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Alles Wirrwarr? Was macht Corona mit den Ingenieur-Jobs?

Wie geht es weiter nach der Krise? Und was muss ich mitbringen, um zu glänzen? So sehen das Expert*innen

Die Verwirrung ist groß. Corona setzt der Wirtschaft zu, viele Arbeitnehmer*innen befinden sich in Kurzarbeit und bangen um ihren Job, und der Automobilindustrie ging es auch schon vor der Krise nicht mehr ganz so blendend. Auf der anderen Seite: der Leuchtstrahl in der Dunkelheit – endlich Digitalisierung, die jetzt auch ins letzte Schlüsselloch dringt. Neue Jobs entstehen, händeringend werden Fachleute in dem Bereich gesucht. Wir beobachten also zwei gegensätzliche Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt. Wer soll da den Durchblick behalten und wie genau ist jetzt wer getroffen? Zusammen mit drei Expert*innen ordnen wir mal die Fäden, analysieren die aktuellen Arbeitsmarktzahlen, gehen den Problemen auf den Grund und identifizieren gefragte Fähigkeiten für junge Ingenieur*innen.

Nackte Zahlen

Fangen wir von vorne an: Es ist wenig überraschend, dass die Corona-Krise auch in der Ingenieurbranche ihre Spuren hinterlassen hat. Im vierten Quartal 2020 ist die Arbeitskräftenachfrage auf dem Ingenieurarbeitsmarkt im Vergleich zum Vorjahr um 21 Prozent gesunken. Gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit um 40 Prozent. Auch wenn diese Zahlen im ersten Moment erschreckend klingen, lag der Fachkräfteindex im vierten Quartal auf dem höchsten Stand seit Beginn der Corona-Pandemie. Zum Vergleich: Im dritten Quartal betrug die Differenz noch 26 beziehungsweise 45 Prozent in Bezug auf das Vorjahr.

Vor allem die Nachfrage nach Informatiker*innen, Automatisierungs- und Bauingenieur*innen blieb weiter auf hohem Niveau mit nur kleinen Einbußen. Im Gegensatz dazu litt vor allem der Maschinen- und Fahrzeugbau. Je nach Produktionsbranche gibt es auch hier große Unterschiede: In der Medizintechnik zum Beispiel haben zwar 18 Prozent der Unternehmen Stellen abbauen müssen, gleichzeitig wurden aber bei 27 Prozent neue Arbeitsplätze geschaffen. Branchenübergreifend gab die Hälfte der Unternehmen an, dass sich die Auftragslage verschlechtert hat – andererseits gab es bei einem weiteren Viertel keine Auswirkungen durch Corona und 22 Prozent konnten sogar Wachstum verzeichnen.

Nichtsdestotrotz trifft die Unsicherheit vor allem junge Ingenieur*innen, da die Firmen erst versuchen, ihre langjährigen Mitarbeitenden zu halten und stattdessen auf Neueinstellungen verzichten. Ingo Rauhut, Arbeitsmarkt-Experte beim Verein Deutscher Ingenieure (VDI) räumt ein, dass es Absolvent*innen momentan tendenziell schwieriger haben, einen Job zu bekommen. Er betont jedoch auch: »Perspektivisch sehen wir, dass die Entwicklungen derzeit sehr stark von Corona überlagert werden. Eigentlich haben wir aber keine strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt, die darauf hindeuten, dass es nicht nach der Krise relativ schnell wieder aufwärts gehen kann.«

Ein Blick auf die letzten präpandemischen Daten lässt ebenfalls Hoffnung schöpfen. Dort wurde der höchste Beschäftigungsstand seit 2013 gemessen und der Ingenieurmonitor weist bei den aktuellen Werten auf einige Verzerrungen durch die Corona-Krise hin. Wann genau ›nach der Krise‹ ist, weiß natürlich niemand genau. 50 Prozent der Ingenieur*innen schätzen, dass die Auswirkungen ein Jahr andauern werden, 28 Prozent gehen von zwei oder mehr Jahren aus. Vor allem aber ändert die momentan schwierige Lage nichts daran, dass die Nachfrage an Ingenieur*innen immer noch das Angebot übersteigt. Wo und in welcher Form die jungen Nachfolger*innen dann eingesetzt werden, wollen wir gleich mal betrachten.

Maschinenbau & Co.

Die industrienahen Berufe – vor allem die Maschinenund Fahrzeugtechnik – leiden immer noch am stärksten unter der Krise. Anfang des Jahres gaben in einer Blitzumfrage des VDMA 22 Prozent der Unternehmen an, aktuell oder in nächster Zeit Personal abzubauen. Warum der Maschinenbau mit so starken Schwierigkeiten kämpft, hat vor allem zwei Gründe: Auf der einen Seite steht der Auftragsrückgang durch Corona und die daraus folgenden Umsatzeinbußen. 42 Prozent der Unternehmen meldeten 2020 einen Rückgang ihres Umsatzes um 10 bis 30 Prozent. Anfang dieses Jahres klagten immer noch 14 Prozent über gravierende Einbrüche. Ein Hoffnungsschimmer ist, dass gleichzeitig drei Viertel der Unternehmen 2021 mit einem Umsatzwachstum rechnen und zuversichtlich ins Jahr starteten.

Zur aktuellen Notlage kommen auf der anderen Seite noch strukturelle Änderungen hinzu: Durch die Digitalisierung und voranschreitende Verkehrswende Richtung Elektroantrieb werden verstärkt Expert*innen im Bereich Informatik gesucht, so Rauhut. Es verschiebt sich also die Nachfrage innerhalb der Ingenieur*innen: IT-Qualifikationen werden eine Schlüsselrolle einnehmen. Studierende des Maschinenbaus sollen jetzt aber bloß nicht den Kopf in den Sand stecken. Fall es die Lehrpläne an den Hochschulen noch nicht hergeben, müssten sie verstärkt selbst darauf achten, sich das notwendige IT-Wissen anzueignen. »Wenn man an der Schnittstelle zwischen Ingenieurwissenschaften und IT Kompetenzen entwickelt, dann hat man auf dem Arbeitsmarkt viel höhere Chancen«, ist sich der Arbeitsmarktexperte sicher. Vor allem der Bereich Künstliche Intelligenz soll enorm wachsen. Das Institut für Innovation und Technik hält bis 2023 eine Steigerung der Bruttowertschöpfung im produzierenden Gewerbe um 31,8 Milliarden Euro durch den Einsatz von KI für möglich.

Automatisierung

Wenn wir schon über KI sprechen, bleiben wir doch einen Moment bei der Automatisierungstechnik. Die liefert nämlich hervorragende Zukunftsaussichten. Die Anzahl an Robotern hat sich in den letzten zehn Jahren vervierfacht – Tendenz steigend, so Dagmar Dirzus, Digitalexpertin beim VDI. Deutschland weist europaweit die höchste Dichte an Robotern pro 10.000 Beschäftigte auf und die Hälfte der Unternehmen mit über 250 Mitarbeitenden hat mindestens einen im Betrieb stehen.

Die Robotik ist und wird deshalb so hoch gehandelt, weil sie eine weitere Entwicklung in der Industrie erst möglich macht: Die Modularisierung. In den letzten Jahren ist von Kund*innenseite immer mehr das Bedürfnis nach individuellen Lösungen und Produkten gestiegen – angefangen beim Turnschuh, mittlerweile angekommen in der Automobil- oder Stahlbranche. »Alles ist modular«, sagt Dirzus, »Das heißt aber auch, dass ich viel flexiblere Roboter brauche, die schneller programmiert werden können und beispielsweise verschiedene Autos bauen können«. Gerade deshalb sei die Automatisierungsbranche ein stark wachsender Markt. Das zeigt sich auch in diesem schwierigen Jahr.

Im vierten Quartal 2020 stieg der Hays-Fachkräfte- Indexwert für Automatisierungsingenieur* innen um 19 Punkte im Vergleich zum Vorquartal. Nach der Elektrotechnik ist das die zweitbeste Steigerung. »Natürlich haben wir viele Unternehmen, die straucheln«, sieht auch Dagmar Dirzus, »aber andere sind bis unters Dach mit Aufträgen voll«. Es gäbe sogar Unternehmen, die von der derzeitigen Situation profitieren, wenn auch die wenigsten.

Gleichzeitig gehe es jetzt in den schwächelnden Branchen ebenfalls ums Voranbringen der Automatisierung. Die Automobilindustrie zum Beispiel ist momentan sehr stark getroffen. Wenn sie aber nicht schnell automatisieren, dann könnten sie auf dem nationalen und globalen Markt nicht mitmachen, so Dirzus. Generell ist sie sich sicher: »Würden wir höher automatisieren, hätten wir die Chance, in vielen Branchen noch besser zu werden.«

Der Einsatz von Robotern zahlt sich ja vor allem dort aus, wo Menschen etwas schwierig bis gar nicht erledigen können. Ein Drittel der heutigen Roboter sind in der Produktion und Montage, das zweite Drittel ist in der Präzision tätig, zum Beispiel bei Handyelektronikteilen und zehn bis 15 Prozent sind noch im Lager oder bei gefährlichen Aufgaben im Einsatz. Und obwohl die Roboter insgesamt intelligenter und komplexer geworden sind, wurden sie gleichzeitig kleiner und flexibler – und damit günstiger. Das birgt unter anderem die Chance, manche Produktionsketten wieder vermehrt lokal aufzubauen. Zum Beispiel bei Salbutamol, einem Wirkstoff in Asthmasprays, der auch bei Covid 19-Patient*innen eingesetzt wird. Neben dem positiven Einfluss auf die Umwelt – Rohstoffe müssen nicht tausende Kilometer nach Deutschland gebracht werden – zahlt sich dieses Vorgehen auch für die Sicherheit von Wertschöpfungsketten aus. Lieferschwierigkeiten, wie sie während der Corona-Krise teilweise vorgekommen sind, gehörten so der Vergangenheit an. Dagmar Dirzus ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass der Roboter die Arbeit nicht wegnehme. »In Ländern, in denen ich gut, schnell und präzise produzieren kann – also überall wo ich Roboter im Einsatz habe – ist die Beschäftigung hoch«, erklärt sie. Für Ingenieur*innen bedeutet die Automatisierung, dass sie ganz andere Voraussetzungen erfüllen müssen und viel kreativer arbeiten. Schließlich übernehmen Roboter alle Aufgaben, die keiner Fantasie bedürfen. Die Expertin sieht darin aber eine positive Entwicklung, schließlich sei es doch viel spannender, sich in Produktions- und Fertigungsketten einzudenken oder eine Montagelinie aufzubauen und die Roboter dafür zu fertigen.

Elektrotechnik

Die Gleichung ›Digitalisierung = Jobs‹ funktioniert glücklicherweise auch bei den Elektroingenieur*innen. Oftmals denkt man bei diesem Thema nur an die Software und dementsprechend an Informatiker*innen, erklärt Thomas Hegger, Vositzender des Ausschusses ›Studium, Beruf und Gesellschaft‹ im VDE, dabei brauche es zur vollständigen Funktion auch immer die entsprechende Hardware. »Ohne Elektroingenieur*innen keine Cloud, kein iPhone, keine Digitalisierung«, bringt es der Experte auf den Punkt.

Die Einstellungen im Bereich Elektrotechnik seien zwar vor allem im Sommer 2020 stark zurückgegangen und zeitweise hatten Studierende Schwierigkeiten, an Praktikums- oder Einstiegsstellen zu kommen, aber das sei mittlerweile vorüber. »Im Prinzip ging nach dem Sommer die Sonne für die Absolvent*innen wieder auf«, lacht Hegger. Dazu muss man auch wissen, dass Elektroingenieur*innen vor der Krise fast automatisch einen Arbeitsvertrag nach Abschluss des Studiums bekommen haben und momentan vielleicht erst ein paar Wochen suchen müssten. Hegger ist sich trotzdem sicher, dass der Bedarf und die Berufsmöglichkeiten da sind: »Man muss sich aktuell keine Sorgen machen, dass man arbeitslos wird und keinen Arbeitsplatz bekommt.« Seit Anfang des Jahres hätten die Hiring-Aktivitäten deutlich zugenommen und es wurden auch mehr Stellen ausgeschrieben, als ursprünglich geplant.

Neben der Digitalisierung spielt ein weiterer Aspekt in die positive Prognose ein: Die demografischen Gegebenheiten. Das gilt im übrigen auch für alle anderen Branchen. Die Generation der Babyboomer wird bis 2029 aus dem Arbeitsleben ausscheiden und diese Stellen müssen neu besetzt werden. Aktuell gäbe es eher zu wenige Absolvent*innen, um diese Lücke zu schließen, sagt Hegger. Das Hauptproblem – und hier wendet sich das Blatt – ist nicht Corona, sondern dass zu Wenige mit dem Studium beginnen. Vor allem fehle der weibliche Nachwuchs.

Derzeit gibt es jährlich etwa 8.000 Absolvent*innen in der Elektrotechnik, wobei der Bedarf fast doppelt so hoch ist. Denn die Elektrotechnik ist ein Thema, das in alle Lebensbereiche mit einspielt und vor allem dort, wo es gerade sowieso boomt: Klimaschutz, Automatisierung, Medizintechnik. »Photovoltaik, Windkraft, Beatmungsgeräte, Robotik in der Chirurgie, Elektrofahrzeuge, autonomes Fahren – all das ist ohne Elektrotechnik nicht möglich«, bringt es Thomas Hegger auf den Punkt. Sogar im Softwarebereich können Elektroingenieur*innen oft mit den Informatiker*innen konkurrieren, weil sie das nötige Systemverständnis mitbringen. Zum Beispiel wenn es um das Thema Sensorik geht.

Bauingenieurwesen

Der einzige Bereich, der sich relativ unbeeindruckt von den aktuellen Entwicklungen zeigt, ist die Bauingenieursbranche. Dass die weiterhin so flüssig läuft, hat nämlich weniger mit der Pandemie zu tun als vielmehr mit zwei unabhängigen Gründen. Einmal gab es in den letzten Jahren von Seiten der öffentlichen Hand einen Investitionsstau, der jetzt aufgeholt wird. Es fließen also viele staatliche Gelder in infrastrukturelle Projekte. Außerdem wird durch den niedrigen Zinssatz stärker gebaut. »Das sind ein paar Entwicklungen, die hier zusammenkommen und dazu führen, dass sich die Baubranche vom allgemeinen wirtschaftlichen Auf und Ab abkoppelt. Das führt wiederum dazu, dass Bauingenieur*innen und Architekt*innen sehr stark nachgefragt sind«, erklärt Ingo Rauhut.

Zwar gab es auch hier in der Krise eine leichte Abwärtsbewegung; die fand aber auf hohem Niveau statt und fällt im Vergleich zu anderen Branchen sehr schwach aus. So verzeichnet das Bauingenieurwesen nur einen Rückgang der Arbeitskräftenachfrage um knapp fünf Prozent, wohingegen der Durchschnitt bei 21 Prozent liegt. Die Nachfrage bleibt, so Rauhut, und die sei relativ unabhängig von der Corona-Pandemie.

Becoming an Engineer

Fest verflochten mit allen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt sind die Anforderungen an die neue Generation der Ingenieur*innen. Wenig überraschend dominiert und beeinflusst die Digitalisierung auch hier den Diskurs, weshalb das Zauberwort ›interdisziplinäre Fähigkeiten‹ lautet. Das betonen alle drei befragten Expert*innen.

IT Know-How ist unabdingbar. Schließlich ist das Wertvolle an einem Gerät nicht mehr es selbst, sondern seine Steuerung. Auf diese Art und Weise kann ein Produkt viel schneller auf den Markt gebracht und dann während der Nutzung noch verbessert werden, was zu einer Veränderung des gesamten Arbeitsprozesses führt. Diese Veränderung in ihren Lehrplan zu integrieren und ausreichend Informatikwissen zu vermitteln, fällt manchen Universitäten und Hochschulen noch schwer. Dabei ist diese Dynamik so wichtig. Sich das IT-Wissen notfalls selbst anzueignen und auf jeden Fall auszubauen, ist unverzichtbar, erklärt Rauhut.

Durch die Digitalisierung verschwimmen außerdem die Grenzen zwischen den einzelnen Ingenieurdisziplinen immer mehr: Crossover-Qualifikationen gewinnen an Bedeutung. Mit anderen Teams und Berufsgruppen zusammenzuarbeiten wird elementarer Bestandteil des Ingenieurseins. Für Absolvent*innen bedeutet das: »Ich muss die Offenheit behalten, dazu zu lernen – was auch immer ich studiert habe«, sagt Dirzus. Auf der anderen Seite werden dadurch extreme Spezialisierungen nicht mehr so gefragt sein. Denn sie machen einen späteren Wechsel fast unmöglich. Flexibilität ist das Gebot der Stunde. Dirzus plädiert trotzdem für ein gewisses Maß an Durchhaltevermögen in einem Bereich. Denn eine Weiterentwicklung kann auch in ein und demselben Unternehmen passieren.

Bis man sich dort ein Netzwerk und das nötige Know-How angeeignet hat, dauert es mindestens zwei Jahre. Der wirklich große Nutzen folgt dann danach. »So viel Digitalisierung und Volatilität am Markt da ist, umso wichtiger ist es, sich auf die mittelständischen Unternehmen einzulassen und zu überlegen: Was können die denn alles Tolles bauen?«

Die größte Herausforderung für junge Ingenieur*innen wird es sein, die Waage zwischen breitem, aber oberflächlichem und tiefem, gleichzeitig eingeschränktem Wissen auszubalancieren. Dazu kommt die Fähigkeit, mit anderen Teams zusammenarbeiten und die eigenen Ideen verständlich zu erklären. Es gehe nicht nur darum, etwas vor sich hin zu entwickeln, sondern genauso mit dem Vertrieb und dem Einkauf zusammenzuarbeiten oder die Ergebnisse in Projektmeetings zu präsentieren, so Thomas Hegger vom VDE. »Kommunizieren können, mit anderen Teams zusammenarbeiten können, das Baukastenprinzip beherrschen, modular agil arbeiten und in seinem Hirn verschiedene Welten zusammenbringen können: Das ist das echte Ingenieursein«, fasst Dirzus es passend zusammen. Und so können auch exzellente Teams aus erfahrenen Ingenieur*innen und jungen, kreativen Absolvent*innen entstehen.

Dornige Chancen

Die Corona-Krise hat zwar einige Einbrüche bewirkt und größere Probleme offengelegt – die eigentlich langfristigen Herausforderungen der Branche finden sich jedoch an anderer Stelle.

Einmal ist das die bereits angesprochene demografische Entwicklung. Viele Ingenieur*innen scheiden in nächster Zeit aus dem Arbeitsmarkt aus, während von unten der Nachwuchs fehlt. Das bedeutet: Fachkräftemangel. Vor allem fangen zu wenige Frauen mit einem ingenieurwissenschaftlichen Studium an, weshalb die weiblichen Arbeitskräfte an allen Ecken und Enden fehlen. Thomas Hegger wünscht sich, dass sich das in den nächsten Jahren ändern wird und stellt nochmal die doppelten Vorteile der Branche dar: »Aus meiner Sicht ist das hochattraktiv: Was die Unternehmen ihren Mitarbeitenden bieten, aber auch, was sie von Produktseite herstellen, um die Welt zum Besseren zu verändern, gesünder zu machen und die Umwelt zu schonen«. Man könne hier an vorderster Front mitwirken.

Zum anderen, erklärt Dagmar Dirzus, müsse man es schaffen, den Mittelstand in die Digitalisierung mitzunehmen. Die Idee der Industrie 4.0 feiert dieses Jahr ihren zehnten Geburtstag, trotzdem ist sie noch lange nicht überall angekommen. Oft mangelt es vor allem im ländlichen Raum an der Infrastruktur oder dem fehlenden Know-How – oder beidem. Die Aufgabe wird also sein, die Gegenden für junge Menschen attraktiv zu machen und die dafür notwendigen technischen Voraussetzungen zu schaffen. Auf Fachkongressen sei man schon längst über 5G und Industrie 4.0 hinaus, während es im echten Leben manchmal schon an einem ordentlichen Internetzugang auf dem Land scheitert. »Das sind kleine Schwierigkeiten, aber da sehen wir, woran es hapert«, so Dirzus.

Schwierig wird es auch, wenn die kleinen Unternehmen nicht selbst Kompetenzen im Umgang mit KI und Daten entwickeln und stattdessen fortlaufend Know-How von außen zukaufen. Das mag für den ersten Schritt hilfreich und legitim sein, erklärt Dirzus, aber später gebe man so das Potenzial aus der Hand, mit den eigenen Daten Geld zu verdienen. Genau an dieser Stelle braucht es also motivierte Ingenieur*innen mit frischen Ideen und dem entsprechenden Wissen.

Ingo Rauhut empfiehlt deswegen eine hohe Mobilität bei der Jobsuche. Das sei etwas, wovor viele zurückschrecken, aber so schränke man natürlich die Zahl der potenziellen Arbeitgeber enorm ein. Absolvent*innen sollen deshalb schauen: ›Wo sind die Jobs, die mich interessieren?‹ und dann einen Umzug in Erwägung zu ziehen. Generell sieht er die gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klimaschutz und Digitalisierung als Treiber, die das wirtschaftliche Wachstum in den nächsten Jahrzehnten bestimmen. Deswegen seien das auch Felder, wo neue Jobs entstehen.

Entwirrung?

Trotz aller Sorgen und zeitweisen Schwierigkeiten stehen die Arbeitschancen für Absolvent*innen im Ingenieurwesen also weiterhin gut. Eigentlich profitiert die Ingenieurbranche sogar von den großen Herausforderungen unserer Zeit wie Digitalisierung und Klimawandel: Junge und kreative Ingenieur*innen haben die Chance, hier zukunftsweisende Lösungen zu entwicklen und aktiv einen positiven Beitrag zu leisten. Informatik- Skills sind Pflicht – da führt kein Weg dran vorbei. Wer also gerade keinen passenden Job findet und es sich leisten kann, sollte die Zwischenzeit nutzen, die eigenen Skills in diesem Bereich auszubauen, rät Ingo Rauhut. Mittel- oder langfristig werden die aktuellen Probleme einer hohen Nachfrage weichen. Denn die zwei D´s – Digitalisierung und Dekarbonisierung – schaffen ganz neue Perspektiven. Die einzige Konstante ist der stetige Wandel; Festgefahrenheit endet also in einer Sackgasse und Open-Mindness muss heute zum Grundrepertoire jedes und jeder Ingenieur*in zählen. Stichwort offen: So ganz sicher können wir uns ob der Zukunt einfach nicht sein und am Ende bleiben wohl immer ein paar lose Fäden. Ist doch eigentlich auch ganz spannend, oder?

 

 


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