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Wo tut's weh? – Medizinethik

Eine Frage der Ethik. Was angehende Medizininformatik jetzt über die Potentiale und Grenzen der Branche wissen müssen.

»Meine Verordnungen werde ich treffen zum Nutz der Kranken, nach bestem Vermögen und Urteil; ich werde sie bewahren vor Schaden und willkürlichem Unrecht.«

So lautet die freie Übersetzung des berühmten Hippokratischen Eids – das wohl erste wichtige Dokument zur Ethik der Medizin. In den darauffolgenden 21 Jahrhunderten gab es so einige Revolutionen und Reformen. Der Kerngedanke der medizinischen Philosophie ist aber immer noch gültig: Ein Arzt darf seinen Patienten kein Leid zufügen. Selbstverständlich muss dieser Eid – der übrigens in Deutschland nicht verpflichtend ist – immer wieder an die aktuellen Entwicklungen angepasst werden. Besonders ein Thema ist bei der heutigen Diskussion nicht vermeidbar: Die Ethik der Medizininformatik. Wie weit darf digitale Technik gehen, wenn es um die Gesundheit von Menschen geht? Eine Frage, die gesellschaftlich häufig diskutiert wird und auch an den Hochschulen Thema ist. Dr. Monika Pobiruchin lehrt Informatik an der HS Heilbronn. Die wissenschafliche Mitarbeiterin zeigt die großen moralischen Diskussionspunkte auf: »Die ethischen Herausforderungen sind so vielfältig wie das Berufsbild und die Tätigkeitsfelder in der Medizininformatik. Da fängt es bei den Algorithmen selbst an: Wie ethisch sind diese und werden womöglich Gruppen diskriminiert, weil sie in Trainingsdatensätzen nicht repräsentiert sind? Gerade in Zeiten des aktuellen Hypes um Künstliche Intelligenz eine außerordentlich wichtige Frage.«

Fest steht: Die zunehmende Digitalisierung von Krankenhäusern wird immer wichtiger und vielfältig gefördert. 2018 wurde von der Bundesregierung die große Medizininformatik-Initiative ins Leben gerufen. Bis 2026 sollen mehr als 200 Millionen Euro in die Förderung fließen. Vor allem die Vernetzung der Krankenhäuser steht dabei im Fokus. Patientendaten sollen bundesweit digital abrufbar sein, wodurch sich ein breiter Informationspool für Pflege und Forschung ergibt. Noch stehen diese Entwicklungen am Anfang und es tun sich einige Hürden auf. Auch Prof. Thomas Deserno – stellvertretender geschäftsführender Direktor am ›Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik‹ – ist sich dem bewusst: »Die Datenauswertung funktioniert mit Machine Learning Ansätzen. Damit verbunden ist das Problem, dass die Daten in der Medizin sehr heterogen sind und zunächst keine Interoperabilität besteht. Daten, die aus unterschiedlichen Quellen zusammengeführt werden, müssen jedoch gleich interpretiert werden.« Das ist kompliziert, vor allem wenn Kliniken Informationen verschieden codieren. Damit hier der Überblick bestehen bleibt und es möglichst schnell zu einer Angleichung der Systeme kommt, ist der Bedarf an Medizininformatikern groß. Doch bei allem Enthusiasmus bleibt die Frage: Ist diese Sammlung von Patientendaten auch sicher?

Eine Frage des Schlüssel

Die Medizininformatik-Initiative hat genaue Vorstellungen, wie die Förderung der Digitalisierung für die nächsten Jahre aussehen soll. Unter anderem kommt es zur Schaffung und dem Ausbau von Datenintegrationszentren (DIZ), an denen Informationen gesammelt und weitergetragen werden. Auch Forschende haben Zugriff auf die Patientendaten. Im Sinne der Datenschutzgrundverordnung ist dabei immer die Zweckbindung entscheidend, wie auch Thomas Deserno betont: »Es gibt nun die Problematik, dass die elektronischen Patientendaten für den Zweck der Diagnostik und Therapie des Einzelnen zusammengeführt wurden, aber nicht für den Zweck des Zusammenführens und gemeinschaftlichen Auswertens entstanden sind. Um dem zu entgehen gibt es das Konzept des Broad Consent.« Patienten müssen nicht mehr explizit zustimmen, dass ihre Daten von Forschenden auf verschiedenste Arten weiterverwendet werden dürfen. Die Beantragung der Nutzung muss dabei jedoch einige Hürden überwinden. Den Antrag »prüfen eine unabhängige Ethikkommission und ein ›Use-and-Access-Committe‹ (UAC) am Standort des DIZ«, heißt es auf der Webseite der Initiative. »Dieses Verfahren schließt eine unethische Nutzung der Daten aus und gewährleistet eine hohe wissenschaftliche Qualität der Datenanalysen.« Außerdem werden die Informationen nach ihrem Anlegen schnell von jeder persönlichen Ebene getrennt. Das bedeutet beispielsweise: Die Untersuchungsdaten eines Krebspatienten werden in das System eingespeist und frühstmöglich anonymisiert bzw. pseudonymisiert – teilweise sogar mehrfach. Der Name oder die Anschrift wird somit von der medizinischen Information gelöst. Nur eine geringe Anzahl von Personen ist dabei in der Lage, diese Codes wieder zu entschlüsseln und die Forschenden arbeiten lediglich mit der Information zur Krankheit.

Philosophiekurs für Informatiker?

Damit die Bedeutung der ethischen Fragen immer auf dem Tableau bleibt, ist es daher wichtig, schon im Studium die Weichen zu stellen. Das Ganze kann natürlich durch Kurse oder gar Studienschwerpunkte gelingen, wie Dr. Monika Pobiruchin von der Hochschule Heilbronn berichtet: »Ethische Fragestellungen und Betrachtungen werden mit dem Bezug zur Medizininformatik motiviert. Zum einen ganz stark in unserem Fach ›IT und Gesellschaft‹ im Bachelor, aber auch in der Vorlesung ›Ethik‹ im Master. Informatik in der Gesundheit hat aber auch ganz oft einen Einfluss auf das tägliche Leben von Patient*innen, sodass sich in vielen Fächern Bezugspunkte ergeben, z. B. wenn es um die Ökonomie im Gesundheitswesen geht.« Andererseits ist es auch ein Weg, Informatiker und Mediziner möglichst früh im Studium zusammenzubringen. Das Ziel: Verständigung zu Arbeitsweisen und Ansichten – auch ethischer Natur. So verfahren beispielsweise bereits die Studierenden der TU Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). »In dieser Kooperation gibt es ein aktuelles Programm, in dem Studenten der Medizininformatik der TU ihre Masterarbeit parallel zu einem medizinischen Doktoranden der MHH schreiben«, erzählt Professor Deserno, »Quasi Tandem-Teams, die schon in der Ausbildung zusammenarbeiten.« Durch Modelle wie dieses kann möglichst früh auf die enge Zusammenarbeit der beiden Berufe gesetzt werden und es können Informatiker an die Themen und Fragen der Medizin praktisch herangeführt werden. Denn hier liegt noch eine wichtige Baustelle. Viele Konflikte beim Thema Medizininformatik entstehen durch mangelnde Kommunikation. Das zeigt auch die Erfahrung von Monika Pobiruchin: »Gerade in der Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten konnte ich beobachten, dass Dinge, die man als Medizininformatiker*in als selbstverständlich und einfach wahrnimmt, von manchen Ärzt*innen als super aufwendig und kompliziert wahrgenommen werden. Andersherum aber auch: Vermeintlich einfache Wünsche der Anwender*innen stellen hohe Anforderungen an Softwarelösungen.« Umso dringender sollten zu den Skills lösungsorientierter Medizininformatiker eine gute Kommunikations- und Konfliktfähigkeit gehören. Und auch wenn einige medizinische Basics bereits im Studium beigebracht werden: Der enge Austausch und das Interesse an Medizin sollte im späteren Berufsleben nicht verloren gehen. Gerade in dieser Nische der Informatik ist das Interesse am Kunden – also letztendlich dem Patienten oder der Patientin – enorm wichtig.

Die Stichworte lauten also wie in jeder guten Diskussion um Moral: Kommunizieren, Zuhören, Reflektieren. So kann mit einer bald gut ausgebauten digitalisierten Medizin viel Gutes getan werden.

 


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