Supply Chain Management: Aufgaben und Berufsbild

Hohe Komplexität in Produktions- und Lieferprozessen. Das Supply Chain Management behält immer die Übersicht.

Supply Chain Management? Organisationstalente mit Überblick!

Nein, über das Für und Wider der Globalisierung diskutieren wollen wir an dieser Stelle nicht – es fehlt der Platz. Eine zunächst sehr banale Feststellung treffen können wir hingegen schon: Seit die informationstechnischen und rechtlichen Grenzen gefallen sind, globalisiert sich die Wirtschaft immer mehr. Neue Märkte werden erschlossen, Standorte aufgebaut und Produktionen ausgelagert. Menschen auf allen Erdteilen werden miteinander vernetzt. Um eine Maschine bauen zu können, werden Einzelteile nicht mehr aus der Fertigungshalle nebenan, sondern von Zulieferern aus anderen Regionen, Ländern oder gar Kontinenten herbeigeschafft. Der internationale Kapital- und Warenverkehr  ist explodiert. Für Unternehmen heißt das: Herstellung und Vertrieb haben sich in ungeheuerem Maße verkompliziert. Es ist nicht einfach zu durchschauen, wo welche Kollegen oder Geschäftspartner an welchen Produktions- oder Distributionsprozessen beteiligt sind. Reibungslos ablaufen sollen diese Prozesse natürlich trotzdem und damit sie es tun, brauchen Unternehmen das Supply Chain Management.

»Als Supply-Chain-Manager in der Logistik sind wir gefordert, für unsere Kunden maßgeschneiderte Lösungen zu erstellen. In Anbetracht der Marktdynamik ist außerdem ein hohes Maß an Flexibilität gefragt.«

Hermann Grünheidt, Head of HR Management Road bei Dachser

Man müsste lange suchen, um das eine überregional oder international operierende Unternehmen aufzuspüren, das Supply Chain Management (SCM) für eine merkwürdige Marotte und verzichtbar hält. Supply Chain Management finden sich überall, doch heißt das nicht, dass generelle Einigkeit über ihr Berufsbild bestünde. 

»Unserer Definition nach«, erzählt Teresa Melo, Professorin an der HTW Saar und Studiengangsleiterin des viersemestrigen Masterprogramms ›Supply Chain Management‹, »ist SCM die unternehmens- und bereichsübergreifende Koordination von Logistikprozessen.« 


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Anforderungen an das Supply Chain Management sehr unterschiedlich

Allerdings werden unternehmensspezifisch je eigene Anforderungen an das Supply Chain Management gestellt, wie jeder leicht sehen kann, der nur ein wenig Zeit aufwendet und diverse Stellenanzeigen miteinander vergleicht. Auch aus diesem Grund existiert seit 2010 die Fachgruppe ›Supply Chain Manager‹ beim Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME). 

Es ist ein Kreis aus »Einkäufern, Logistikern und Supply Chain Managern verschiedener Unternehmen unterschiedlicher Größe und Branchen«, die allesamt und zusammen daran arbeiten wollen, das vage Profil des Supply Chain Managements endlich zu schärfen. Das Ergebnis ihrer Mühen: »Der Supply Chain Manager ist eine Art Berater im Unternehmen«, heißt es im Leitfaden der Fachgruppe. Er berät »Einkauf, Logistik und Vertrieb, indem er ihnen die besten Wege aufzeigt«. 

Supply Chain Management – alles im Blick

Vom ›Silodenken‹ ist oft die Rede, wenn Mitarbeiter einzelner Fachbereiche einen sehr verengten Blick auf nur den einen, eben ihren Fachbereich haben. Der Supply Chain Manager ist der Gegenentwurf. »Wir haben die gesamte Wertschöpfungskette im Blick«, sagt Teresa Melo.  

Supply Chain Manager denken bei ihren Entscheidungen die Auswirkungen auf andere Abteilungen, ja auf das ganze Unternehmen mit. Um Missverständnissen vorzubeugen: Dass Supply Chain Manager zwingend Führungspositionen übernehmen, bedeutet dieser Rundumblick nicht. Es sei nur eine Möglichkeit von zweien, die sich ihren Absolventen auftun, sagt Melo – die Arbeit in einer anspruchsvollen Fachstelle sei die andere: 

»Denken wir zum Beispiel an den Teilbereich Produktion: Auch hier bestehen Schnittstellen zu anderen Bereichen, zu Lieferanten, zur Distribution, zu Veredelung oder Qualitätsprüfung, und zwischen diesen Bereichen gibt es logistische Prozesse, die koordiniert werden müssen.« Das könne sehr komplex sein, räumt Melo ein, sei aber für das produzierende Gewerbe ebenso wichtig wie für Dienstleister. »Entscheidend ist, dass keiner allein eine Entscheidung trifft, ohne die Komplexität des betreffenden Vorgangs zu kennen«, heißt es dazu ergänzend im Leitfaden des BME.

Aktuelle Problemstellungen während des Studiums

Allein, in der Realität hält sich noch längst nicht jeder an die Empfehlung des BME. Das erleben schon die Masterstudierenden der HTW Saar, die sich im dritten Semester in Projekten mit aktuellen Problemstellungen des Supply Chain Managements auseinandersetzen. Eines dieser Projekte führte sie in den OP eines Krankenhauses, berichtet Teresa Melo, und was sie dort sahen, war aus Sicht des Supply Chain Managements wenigstens verbesserungswürdig: hohe Lagerbestände verschiedenen medizinischen Materials, ein Produkt an drei verschiedenen Orten, kurz: ein mittelprächtiges Chaos. 

»Das ist unglaublich«, sagt Melo, »im Moment könnten wir die Bestände um 40 Prozent reduzieren, ohne dass die medizinische Versorgung darunter leiden würde.« Aus Japan, genauer: aus der japanischen Fahrzeugindustrie stammt das Prinzip der Kanban-Steuerung, der entsprechend alle Prozesse effizient und kostenoptimiert gestaltet werden sollen. Die Erfahrungen Melos aber zeigen, dass im Gesundheitswesen der Begriff erst noch eingeführt werden muss, es für Supply Chain Manager hier also noch einiges zu optimieren gäbe. 

Supply Chain Management – wie spezialisierte Berater

Im produzierenden Gewerbe verhält sich dies nicht zwingend anders. Auch wenn das Supply Chain Management dort meist viel selbstverständlicher gehandhabt wird als in Kliniken: Verbessert werden kann fast immer etwas, manchmal aber doch nur mit Hilfe spezialisierter Berater. Diese kommen zum Beispiel von der Münchener Wassermann AG, die sich ganz der ›Supply Chain Excellence‹ verschrieben hat. Was das heißt, beschreibt Peter Grau, Vice President bei Wassermann so: »Wir beraten Supply Chain Manager aus dem produzierenden Gewerbe, unsere Mitarbeiter verstehen sich also als SCM-Consultants. Unsere Aufgabe ist es, Prozesse in Absprache mit unseren Kunden so effektiv wie nur irgend möglich zu gestalten, sprich: keine Lagerbestände anzuhäufen, Termintreue herzustellen und nicht verschwenderisch zu arbeiten.« 

Die Kunden, so Grau, kämen aus der Fahrzeugindustrie, aus der Pharmazie, dem Sondermaschinenbau, kurz: »aus allen Wirtschaftszweigen, in denen Güter produziert werden«. Wassermann will diese Unternehmen wettbewerbsfähig und leistungsstark halten, sie flexibel machen für die Launen eines mitunter unberechenbaren Marktes. »Man muss sehr gut mit Menschen arbeiten können, sei es mit dem Mann an der Maschine oder mit Geschäftsführern«, betont der 42-Jährige.


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Schließlich empfinden viele die Umorganisation ihres Arbeitsalltags als lästig, als fast ungehörigen Eingriff in ihre Angelegenheiten. Sie dennoch soweit von der Notwendigkeit und Richtigkeit zu überzeugen, dass die Veränderungen ohne großes Murren akzeptiert werden, das gehört zur großen Kunst eines SCM-Beraters. Auch wenn sich jeder Consultant bei Wassermann ein gewisses Fachwissen aneignen müsse – wie sonst ließe sich auf Augenhöhe mit Technikern und Ingenieuren über etwaige Umstrukturierungen diskutieren? – so stünden doch die kommunikativen Fähigkeiten klar im Vordergrund.  

Ein Fachstudium schadet da freilich nicht, das in ihm vermittelte Wissen ist gleichsam nur das Sahnehäubchen auf den sozialen Kompetenzen, die jeder im Supply Chain Management zwingend mitbringen muss. »Die Fachkompetenz steht bei uns im Vordergrund«, sagt Melo, »wir sind aber auch sehr forschungsstark.« Gute Voraussetzungen also dafür, dass die Absolventen der HTW Saar einmal komplexe SCM-Aufgaben übernehmen. Dafür vergibt die Hochschule derzeit zwanzig Masterstudienplätze pro Jahr.

Text: Marco Schrage