Klischee:
Redaktionsleitungs-Stellen bedeuten vor allem eines: Macht! Kommt der Redaktionsleiter – nie vor 10.30 Uhr – ins Büro, stehen Volontäre und Grafikabteilung zunächst Spalier, um seine Frühstückswünsche zu erfragen und entsprechend tätig zu werden. Mit beißendem Spott kritisiert er dann die Texte der Volontäre, um sich danach zur kreativen Themenfindung ins Allerheiligste zurückzuziehen. Nach stundenlanger Zeitungslektüre erscheint er am Nachmittag wieder im Großraumbüro, um sich in aller Ruhe an seine Texte zu setzen. Mit dem Rest des Verlagsteams, vor allem der Anzeigenabteilung, hat er keine Berührungspunkte, schließlich ist er für den Inhalt zuständig und für sonst nichts. Klassisches Tagesgeschäft, Mails, Telefonate und das Wort ›Gründlichkeit‹ gibt es in seinem Job so gut wie gar nicht: Solchen Alltagskram überlässt er den Volontären, um in seiner Kreativität nicht beeinträchtigt zu werden und pünktlich um 17 Uhr nach Hause zu können.
Wahrheit:
Julia Wolf & Viktoria Feifer, Redaktionsleiterinnen bei audimax MEDIEN
»Volles Programm! Wir verantworten alle Publikationen, die audimax herausgibt: im Jahr immerhin um die 30 Stück. Welche Themen für welches Magazin wie aufbereiten, wie die Hefte planen, welches Thema kriegt welche Darstellungsform? Fragen, die wir uns vor der Hefterstellung stellen. Sieht das schick aus, passen die Headlines, taugt der Anleser, sind die Fließtexte gut? Fragen, die wir uns während der Hefterstellung stellen. Und die wir gemeinsam mit unserem Team während der ganzen Produktionsphase beantworten und gegebenenfalls ändern. Klar, dass sich das nicht aus dem stillen Kämmerchen machen lässt: Wir sind mitten im Redaktionsgeschehen, unsere Schreibtische quasi das Zentrum des Großraumbüros, um für alle Fragen parat zu stehen. Ob Grafik, Volontäre oder Anzeigenkunden: Wir kennen unsere Hefte in- und auswendig von der ersten Produktionssekunde bis zur letzten. Wer einen 9-to-5-Job will, wird in einer Redaktionsführungsposition unglücklich, genauso jemand, der ›nur‹ schreiben und journalistisch arbeiten will. Ein Redaktionsleiter-Job ist viel umfangreicher als ein reiner Redakteurs-Job: Koordinieren, planen, das Produkt entwickeln, dabei im Auge haben, dass die Hefte sich auch verkaufen lassen müssen, mit Autoren, den Volontären und Kunden kommunizieren und dabei supergründlich sein, denn an den Heftproduktionen hängt viel Budget und Umsatzpotenzial, für das wir verantwortlich sind. All das ist gelebte Redaktionsleitung. Und schreiben? Ja, das auch, immer wieder.«