»Gesundheitliche Beeinträchtigungen unterliegen keinem Zyklus, sie kommen immer vor. Das ist ein Grund dafür, dass die Medizintechnik geringeren wirtschaftlichen Schwankungen unterworfen ist, als andere Branchen«, so Heine. »Zudem hat sie ein sehr positives Image, denn sie erfüllt eine sinnvolle Aufgabe und steht im Dienste der Gesundheit aller.«