Insolvenzverwalter Volker Grub im Interview: »Standfestigkeit ist gefragt«

Nach mehr als vier Jahrzehnten als Insolvenzverwalter weiß Volker Grub, wie groß die Erwartungen und wie anspruchsvoll die Aufgaben sind

Insolvenzberater Volker Grub
privat

 

Herr Grub, was bedeutet Insolvenz konkret?

Die Geschäftsführung eines Unternehmens ist verpflichtet, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beim zuständigen Insolvenzgericht zu beantragen, wenn das Unternehmen nicht mehr in der Lage ist, die fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen oder Überschuldung eingetreten ist. Zahlungsunfähigkeit tritt bereits dann ein, wenn das Unternehmen zehn Prozent der fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen kann. Ein Unternehmen kann jedoch auch dann Insolvenzantrag stellen, wenn eine Zahlungsunfähigkeit droht.
 

Wenn Sie berufen werden, ist im Vorfeld meist einiges schief gelaufen. Welche Gründe gibt es für eine Insolvenz?

Eine Insolvenz tritt in der Regel immer dann ein, wenn ein Unternehmen mehr ausgibt als es einnimmt. In der Praxis sind die Gründe für eine Insolvenz vielfältig: Man unterscheidet zwischen exogenen und endogenen Insolvenzgründen, zu denen Managementfehler, mangelhafte Strategiekonzepte, schlechte Produkte oder Produktionsverhältnisse, fehlende Markt- und Wettbewerbsbeobachtung gehören. Exogene Insolvenzgründe resultieren aus Konjunkturschwankungen, technischem Fortschritt, Rohstoffverknappung, geändertem Wettbewerberverhalten oder auch einem allgemeinen Wertewandel. Ganz typische Insolvenzursachen sind zu hohe Entnahmen des Unternehmers für Luxusausgaben wie die Yacht im Mittelmeer oder die Villa in San Remo. Häufig ist auch, dass das Unternehmen technische Entwicklungen verschläft und plötzlich links und rechts von innovativen Wettbewerbern überholt wird.
 

Welche Wege gibt es aus der Insolvenz?

Ist ein Insolvenzverfahren eröffnet, gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten für den Unternehmer, das Insolvenzverfahren wieder zu verlassen, nämlich volle Befriedigung aller Gläubiger oder die Annahme eines Insolvenzplanes durch die Gläubiger, mit dem das Unternehmen fortgeführt werden kann. Der Insolvenzplan bedeutet in der Regel einen Vergleich mit seinen Gläubigern. In beiden Fällen, der Vollbefriedigung der Gläubiger oder der Annahme des Insolvenzplanes, wird das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren wieder aufheben. Das Unternehmen wird fortgeführt.
 

Ihr Ziel ist es, Unternehmen zu sanieren, wie kann ich mir diesen Prozess vorstellen?

Die Sanierung eines Unternehmens heißt, seine Ertragsfähigkeit wieder herzustellen. Dies bedeutet: Die Einnahmen sind wieder höher als die Ausgaben. In der Regel ist es schwierig, kurzerhand die Einnahmen zu erhöhen, denn bei der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens geht das Vertrauen der Kunden verloren, Bestellungen gehen zurück und die Einnahmen sinken. Deshalb ist es vor allem wichtig, an der Ausgabenschraube zu drehen. Dazu gehört es, unwirtschaftliche Produkte abzustoßen und nicht kostendeckende Betriebsteile zu schließen. Der Insolvenz-verwalter arbeitet hier wie ein Chirurg, kranke Teile müssen abgeschnitten werden. Häufig bestehen solche Maßnahmen in Personalreduzierungen und damit auch Massenentlassungen. Solche Maßnahmen nehmen in der Regel viele Monate in Anspruch.
 

Wenn ich Sie einen Arbeitstag begleiten würden, was würde mich erwarten?

Fast jeder Tag bringt neue Herausforderungen. Am spannendsten ist immer der erste Tag, an dem man in das Unternehmen eingeführt wird. Es werden erste Gespräche mit dem Management, dem Unternehmer, den Führungskräften und dem Betriebsrat geführt. Der Insolvenzverwalter versucht eine erste Bilanzanalyse und macht sich mit dem Betrieb und seinen Produkten vertraut. Vor allem wird der Insolvenzverwalter versuchen, Vertrauen in das Insolvenzverfahren und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten für eine Restrukturierung zu schaffen. Viele Unternehmen erwarten von Ihnen die ›Heilung‹ des Unternehmens, wie gehen Sie mit diesem Druck um? Die Erwartungshaltung von Unternehmern, Betriebsräten und Belegschaft in die Wunderwaffe der ›Insolvenz‹ ist riesengroß. Der Insolvenzverwalter soll plötzlich alles richten. Für mich ist eine solche Haltung keinesfalls belastend oder gar nachteilig. Im Gegenteil: Sie gibt den Anstoß dafür, erfolgreich Restrukturierungsmaßnahmen durchzuführen. Diese Haltung kann auch Vertrauen zwischen dem Insolvenzverwalter einerseits und der Belegschaft und den Führungskräften des Unternehmens andererseits schaffen.
 

Wie schaffen Sie es, die fachliche Arbeit über die Anteilnahme an den Schicksalen zu stellen?

Sie müssen sich die Tätigkeit eines Insolvenzverwalters wie die eines Arztes vorstellen. Wenn ein Unternehmen überleben soll, müssen auch unangenehme Maßnahmen durchgeführt werden. Dazu gehören Entlassungen von Mitarbeitern, Kürzung von Bezügen oder die Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit. Der spätere Erfolg heiligt die Mittel.
 

Sie sind seit mehr als vier Jahrzehnten als Insolvenzverwalter tätig, was waren Ihre spektakulärsten Fälle?

Ich wurde bei rund 500 Unternehmen als Verwalter bestellt. In der Regel handelte es sich um größere Unternehmen, die restrukturiert werden mussten. Zu den spektakulären Verfahren gehört die Firma G. Bauknecht GmbH mit Sitz in Stuttgart, die mit über 15.000 Mitarbeitern Hausgeräte herstellte, oder die Firma Schiesser in Radolfzell, die im Jahre 2009 ein Insolvenzverfahren beantragte und über einen Insolvenzplan saniert wurde.
 

Welche Stationen durchlaufen Absolventen der Wirtschaftswissenschaften, bis sie als Insolvenzverwalter Mandate betreuen können?

Ohne juristische Kenntnisse ist ein solches Verfahren nicht zu bewältigen. Von der Ausbildung her gibt es keine gesetzlichen Voraussetzungen. Dies wird verständlich, wenn man die Vielzahl der unterschiedlichen Personen und Unternehmen ansieht, die insolvent werden können. Eine Nachlassinsolvenz, die Insolvenzverfahren einer privaten Person oder eines kleinen Handwerkers haben bei weitem nicht die Anforderungen an einen Insolvenzverwalter wie die Insolvenz eines Unternehmens mit Tausenden von Mitarbeitern. Um jedoch ständig als Insolvenzverwalter für Unternehmen bestellt zu werden, braucht es den Abschluss eines juristischen oder wirtschaftswissenschaftlichen Studiums und eine abgeschlossene Berufsausbildung als Rechtsanwalt, Notar, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer. Sodann sollte man mindestens fünf Jahre in einer Insolvenzverwalterkanzlei an vorderster Front mitgearbeitet und dadurch die notwendigen Erfahrungen gesammelt haben.
 

Welche fachlichen und persönlichen Eigenschaften sollte ein Insolvenzverwalter mitbringen?

Man sollte wissen, wie betriebliche Abläufe gestaltet, Produkte kalkuliert oder Unternehmensplanungen aufgesetzt und kontrolliert werden. Das Lesen von Bilanzen gehört zum fundamentalen Handwerkszeug eines Verwalters. Bei den persönlichen Eigenschaften sind vor allem sind Zuverlässigkeit, Standfestigkeit und Führungsstärke gefragt.


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