Eines schönen Morgens, die Sonne ging gerade auf, blickte ich von meiner Seminararbeit auf. Seit Stunden versuchte ich, die Arbeit endlich fertig zu schreiben. Auf dem Boden neben mir stapelten sich 38 Bücher und mit meinen Post-it-Verbrauch war ich wahrscheinlich für die Rodung von ganz Südamerika verantwortlich.
"New York wäre genau meine Stadt"
Ich dachte mir »New York wäre genau deine Stadt«. Ich hatte unheimlich Glück, durch Kontakte aus meinem vorigen Praktikum, ein telefonisches Interview mit den Mitarbeitern aus New York zu ergattern. Wie man es erwartet, war ich gewappnet: Ich hatte einen Spickzettel geschrieben und leo.org schon geöffnet. Das Gespräch lief gar nicht schlecht und ich bekam eine Zusage. Die Wochen danach waren dadurch geprägt, dass der Tag viel zu wenig Stunden hatte: ich musste mich um Reisepass, Visum, Flug und Bachelorarbeit kümmern. Ich war mehr als überglücklich, als ich dann endlich morgens um 6 Uhr bei sechs Grad und Regen vor dem Konsulat stand. Mir wurde vorher gesagt, dass man alle Präsidenten und die Geschichte von Amerika mehr oder minder detailliert wiedergeben können muss. Dem war natürlich nicht so. Aber gut, dass ich es trotzdem in der Nacht vorher alles ins Kurzzeitgedächtnis gepaukt hatte.
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Reise nach New York: Mit der Bachelorarbeit im Flugzeug
Es fühlte sich fast unreal an, von meiner Familie an den Flughafen gebracht zu werden. Es war alles in so kurzer Zeit, dass ich es kaum glauben konnte, als ich mit meinen Siebensachen (zwei Koffer und mittelmäßig viel Handgepäck) am Check-In stand. Der Flug verging auch viel zu schnell. Ich hatte meine Bachelorarbeit vor mir liegen und als ich ein gutes Stück geschafft hatte, waren wir schon fast im Landeanflug. Wer glaubt, er hat schon einmal lange Schlangen gesehen oder dass nur Briten sich gerne anstellen, war noch nicht am JFK zur Einreise! Ich war so naiv, dass ich mich nicht in die Foreigner-Schlange stellte, sondern einen Mitarbeiter fragte, was denn der richtige Counter für mich wäre. »I will stay here for several months. I have a visa!«, sagte ich freudestrahlend, aber er antwortete nur »Me too«. Und damit stand ich drei Stunden lang an. Am Counter angekommen freute ich mich wirklich sehr, das erste »How are you?« zu hören. Erstaunlich ist nur, dass die Amerikaner keine Antwort darauf erwarten. Wenn man fragt, was das bedeutet, sagen sie »Hello«. Ahja!
Praktikum in New York: "Nimm nur ein gelbes Taxi."
Einer meiner zukünftigen Kollegen hatte mich vor dem Abflug noch in verschiedenen Bereichen gecoacht. So auch: »Nimm nur ein gelbes Taxi.« Mein Zimmer während meines Aufenthaltes war fantastisch. Ich hatte nicht nur einen super Ausblick, sondern es war auch sauber und die Nachbarn nett. Im Wohnheim gibt es aus europäischer Sicht teilweise recht altmodische Regeln: Zum Beispiel sind Männer nur bis in die Lobby erlaubt. Und nach 24 Uhr sind gar keine Männer-Besuche mehr gestattet. Auf den ersten Blick klingt das komisch, es ist aber auch erholsam: Innerhalb des Wohnbereichs habe ich noch nie so viele Leute so abgewrackt herumlaufen sehen, die sich in wunderschöne Frauen verwandelten, sobald sie durch die Vordertür gingen.
Meine ersten Freunde in der neuen Stadt waren meine neuen Kollegen, die sich super um mich kümmerten und mir halfen, mich schnell zurechtzufinden. Die Arbeit als Sales-Girl war die ersten Tage anstrengend, weil ich so viele neue Personen kennenlernte und ich nicht sicher war, ob mich auch alle wirklich verstehen würden. Alle Kollegen, egal woher sie kamen waren aber aufgeschlossen und nett. Ich bekam viele Tipps und wir haben viel miteinander unternommen. So lernte ich auch meine Lieblingsplätze kennen: Die Bar im Gansvoorthotel und für nicht so schicke Abende die Houston Hall.
New York: 5th Ave, Ground Zero, Filmkulissen
Mit der Bahn ins Büro zu fahren und am Wochenende die 5th Ave entlang zu laufen war für mich genauso selbstverständlich, wie ins Musical zu gehen oder den Central Park zu erkunden. Und zwischendrin gab es den weihnachtlichen Gingerbread-Latte von einer berühmten Kaffee-Kette. Was mich aber umhaute war, wie wunderschön diese Stadt ist. Auf fast allen Hochhäusern gibt es Rooftop Bars, die ich beinahe alle besichtigt habe – man kann sich nicht satt sehen. Außerdem verändert sich alles so schnell, wie es berichtet wird. Allein, wenn man überlegt, was man essen möchte, kann man aus 142 verschiedenen Herkunftsländern auswählen. Da fällt die Entscheidung nicht so richtig leicht. Mein Glück war, dass ich von allen Tipps bekam. Faszinierend ist, die ganzen Orte aus Film und Fernsehen in real zu sehen, wie zum Beispiel die Magnolia-Bakery aus ›Sex and the City‹, die ich auch besucht habe. Und auch Ground Zero sollte man sich angeguckt haben. Das ist in Wirklichkeit noch viel größer, als man sich das vorstellen kann. Wenn man Einheimische auf den 11. September 2001 anspricht, sind die Reaktionen sehr verschieden, aber eines haben sie alle gemein: Sie sind heute noch tief betroffen. Und sofort ist ein »Du bist ja nicht von hier« ein Thema. Obwohl ich mich immer zuhause und willkommen gefühlt habe, gab es doch einige Momente, in denen ich gemerkt habe, dass ich fremd bin. Nach einiger Zeit sehnt man sich auch nach echtem Brot. Aber New York ist ja eine Stadt, in der es alles gibt – auch eine deutsche Bäckerei und ein Hofbräuhaus. Dass Besteck immer aus Plastik ist und weggeworfen wird, ist auch leicht befremdlich. Meine deutschen Freundinnen und ich haben – völlig rebellisch – Tassen und Teller aus Porzellan besorgt und beim Essen im Wohnheim wieder benutzt.
New York, ich komme wieder!
Fremd ist auch, wie klirrekalt es im Winter werden kann. An einem Sonntag besuchte ich das Gospel in Brooklyn und kam fast nicht durch den Schnee. In Manhattan wird dagegen besser darauf geachtet, dass die Straßen frei sind. Klar, wie sollte Carrie sonst auch in ihren High Heels da lang laufen? Und in Manhattan ist wirklich jeder ein bisschen Carrie. Ich habe es leider nicht geschafft, alle Punkte auf der New Yorker Todo-Liste abzuarbeiten. Aber das ist auch gut so, denn New York hat mich nicht zum letzten Mal gesehen.