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Hallo Octopussy – Tiefseetechnik für Ingenieure

Arbeitsplatz unter Wasser

Klares, blaues Wasser. Vorbei an bunten kleinen Fischen, prächtigen Korallen, tief in der unendlich wirkenden See. Im lichtlosen, geheimnisvollen Nichts herrscht Stille. Temperaturen von zwei Grad Celsius oder kälter erlauben kaum Leben. Nicht umsonst heißt es, dass nur etwa fünf Prozent der Meere als erforscht gelten. Der immense Druck macht das Erkunden der Unterwasserwelt extrem schwer. Zum Vergleich: In 6.000 Metern Tiefe herrscht auf der Fläche von einem Quadratmeter ein Druck, so hoch, wie die Last von etwa 1.500 Elefanten. Somit überlebt kaum ein Lebewesen oder gar ein technisches Gerät im Schlund des unendlichen Gewässers. Um mehr über unsere Erde zu erfahren und Zusammenhänge besser verstehen zu können, brauchen wir die Meeresforschung. Dafür bedarf es spezieller Technologien, entwickelt von den Ingenieuren der Weltmeere.

Vielfalt der Ozeane

»Die wenigsten technischen Systeme, die wir einsetzen, sind von vorne herein für den Einsatz in der Tiefsee geeignet«, erklärt Dr. Thomas Soltwedel, Sektionsleiter der Tiefseegruppe im Alfred- Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Die extremen Umweltbedingungen zwingen Ingenieure und Informatiker häufig dazu, komplett neue Technologien zu entwickeln und Unterwasserstrukturen zu entwerfen. Der Arbeitsbereich reicht weit über Ölpipelines und Bohrinseln hinaus. So arbeiten viele Meerestechniker auch in Forschungsprojekten: Biologe Dr. Soltwedel untersucht zum Beispiel die »Auswirkungen natürlicher und anthropogen verursachter Klimaveränderungen auf das arktische, marine Ökosystem.« Dabei werden die Untersuchungen durch Verankerungen und Freifallgeräte mit automatischen Mess-, Registrier- und Sammelgeräten sowie durch experimentelle Arbeiten am Tiefseeboden durchgeführt. Das gelingt mit autonomen und ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugen.

Dr. Tom Kwasnitschka, Mitarbeiter des GEOMAR Helmholtz- Zentrums für Ozeanforschung Kiel konstruiert hingegen unter anderem Tiefsee-Kameras »mit denen dann photogrammetrische Vermessungen gemacht werden, die ihrerseits in großen Kuppelsimulatoren in 360 Grad betrachtet und analysiert werden.« So kann Kwasnitschka mit Hilfe von Robotik und Visualisierungsmethoden den Meeresboden virtuell im Labor rekonstruieren.

Tiefsee-Charme

Die Meerestechnologie ist wahrscheinlich nicht die erste Branche, die Absolventen in den Sinn kommt, wenn sie an spannende Aufgaben und einen erfolgreichen Karrierestart denken. Jedoch bietet sie Faszinierendes. Allein die Dimensionen, die das schier unendliche Meer bietet und die großen Bereiche, die noch unentdeckt sind, verleihen der Sparte ihre geheimnisvolle Aura. Um dieser gerecht werden zu können, bietet die Hochschule Bremerhaven in ihrem Bachelorstudiengang ›Maritime Technologien‹ ein praxisnahes Lernen an. Studierende arbeiten ab dem dritten Semester an ersten Forschungs- und Entwicklungsprojekten, was ihnen bereits eine kleine Vorstellung des späteren Berufslebens ermöglicht. »Der Fokus liegt bei uns auf den Anwendungen. Alle Arbeiten finden im oder auf dem Meer statt oder wir kümmern uns um Simulationen, um im Labor zu untersuchen, wie unsere Technik im richtigen Einsatz funktionieren wird«, so Studiengangsleiter Professor Dr. Axel Bochert. Dabei benötige es laut Bochert aber dennoch Inhalte der klassischen Ingenieurberufe. Des Weiteren werde es laut Dr. Kwasnitschka auch immer wichtiger, die Präsenz des Menschen in die Meeresforschung einzubeziehen. »Der Mensch und das Meer, der Mensch im Meer. Erst die moderne Meerestechnologie bringt uns wirklich an diesen Punkt.« Um diese Technologien zu entwickeln und Wissenschaftler zu unterstützen, sind speziell ausgebildete Ingenieure und Informatiker essenziell.

Keine Zeit für Sea-Sickness

Doch was braucht es, um in dieser hoch anspruchsvollen Branche zu arbeiten? Ein fundiertes Theoriewissen ist unabdingbar. Dr. Eberhard Sauter, Honorarprofessor für Meerestechnik an der Hochschule Bremerhaven rät: »Wie bei anderen Ingenieurfächern sollte man keine große Scheu vor MINT-Fächern haben. Physik, Mathe oder auch Spaß an Elektronik und dem Umgang mit Werkzeug wären gut.« Des Weiteren sei das generelle Interesse für neue, kreative Lösungen wichtig. Ebenso werden virtuelle Systeme, Software und KI zunehmende Rollen spielen. Worin sich alle befragten Experten einig sind, ist die Praxiserfahrung. »Der beste, unabdingbare Einstieg ist die Teilnahme an einer längeren Forschungsfahrt, möglichst früh in der Ausbildung, und dann immer wieder. Nur so kann man ein Gespür für die praktischen Sachzwänge und funktionierenden Lösungswege erlangen. Alles andere ist Theorie und bewährt sich nicht im Wasser«, so Dr. Kwasnitschka.

Da im Forschungsbereich eine Zusammenarbeit mit Fachkräften aus verschiedenen Bereichen notwendig ist, sind zudem Teamfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein unabdingbar. »Auf unseren Forschungsschiffen sind immer Leute mit sehr verschiedenen Hintergründen dabei. Das macht es besonders spannend. Wichtig ist, dass man neugierig auf die Arbeit der Anderen ist. Die großen Probleme unserer Zeit können wir nur multi- oder sogar transdisziplinär lösen«, so Sauter. Neben wichtigen Soft Skills sind laut Soltwedel auch verschiedene Hard Skills fundamental: »Expertise in Hard- und Softwareentwicklung, Kenntnisse der Elektro- und Netzwerktechnik sowie in der objektorientierten Programmierung.« Klingt viel? – Keine Panik! Professor Sauter rät seinen Studierenden, sich zunächst für ein Feld zu entscheiden.

Ein Meer voller Möglichkeiten

Für Meerestechnik-Interessierte gibt es deutschlandweit zahlreiche Möglichkeiten, einzusteigen. Zum einen in die maritimen Technologiebereiche wie dem Schiffbau, der Schifffahrt und der Offshore- Windenergie. Zum anderen in Forschungseinrichtungen, in denen alle Themen rund um das Element Wasser und sein ökologisches Umfeld untersucht werden. Axel Bochert geht davon aus, dass Absolventen meerestechnologischer Ingenieurstudiengänge grundsätzlich keine Probleme haben, einen Job zu finden. Dennoch beschreibt Dr. Soltwedel den aktuellen Arbeitsmarkt für Informatiker und Ingenieure insgesamt als ›übersichtlich‹. Des Weiteren werde in der Regel im öffentlichen Dienst nach Tarifvertrag bezahlt und damit verdiene man häufig weniger als in der freien Wirtschaft.

Dr. Sauter glaubt hingegen an einen zukünftigen Anstieg der Arbeitsplätze in der Branche: »Allen ist klar, dass wir eine Energiewende beziehungsweise die große notwendige Transformation ohne Offshore- Windenergie kaum hinbekommen. Hierfür wird es nicht ohne Meerestechnik gehen. Wir werden auch zunehmend nachhaltige Aquakultur brauchen, weil wir sonst die Meere noch weiter überfischen. Auch hierfür benötigen wir meerestechnische Systeme.« Den meisten Studierenden, die sich für die Meerestechnik entscheiden, gehe es laut Bochert meist mehr um die Energiewende und darum, einen Beitrag zum Klimaschutz leisten zu können, als um den späteren Verdienst. »Da es in diesem Bereich schon jetzt und auch in Zukunft noch viel zu schaffen gibt, steht außer Frage, dass Absolventen eine faire Bezahlung einfordern können«, ergänzt der Hochschullehrer.

 


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