Querschnitt einer Traube

Akademiker in Handel und Vertrieb

Noch wenige Hochschulabsolventen tummeln sich in Handel und Vertrieb. Warum sind’s eigentlich nicht mehr? Karrierechancen gibt's nämlich zuhauf!

Beste Chancen für Akademiker im Handel und Vertrieb

Neun Prozent. Erst mal ein abstrakter Wert. In dem bei näherem Hinsehen aber viele illustre Aspekte stecken: Maritime Forscher entdeckten zum Beispiel in den Mägen von neun Prozent aller sezierten Pazifikfische Plastikteilchen. Vor etwa drei Wochen stürzte der Silberkurs an der Börse um mehr als neun Prozent ab. Die Piratenpartei feierte ihr fast neunprozentiges Kommunalwahlergebnis in Berlin. Und außerdem: Lediglich neun Prozent aller Erwerbstätigen im Einzelhandel sind Akademiker.

Dabei ist momentan eine gute Phase, um auf diesem Feld Fuß zu fassen

»Der Einzelhandel steigert nach längerer Stagnation seit einiger Zeit die Beschäftigung wieder«, weiß Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland – Der Einzelhandel (HDE). »Es wird vermehrt eingestellt, wovon auch der Bereich ›Sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung‹ profitiert. Die Karrierechancen im Handel bleiben gut.«

Das kleine Akademikerzehntel lässt sich vermutlich damit erklären, dass der Handel vorzugsweise auf das Modell ›Karriere mit Lehre‹ baut, Absolventen beruflicher Ausbildungen bis in höchste Positionen fördert und somit seinen Nachwuchs vor allem aus eigenen Reihen rekrutiert. Aber:

»Der Einzelhandel steigert schrittweise den Akademikeranteil unter den Beschäftigten«, konstatiert Stefan Genth.

Auch Dr. Jörn Redler bestätigt den Trend: »Die Perspektiven für Hochschulabsolventen sind gut bis sehr gut. Insbesondere für das mittlere Management sehe ich den größten Bedarf«, schildert der Professor für Handel und Marketing an der Dualen Hochschule Baden- Württemberg. Er bedauert, dass der Handel in den Augen von Akademikern offenbar an einem eher schlechten Image leide. Dabei mache die demografische Entwicklung selbstverständlich auch vor dem Handel und seinem Recruiting nicht Halt.

»Hinzu kommen die enormen Veränderungen bei der Markt- und insbesondere der Wettbewerbssituation «, ergänzt er.

Die Märkte internationalisieren sich, die Grenzen zwischen Handel und Industrie zerfließen, Trennlinien zwischen herkömmlichen Vertriebswegen lösen sich auf, E-Commerce boomt. Diese Dynamik verlange nach »akademischen Qualifikationen wie Abstraktionsvermögen, strategisches Handlungsvermögen, übergreifendes betriebswirtschaftliches Wissen und vernetztes Denken«, ist Dr. Redler sicher und führt eine weitere Aufgabe an:

»Neben der Akquise wird die Bindung von Personal für den Handel zur zweiten großen Herausforderung.«

Vertrieb - spannend und gut bezahlt

Um die erste große Herausforderung kümmert sich Thomas Riegel bei L’Oréal. Der 37-jährige Director Talent Recruitment des Pariser Kosmetikkonzerns ist stets auf der Suche nach Führungsnachwuchskräften mit wirtschaftswissenschaftlichem Hochschulabschluss für den Vertrieb der insgesamt 23 globalen Marken. Auch Riegel wird spüren, dass »der Vertrieb trotz sehr spannender und bestens vergüteter Positionen für Hochschulabsolventen wenig attraktiv zu sein scheint«, sagt Stefan Genth. 

Internationale Karrieremöglichkeiten und die frühe Übernahme von Verantwortung zählt Riegel als weitere verlockende Aussichten für Akademiker auf.

»Wir suchen Unternehmertypen und innovative Denker, Menschen, die etwas gestalten und bewegen wollen«, beschreibt der Recruiter die Anforderungen, die er an Bewerber stellt. »Bei uns ist vernetztes Arbeiten sehr wichtig – daher suchen wir Absolventen, die Spaß daran haben, im Unternehmen ein eigenes Netzwerk aufzubauen, auf Kollegen zuzugehen und einen Blick in andere Bereiche und Abteilungen zu werfen. Wem das nicht liegt, der fühlt sich bei L’Oréal sicher nicht gut aufgehoben «, erklärt er ehrlich.

Der Vertrieb verlangt nach einem geschickten und professionellen Umgang mit Zahlen und Menschen gleichermaßen – kommunikatives Geschick und sehr gute analytische Fähigkeiten sind deshalb seiner Meinung nach wichtige Erfolgsfaktoren. »Als Vertriebler steht man immer wieder vor der Herausforderung, interne Ziele und Anforderungen seiner Kunden in Einklang zu bringen. Das erfordert viel Feingefühl in der Kommunikation und detaillierte Kenntnisse über die Kunden, ihre Struktur und Prozesse. Im Grunde agiert man im Vertrieb wie ein Unternehmer im Unternehmen.«

Identifizieren, kommunizieren - auch das ist Handel

Mit Zahlen, strengen Bio-Richtlinien und ganz verschiedenen Anspruchsgruppen gleichermaßen professionell muss Antje Müller umgehen können. Die 27-jährige betreut die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der dennree GmbH, dem führenden Bio-Großhändler im deutschsprachigen Raum.

»Es geht jeweils um eine ganz andere Sprache, denn abhängig vom Thema kommuniziere ich mit unseren Händlern, mit Lieferanten und ich habe direkt mit den Endkunden zu tun«, erläutert die Diplombetriebswirtin.

Ihre erste Stelle nach dem Studium in einem mittelständischen, technischen Unternehmen forderte neben ihren Wirtschaftskenntnissen auch das Erledigen von Pressearbeit. »Gerade dieser ausgeprägte Aspekt der Kommunikation war einfach sehr interessant«, erinnert sie sich. Deshalb setzte sie auf ihr Diplom noch den Abschluss als PR-Beraterin an einer Fernuni drauf. Mit dieser Doppelqualifikation stimmte ihr Profil exakt mit der bei dennree zu besetzenden Position überein. Neben der fachlichen Qualifikation, ihr Studienschwerpunkt war überdies Marketing, ist folgender Aspekt sozusagen der alles entscheidende in ihrer Branche: »Erst mal braucht man die Überzeugung ›Bioqualität‹. Das ist das Wichtigste.« Denn wer nicht hinter den Produkten stehe, könne sie auch nicht mit Leidenschaft repräsentieren. 

Ein Anforderung, die sicherlich jede Firma von ihren Mitarbeitern erfüllt wissen will. Müller beschreibt die speziell aus dem Handel mit ökologischen Lebensmitteln resultierenden Herausforderungen:

»Im Biobereich hat die Ware eine ganz andere Qualität. Wir arbeiten ohne Konservierungsstoffe und ohne Oberflächenbehandlung, das heißt der Produktlebenszyklus ist kürzer. Durch die kürzeren Mindesthaltbarkeitsdaten müssen wir sowohl im Handel als auch in der Logistik ganz anders agieren. Kurze Wege, absolute Frische und verlässlich gute Qualität sind sehr wichtig.«

Insofern gehört auch die Pflege der Kontakte zu Lieferanten und Anbauverbänden zum Tagesgeschäft. Schließlich soll am Ende das Vertrauen der Kunden niemals enttäuscht werden.

Höchstes Gut - Vertrauen!

Im Prinzip geht es im Handel und Vertrieb grundsätzlich um das Vertrauen aller beteiligten Instanzen – Verbraucher, Hersteller, Lieferanten ... 

»Vor allem der stationäre Handel hat immer sehr viel mit Menschen zu tun«, meint Professor Redler, der unter anderem Markenführung und Kommunikationspolitik des Handels unterrichtet. »Wer aufsteigen möchte, muss überzeugen und sehr unterschiedliche Personen und Gruppen führen können. Dazu benötigt man neben dem Handwerkszeug aus Führung und Arbeitsrecht auch Offenheit, Empathie und Konsequenz. Oft ist es wichtig, sich auch etwas zu trauen.«

Eine klassische Karriereleiter gäbe es im Handel nicht. Deshalb sei es immens wichtig, nicht nur Kundenpräferenzen zu kennen, sondern vor allem sich selbst:

»Einer der wesentlichen Vorteile im Handel ist, dass von einem selbst abhängt, wie man seine Wege gestaltet. Dazu muss man jedoch wissen, was man für sich will und was nicht.«

Zur Illustration eines möglichen Karrierewegs muss noch einmal die Zahl neun herhalten: 2009 prophezeite ein Marktforschungsunternehmen dem Onlinehandel in Deutschland ein Wachstum von neun Prozent bis 2015. Warum also nicht als Hochschulabsolvent in den Handel und Vertrieb einsteigen?


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