Was wären wir nur ohne das Internet? Es ist heute ein so selbstverständlicher Teil unseres Lebens, dass eine Existenz ohne es schlechterdings gar nicht vorstellbar wäre.
- Wie noch ein Referat halten ohne Wikipedia?
- Wo noch Freunde treffen, wenn nicht bei Facebook?
Das Internet dient uns als Informationsquelle und sozialer Treffpunkt, und es ist ein unübersichtlicher Großmarkt für alles, was das Herz begehrt. Klamotten, Möbel, Musik und Bücher, ja selbst die Liebe finden die weltweit fast 2,5 Milliarden User immer öfter per Mausklick im World Wide Web.
Partnersuche im Internet als Forschungsgegenstand
Die Partnersuche im Netz ist zu einem unübersehbaren Phänomen geworden, das längst auch an den Universitäten Einzug gehalten hat – und das nicht nur, weil auch Studenten online nach der Liebe ihres Lebens suchen. Es ist eigener Forschungsgegenstand geworden, so etwa an der Uni Bamberg, wo seit 2012 unter dem Titel ›Das Internet als Partnermarkt‹ ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt am Lehrstuhl für Soziologie existiert.
Dabei ist es nicht einmal falsch, auch dort von einem Markt zu sprechen, wo es doch eigentlich um Romantik und intime Beziehungen gehen sollte:
Mehr als 200 Millionen Euro – und damit mehr als je zuvor – gaben insbesondere die jungen Deutschen 2011 für die Partnersuche im Internet aus.
Das heißt: Unabhängig von ihrem Erfolg ist die Onlinesuche nach der Liebe zunächst einmal ein gutes Geschäft. Natürlich finden viele einen Partner eher zufällig über soziale Netzwerke – oder über die relativ jungen Dienste wie ›Spotted:‹ oder ›#bibflirt‹, die ganz ähnlich funktionieren wie es einst Kleinanzeigen in Szenemagazinen und Anzeigenheftchen taten. Damals, als Botschaften à la »Wir standen am Freitag gemeinsam an der Bar und du hast mir so süß auf die Hose gekotzt« tatsächlich noch auf Papier (!) gedruckt wurden. Wenn unsere einsamen Herzen für die Partnersuche im Internet heute aber sogar zahlen, dann vor allem für die Dienste der zahllosen Dating- und Partnervermittlungsportale und ihr vollmundiges Versprechen: »Wir verlieben dich.«
Wie funktioniert Kommunikation mit potenziellen Partnern im Internet?
Scheinbar plausibel wird dieses Versprechen aufgrund derselben Prämissen, die eine Partnersuche im Netz für viele so verführerisch machen. Es geht dabei um Grundannahmen darüber, wie Online-Kommunikation funktioniert. Natürlich quillt Facebook über vor Bildern und Videos. Instagram oder Tumblr, ersteres noch mehr als letzteres, ziehen ihren ganzen Reiz aus Bildern, Grafiken und allenfalls kurzen Texten.
Wer per Skype bei Freunden durchklingelt, wird mit einiger Wahrscheinlichkeit seine Webcam anstellen. Dennoch ist die Kommunikation im Internet, gerade bei der ersten Kontaktaufnahme, überwiegend textbasiert. Man sieht sich nicht, hört sich nicht, spürt sich nicht. Der Körper, der eigene wie der des Anderen, verliert im virtuellen Raum also an Bedeutung. Wenn Aussehen, Stimme und die Art sich zu bewegen nicht mehr zählen, kommt es nurmehr auf die ›inneren Werte‹ an.
Über die zunächst rein schriftliche Kommunikation, versichern alle, die mit der Online-Partnersuche Geld verdienen, gewinnen Singles deshalb einen direkten Eindruck davon, wie ihr Gegenüber tickt. Die gleiche Botschaft destilliert die israelische Soziologin Eva Illouz in ihrem Buch ›Gefühle in Zeiten des Kapitalismus‹ übrigens aus der Liebeskomödie ›E-M@il für Dich‹, die nicht nur wegen ihrer beiden Hauptdarsteller (Tom Hanks! Meg Ryan!) ganz grauenhaft geraten ist:
»Die Romanze im Netz ist der Beziehung im echten Leben unvergleichlich überlegen, weil sie den Körper auslöscht und so einen scheinbar vollständigeren Ausdruck des eigenen authentischen Selbst ermöglicht.«
Diese Körperlosigkeit des World Wide Web hat noch weitere Aspekte. So nimmt der Wegfall der sogenannten visuellen und akustischen Kontrolle die Sorge, dem Typ des Anderen nicht zu entsprechen oder nicht gut genug auszusehen. Ängste, sich möglicherweise ungeschickt zu bewegen, das Falsche anzuhaben oder in den entscheidenden Momenten zu stottern, werden bedeutungslos.
Schüchterne, unsichere Menschen im Vorteil
Gerade für schüchterne, unsichere oder stigmatisierte Personen wird das Internet so dem Ideal nach zu einem Ort, an dem sie vergleichsweise problemlos und sorgenfrei ihre Liebe finden können. Und: Das Internet enthemmt. Im Schlechten, wie man leicht in den Kommentarspalten von Spiegel Online und Co. nachlesen kann, wo allerhand Blödsinn gepostet wird, der sonst aus guten Gründen ungesagt bliebe.
Aber auch im Guten, denn die Anonymität und Distanz lässt Schüchterne vergessen, dass sie ihren Schwarm in Bibliothek, Bus oder Bar nie und nimmer angesprochen hätten. Zumindest ist dies manchmal der Fall, doch wie eine Studie zeigt, sind es auch im Internet vor allem die Selbstbewussten und Kontaktfreudigen, die einen Partner finden. Anders ausgedrückt: Wer schon im ›Real Life‹ selten die richtigen Worte findet, schafft das auch nicht im Facebook-Chat. Oder auf einer der zahllosen ›Spotted:‹-Seiten, die sich im vergangenen Winter in Zuckerbergs sozialem Netzwerk ausgebreitet haben wie der Grippevirus über Deutschland.
Arg prosaisch fragt dort schon mal ein einsames Herz seine Zufallsbegegnung von letzter Nacht nach ihren ›Kontaktdaten‹, und wir dürfen annehmen, dass jemand, für den Intimität sprachlich nur eine weitere Geschäftsbeziehung unter vielen ist, seine Probleme mit der Liebe hat.
So originell viele Posts auch sind, spricht aus anderen Unbeholfenheit. Das ist alles andere als schlimm oder überraschend, beweist aber auch, dass das anonyme Internet für Schüchterne und Introvertierte nicht zwangsläufig der Hort des Glücks ist, zu dem es mancher hochschreiben will.
Vielsagendes Profil erhöht die Chancen
Es ist auch aus anderen Gründen irreführend, sich vom Internet die Lösung aller Liebesprobleme zu erwarten. Zum guten Ton aller Portale, insbesondere bei den nicht ganz billigen Partnervermittlungen, gehört es, ein möglichst vielsagendes und detailliertes Profil von sich zu erstellen. Partnervermittlungen greifen sogar auf Persönlichkeitstests zurück, die selbstverständlich allesamt ›seriös‹ und ›wissenschaftlich‹ den Einzelnen in eine standardisierte Form pressen. Der Glaube, in solchen Profilen könne Individualität abgebildet werden, ist trügerisch. Niemand gibt gerne zu, maulfaul, kompliziert und humorlos zu sein oder es vielleicht mit der Körperhygiene nicht so genau zu nehmen.
Datingportale wimmeln deshalb nur so von ›aufgeschlossenen‹, ›spontanen‹ und gut riechenden Menschen, die zwar gerne aus der Masse hervorstechen möchten, sich aber aus Angst davor, negativ aufzufallen, so nichtssagend darstellen wie alle anderen auch. »Der Prozess der Selbstbeschreibung bedient sich kultureller Skripte der wünschenswerten Persönlichkeit«, schreibt Illouz. Und er mündet in einer ›Ökonomie der Fülle‹, die nicht grundlos mit der eines Supermarkts verglichen werden kann. Weil der Traumpartner aus einer großen Zahl sehr ähnlich klingender Vorschläge erst herausgefiltert werden muss, mutieren Partnerbörsen zu einer Art Gemischtwarenregal, aus der man Personen herausnimmt, in Augenschein nimmt und gegebenenfalls wieder zurücklegt. Für Illouz ein radikaler Bruch mit dem Ideal der romantischen Liebe – und ein Eindringen der Konsumlogik in den Bereich des Privaten. Selbst wenn man seine Wahl getroffen hat, kann man sich nicht sicher sein, den Richtigen erwischt zu haben.
Auf das erste Anbandeln im Netz folgt deshalb nicht selten eine endlose Reihe von Treffen, die als sehr monoton beschrieben werden: »In den meisten Fällen habe ich keine Erwartungen und bin nicht sonderlich nervös. Ich weiß genau, was passieren wird«, zitiert Illouz eine ihrer Gesprächspartnerinnen. Von dem aufregenden Kribbeln vor und während der ersten Dates ist nichts übrig. Was bleibt, ist das routinierte Abklopfen des Gegenübers.
Vier Millionen Deutsche suchen Flirts und Dates im Netz
Also alles falsch mit diesem Internet? Nein, keineswegs. Immerhin vier Millionen Menschen in Deutschland suchen monatlich online nach Flirts und Dates, über zwei Millionen nutzen das Internet mit dem klaren Ziel, einen Lebenspartner zu finden. Mittlerweile 31 Prozent aller neuen Beziehungen entstehen online, was alles zusammengenommen doch deutlich zeigt, dass Partnersuche im Internet erfolgreich sein kann und ihren ganz speziellen Reiz hat. Wenn die Anonymität des Internet enthemmt, heißt das nämlich auch, dass man sich leichter mitteilt. Persönliche Dinge werden eher preisgegeben als im ›realen Leben‹, was dazu führt, dass Internetbekanntschaften sehr intime und emotionale Züge annehmen können.
Ohne den Gesprächspartner je zu Gesicht bekommen zu haben, kann er zur wichtigsten Vertrauensperson werden. Kurz: Liebe ist möglich. Allerdings setzt ein ›echtes‹, ein physisches Miteinander voraus, dass sich zwei (oder für Polyamoröse gerne auch mehr) Menschen treffen, ganz gleich ob in einer Cocktailbar oder einer Hafenspelunke. Ob eine liebevolle Internetbeziehung diesem Medienwechsel standhält, wenn der Körper als schlurfiges, nervöses Etwas wieder auf den Plan tritt, steht auf einem anderen Blatt. Wer den Menschen, den er liebt, aber nicht nur als Nachricht in einem Postfach um sich haben will, kommt um diesen Schritt nicht herum. Macht den Rechner also lieber aus und geht unter Leute.
In einer ganz anderen Hinsicht gehen Liebe und Internet übrigens sehr gut zusammen, dann nämlich, wenn es räumliche Distanzen überbrückt. Wer etwa durch Gastsemester getrennt ist, hält online leicht Kontakt. Wenn sich Studis heute während ihres Erasmus-Programms im Ausland verlieben – und das tun sie häufig – bleiben sie über das Internet verbunden. Wenn Liebe früher Grenzen überschritt, hieß es schon mal quälendes tage-, ja monatelanges Warten. Auf eine Nachricht, einen Brief oder ein kurzes, weil unverschämt teures Telefonat mit einem dieser komischen Apparate mit Wählscheibe, die sich Vintage-Liebhaber heute gerne auf ihr hübsch designtes Sideboard stellen. Die körperliche Sehnsucht bleibt, doch in Zeiten von Internettelefonie, Messengern und Social Media sind kleine und große Liebesgrüße schnell übermittelt. Das heißt auch: Kein banges Fragen, keine Unsicherheit mehr, sondern nur beruhigendes Wissen: »Schön, dass es dich gibt.«