Was wären wir bloß ohne ihn? Wir könnten uns nach einem langen Arbeitstag nicht in einen bequemen Hausanzug schmeissen, kein kühles Bierchen aus dem Kühlschrank holen und uns ohne Umwege auf dem Sofa breitmachen. Weil wir diese ganzen schönen Dinge nicht hätten. Es sei denn, wir würden unsere Kleidung selber klöppeln, das Bier eigenhändig brauen und die Couch provisorisch aus allem, was wir in Wald und Flur finden, zusammenschustern. Aber mal ehrlich – wer will das schon? Ohne den Einzelhandel wären wir alle ziemlich aufgeschmissen. Und das nicht nur, weil jeder von uns – individuelle Geschmäcker mal dezent ignoriert – schmackhaft essen, gemütlich wohnen und schick gekleidet sein möchte. Sondern weil ohne den Einzelhandel ziemlich viele Menschen keinen Job hätten. 2011 wären das 2.990.511 gewesen, davon 1.271.234 in Vollzeit.
Einzelhandel bietet zahlreiche Jobangebote
Somit hätten wir auch galant den Bogen zu den mannigfaltigen Möglichkeiten, die der Einzelhandel jobtechnisch bietet, gespannt. Anfangen sollten wir dabei mit dem existenziell wichtigen Bereich der Lebensmittel. Maximilian Päffgen sorgt fast täglich dafür, dass der Laden läuft und wir das bekommen, was wir brauchen. Der 29-Jährige ist seit 2009 für Netto Marken-Discount tätig. Nach Beendigung seines Traineeprogramms ist er als Verkaufsleiter eingestiegen. Er selbst beschreibt sich als »einen kleinen Unternehmer in einem großen Konzern«, da er für insgesamt acht Filialen und 120 Mitarbeiter in Bayern zuständig ist. Päffgen unterstützt die Marktleiter bei der Umsatzentwicklung und steht bei Personalfragen den Filialteams mit Rat und Tat zur Seite. Der persönliche Kontakt zu seinen Kollegen liegt ihm sehr am Herzen, schließlich gehören Mitarbeitergespräche zu seinen täglichen Aufgaben.
»Mein Beruf ermöglicht mir, gemeinsam mit meinem Team, in kurzer Zeit messbare Erfolge zu erzielen. Es macht sehr großen Spaß, dass ich die Entwicklung meiner Mitarbeiter aktiv fördern kann«, erklärt Päffgen.
Andere Menschen aktiv fördern – das ist nur möglich, wenn der Förderer über Menschenkenntnis verfügt. Denn was nützt ein einwandfreier Umgang mit wirtschaftlichen Kennzahlen, wenn man diese nicht umsetzen kann, weil zwar jeder einzelne im Team he-rausragende Fähigkeiten hat, aber die Zusammenarbeit nicht funktioniert?
Mit Erfahrung im Einzelhandel wächst die Menschenkenntnis
Der Vorteil: Menschenkenntnis wächst zumeist mit der Erfahrung. Ausschlaggebend hierfür ist aber das Interesse daran, verschiedene Erfahrungen machen zu wollen. Christina Stylianou, Leiterin der Unternehmenskommunikation von Netto Marken-Discount, weiß, was Nachwuchsführungskräfte hierfür mitbringen sollten:
»Wir erwarten Engagement, Eigeninitiative, Flexibilität, Mobilität sowie unternehmerisches Denkvermögen. Es ist uns wichtig, dass die Absolventen bereit sind, früh Verantwortung zu übernehmen.«
Möglichkeiten, wo sie diese zeigen können, gibt es viele: im Vertrieb, in der Logistik, im Marketing, in der Unternehmensentwicklung, IT oder in der Personalabteilung – Akademiker haben die Wahl, auch, ob sie den Direkteinstieg wählen, über ein Traineeprogramm einsteigen oder ein duales Studium absolvieren möchten. Egal, für was sich Absolventen entscheiden, ihre Aufgabenfelder passen sich den Verbrauchertrends an: »Die einmalige Wettbewerbssituation im deutschen Lebensmittelhandel erfordert immer wieder innovative Maßnahmen, um den Kunden weiteren Mehrwert zu bieten – das macht die Arbeit besonders spannend und abwechslungsreich«, führt Stylianou weiter an.
Einzelhandel: Eine facettenreiche Branche
›Abwechslungsreich‹ – das perfekte Stichwort, um auf die nächste Notwendigkeit in unserem Leben einzugehen. Kleidung. Längst liegt der Fokus neben der Funktionalität auf Design. Ob trendig oder klassisch, zeitgemäß oder zeitlos – die Mode- und Textilbranche bietet für alle Geschmäcker etwas. Auch was die Karrieremöglichkeiten betrifft. Und diese lassen sich sehr gut mit Eigenschaften der Produkte, die das Modehaus bietet, beschreiben: »Sie sind stylish, weil Wöhrl über ein modernes Personalmanagement verfügt sowie anschmiegsam, weil wir individuelle Karrieremöglichkeiten im Angebot haben. Kurz: Wir versuchen, die passende Klamotte mit unserem Mitarbeiter zu entwickeln, weil nicht alles zu jedem passt«, erklärt Thomas Weckerlein, Personalchef von Wöhrl.
Ob der Direkteinstieg im Verkauf als Abteilungsleiter oder im Einkauf – die Einsteiger lernen von der Pike auf. Dazu gehören auch Einsätze auf der Verkaufsfläche, die mitunter das Zusammenlegen von Pullovern involvieren. Auch wenn sich nun der eine oder andere denken mag, dass er dafür nicht die Strapazen eines Studiums aufgenommen hat oder er ins Unternehmen möchte, um zu managen – diese Station hat ihre Berechtigung:
»Wir bringen den Einsteigern bei, was wir tun und das gelingt nur, wenn sie die Verkaufsfläche und auch die Kunden kennengelernt haben. Für den Einstieg ist es auch wichtig, für eine gewisse Zeit durch das Tal der Tränen zu gehen«, führt Weckerlein aus.
Wer denkt, dass er als zukünftiger Verkaufsleiter sowieso mehr mit Zahlen als mit Kunden zu tun hat, befindet sich auf dem Holzweg. Das A und O im Einzelhandel ist die Kundennähe. Berührungsängste sind hier fehl am Platze und deshalb schaut Weckerlein vor allem auf die Persönlichkeit: »Ein Warenwirtschaftssystem kann ich lernen, einen gesunden Menschenverstand weniger. Einer fülligeren Frau freundlichklarzumachen, dass sie keine Konfektionsgröße 36, sondern 42 hat, das ist die hohe Schule.«
Im Einzelhandel steht die Zufriedenheit des Kunden im Vordergrund
»Der Kunde ist König. Wenn man diesen Ausspruch tagtäglich leben kann, dann ist man in diesem Beruf genau richtig«, sagt Isabella Chwedczuk. Die 27-Jährige arbeitet als Abteilungsleiterin für die Abteilungen ›Premium Damen‹ und ›Premium Herren‹ bei Wöhrl in Nürnberg. Mode ist ihre große Leidenschaft, die sie gerade im Textilhandel täglich ausleben kann. Als Chwedczuk, die BWL mit Schwerpunkt Controlling, Internationales Management und englischsprachige Auslandswissenschaften auf Diplom studiert hat, im Oktober 2010 bei Wöhrl eingestiegen ist, hielt die Arbeit einige Herausforderungen für sie bereit. »Viele Dinge gleichzeitig zu koordinieren und dabei allen gerecht zu werden, stellte in der Anfangszeit eine Umstellung dar. Aber ich konnte immer jemanden um Hilfe bitten, der mich an die Hand genommen hat.« Zusätzlich bereitet die Wöhrl-Akademie auf spätere Aufgaben vor. Auch wenn den Einsteigern hier auch mal der »Spiegel vorgehalten wird« – für die Lernkurve ist dies durchaus förderlich.
Wer Verantwortung im Einzelhandel will, der bekommt sie auch!
Auch Breuninger verfolgt das Konzept ›Wer Verantwortung will, der bekommt sie auch‹. Fiona Merz aus der Human Resources Leitung, betont dabei, dass die Entwicklung und die Förderung der Mitarbeiter zentrale Bestandteile der Firmenphilosophie darstellen. Unter der Maxime der Individualität steht der Einsteiger im engen Kontakt mit den Führungskräften, die unter klaren Zielvereinbarungen die persönliche Entwicklung vorantreiben. Außerdem werden umfangreiche Weiterbildungs- und Schulungsangebote offeriert. Die individuelle Karriereplanung erfolgt auf Basis der bisherigen Erfahrungen und persönlichen Ziele. »Wann welcher Schritt der richtige ist, planen wir gemeinsam«, erklärt Merz. Die Personalverantwortlichen bei Breuninger legen, wie auch bei Wöhrl, das Augenmerk auf bestimmte Fähigkeiten. Was Thomas Weckerlein als ›gesunden Menschenverstand‹ bezeichnet, beschreibt Merz folgendermaßen:
»Bodenhaftung ist uns sehr wichtig, denn Erfolg und hohes Tempo lassen sonst abheben. Darum arbeiten bei uns Menschen, die wissen, was sie können und die Achtung vor anderen haben.«
Schneller Erfolg – in wohl kaum einer anderen Branche können Akademiker mit den richtigen Fähigkeiten so rasant Karriere machen. 20 Prozent aller Einsteiger gaben die guten Aufstiegschancen auch bei einer diesjährigen Umfrage bei Statista an. Am meisten ausschlaggebend jedoch waren die spannenden Aufgabenfelder, die die Modebranche bietet.
Jessica Hirn würde wohl, hätte sie an der Umfrage teilgenommen, zu den 78 Prozent gehören, denen die Abwechslung in ihrer Arbeit sehr wichtig ist. Die 31-Jährige ist seit Oktober 2010 als Einkaufsassistentin in der Herren-Konfektion bei Breuninger tätig. Hirn, die einen Magister in Wirtschaftswissenschaften hat, hat sich bewusst für das Unternehmen entschieden:
»In der Branche genießt Breuninger einen hervorragenden Ruf. Neben der Förderung von Einsteigern fand ich die Positionierung im gehobenen Marktsegment besonders interessant.«
Da dies ihre erste Station im Einzelhandel ist, musste sie sich spezifische Fähigkeiten aneignen und vorab ein paar Fragen stellen: ›Wie ist der Blick der Kunden?‹, ›Wie sehen optimale Flächen und Warenträger aus?‹ und ›Welche Methoden des Visual Merchandising gibt es, um mein Ergebnis zu beeinflussen?‹. Mittlerweile hat sie die Antworten gefunden und auch das »in Verkaufsflächen denken« bereitet ihr keine Probleme mehr. »Die Arbeit muss Spaß machen, dann ist man damit auch erfolgreich«, fügt sie an.
Ebenso viel Spaß macht es aber auch, sich nach getaner Arbeit zu Hause aufs Sofa zu legen. Auf jenes, um das man möglicherweise schon wochenlang geschlichen ist, Pro und Kontra abgewogen hat und sich letztendlich doch überzeugen ließ – von einem kompetenen Mitarbeiter, der wusste, wovon er spricht. Vielleicht war es ein Kollege von Guido Bertram. Der 33-Jährige arbeitet seit 2012 als Verwaltungsleiter bei Ikea. Eingestiegen ist er bereits 2009 als Praktikant in der Personalabteilung und hat sich dabei immer weiter Richtung Controlling entwickelt. Für Ikea hat er sich nicht nur aufgrund des sehr internationalen Kontextes entschieden – auch, weil das Betriebsklima außerordentlich gut ist. »Es mag sich wie eine Floskel anhören, aber bei Ikea steht wirklich der Mensch im Vordergrund«, erläutert Bertram. Das bestätigt auch Silja Ehrhardt, Specialist Employer Branding:
»Gemeinschaftlichkeit, Respekt und Humor vereint uns ebenso wie die Eigenschaft, vieles zusammen auf die Beine zu stellen. Wer die Bereitschaft hat, sich ständig weiterentwickeln zu wollen, der bekommt sehr viele Möglichkeiten.«
Die 41-Jährige sucht dabei nicht nach speziellen Fachrichtungen, wobei Wirtschaftswissenschaftler gute Voraussetzungen mitbringen, wenn es ums Zahlenverständnis geht. Was allen Bewerbern aber gleich sein sollte, ist die Lust darauf, Verantwortung zu übernehmen. Was, wenn der Bewerber Umwege im Lebenslauf hat? Ehrhardt hat hier eine klare Antwort: »Lücken im Lebenslauf sind interessant – was für uns zählt, ist die Motivation, die dahinter steht.«
Ihr Globetrotter da draußen – der Einzelhandel braucht euch!
Auch wenn das Statistische Bundesamt immer wieder meldet, dass unsere Kauflust sinkt, einschlafen wird sie nie. Letztes Jahr gab nach Angaben des Verbands der Deutschen Möbelindustrie (VDM) jeder Deutsche 373 Euro für Möbel aus – der höchste Wert seit zehn Jahren. Das zeigt: Es lohnt sich, in das florierende Geschäft einzusteigen.
Wenn auch anfangs gewisse Herausforderungen auf einen warten. BNOM Bertram musste sich auch erst mit Abkürzungen wie SSM oder ISLM vertraut machen. Aber irgendwann wusste der Business Navigation & Operations Manager, dass der Sales Store Manager oder der Instore Logistics Manager damit gemeint waren. Der Abteilungsleiter beschreibt, dass die einzige Wiederholung seiner täglichen Tätigkeiten darin besteht, dass es eben keine gibt. Jeder Tag ist anders. »Ich muss auf sehr viele Dinge reagieren, weil die Kunden und ihre Wünsche immer individuell sind.« In der Zukunft sieht sich Bertram jedoch nicht mehr als klassischen Controller, sondern als Business Navigator, der proaktiv das Geschäft steuert. Auch wird sich seiner Ansicht nach die Zielgruppe erweitern: »Wir werden nicht mehr nur ein junges Publikum ansprechen, sondern auch ältere Menschen.«
Ikea baut aus und Galeria Kaufhof baut um: Aus einer ehemaligen Umkleidekabine wurde in Zusammenarbeit mit einem örtlichen Kindergarten ein Geschenke-Kisten-Zimmer. Sarah Benigna Großimlinghaus beschreibt dies als eines der tollsten Erlebnisse in ihrer Laufbahn. Die Geschäftsführerin der Filiale in Neunkirchen hat bereits als Schülerin in einer kleinen Boutique gejobbt und während ihres zweijährigen Studiums an der École franco-allemande de commerce et d‘industrie (EFACI) in Paris den Einzelhandel lieben gelernt. Nach ihrem Business-Studies-Abschluss an der University of East London ist sie 2010 bei der Galeria Kaufhof mit dem Traineeprogramm ›Vertrieb und Logistik‹ eingestiegen. Großimlinghaus’ Aufgabengebiet ist breit gefächert. Während sie morgens auf der Verkaufsfläche erste Besprechungen mit ihren Mitarbeiterinnen führt und sich einen Überblick verschafft, wie sie personell und warenmäßig aufgestellt sind, schaut sie im Anschluss auf die Umsatzzahlen – darauf basierend erfolgt die Tagesplanung. Hinzu kommen Termine mit der Presse oder dem Stadtmarketing sowie Personal- und Bewerbungsgespräche. Dabei versucht sie, so oft wie möglich auf der Verkaufsfläche zu sein – auch, um auszuhelfen, wenn Not am Mann ist. Ihr ist bewusst, dass sich die Bedürfnisse der Kunden stetig ändern und sie und ihre Mitarbeiter sich weiterentwickeln müssen. »Wir wollen mit Qualität und einem besonderen Service überzeugen«, betont Großimlinghaus.
Im Fordergrund des Einzelhandels steht Qualität und Service.
Stichworte, die auf der anderen Seite der Ladentür eine ebenso große Bedeutung haben wie im Geschäft. Vor allem im ›Multi Channel Retailing‹, der zunehmenden Verbindung von stationärem Handel und E-Commerce. Hier ergeben sich neue Strukturen und Prozesse und somit neue Handlungsfelder und Perspektiven für Einsteiger. Moritz Gamon, Abteilungsleiter Rekrutierung bei Galeria Kaufhof, weiß genau, was Einsteiger mitbringen sollen: »Führungskompetenz, Veränderungsbereitschaft, Leistungsorientierung und natürlich Team- und Kommunikationsfähigkeit.« Was die Soft Skills der Bewerber betrifft, geht der 41-Jährige d‘accord mit Weckerlein, Ehrhardt, Merz, Stylianou und wahrscheinlich dem Großteil aller Personalverantwortlichen: »Interessenten sollten den Kardinalfehler vermeiden, ihr Fachwissen höher einzustufen als ihre Persönlickeit.« Aber nett sein alleine hilft auch nichts. Die Mischung macht’s. Genau wie die aus Jogginganzug, Bierchen und Sofa.