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Schlaue Faser – Smarte Kleidung für die Zukunft

Kleider machen heute

Wearables, wie smarte Armbanduhren oder Bluetooth-Kopfhörer werden gerade extrem gehyped. Durch ihre technischen Funktionen sind sie nicht nur praktisch und erleichtern unseren Alltag, sondern unterstützen uns auch bei der Selbstoptimierung. Laut dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWi) wird 2022 für den Markt der Wearables in Deutschland ein Umsatz von 703 Millionen Euro erwartet. Aber nicht nur die Nachfrage boomt, sondern auch Innovationen in der e-Textilbranche. Neben Vitalfunktionsmessenden Shirts und lebensrettenden Socken, sind den Anwendungsgebieten der smarten Textilien kaum Grenzen gesetzt.

Vielseitige Flusen

Zu den wohl größten Bereichen, in denen smarte Textilien nützlich sind, zählt die Medizinbranche. Ein Teil davon ist die Patientenüberwachung. Dabei können zum Beispiel Vitalfunktionen von Kranken durch eingearbeitete Sensoren in smarten Decken oder Anzügen überwacht werden und bei Grenzwertüberschreitungen einen Alarm auslösen. Ein anderes Beispiel sind intelligente Bandagen: Diese sollen unter anderem den Neigungswinkel und die Schrittlänge von verletzten Personen messen. Professorin Anne Schwarz-Pfeiffer von der Hochschule Niederrhein ist Expertin im Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik. Sie arbeitet aktuell an einer medizinischen Bandage, die nach einer Kreuzbandoperation den Rehabilita- tionsstatus überwachen kann. Laut Schwarz-Pfeiffer gebe dies Patienten die Sicherheit, dass die Übungen und Bewegungen korrekt ausgeführt werden, was somit den Heilungsprozess enorm fördert. Ein ebenfalls großes Einsatzgebiet der e-Textilien ist die Babybranche. Schon seit mehreren Jahren werden, vor allem bei Frühchen, smarte Bodys verwendet. Diese können den Herzschlag und Sauerstoffgehalt im Blut des Babys messen und im Notfall eine Nachricht an das Smartphone der Eltern senden. Ähnlich funktionieren soll ein vom »Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM« entwickelter Babystrampler. Die integrierten, dehnbaren Leiterplatten messen die Atembewegungen des Kindes und warnen die Eltern im Falle eines Atemstillstands, was einen plötzlichen Kindstod verhindern kann.

Vincent Stecher, Werkstudent in der Fachrichtung Leichtbau-, Textil- und Kunststofftechnik bei der Embro GmbH im Vogtland arbeitet aktuell an der Entwicklung einer Drucksensormatte mit Feuchtigkeits- und Temperatursensoren. »Durch die Matte wird die Liegeposition einer Person analysiert und gibt ein Signal zurück, sobald die Position von den Parametern abweicht, z. B. bei ungünstigem Liegeverhalten«, erläutert der Student. Aber auch in der Sportwirtschaft nimmt die Verwendung der smarten Stoffe zu. Der Branchen-Insider und Descente-Countrymanager Lothar Heinisch sieht vor allem in der Skibranche sowie der Outdoor- und Urban-Kleidung, die Zukunft der kommerziellen e-Textil-Nutzung.

Viel zu entdecken

Wo es laut Vincent Stecher vor zehn Jahren noch undenkbar war, sensorische Messwerte über Textilien aufzunehmen, weiterzuleiten oder auszugeben, gibt es heute zahlreiche Verfahren. Die Textilien bestehen meist aus Spezialfasern, die leitfähig, aber genauso einsetzbar wie gewöhnliche Fäden sind. Flexible, elektronische Bauteile können somit auf Textilien geklebt, genäht, gestickt oder mit ihnen verschmolzen werden. Laut Schwarz-Pfeiffer bieten gerade Pailletten eine gute Plattform, um Elektronikkomponenten und Zuleitungen zusätzlich anzubringen. Auf den Pailletten können sogar Sensoren, Lautsprecher oder Vibrationsmotoren befestigt werden.

Die größte Herausforderung der smarten Textilien liegt in ihrem alltäglichen Gebrauch – denn T-Shirts, Decken und Co. wollen regelmäßig gewaschen werden. Dehnbare, wasserdichte Batterien und Akkus sind dafür Voraussetzung. Bei normalen Akkus ist das kaum möglich, denn diese bestehen aus mehr oder weniger unflexiblen, starren Materialien. Forscher der University of British Columbia (UBC) haben das geändert. Durch das Hinzufügen von einem gummiartigen Kunststoff (Polymer) lässt sich die neue, flexible Batterie verbiegen. Mit demselben Polymer wurde auch das Gehäuse umgeben, was den Akku zusätzlich luft- und wasserdicht macht. Im Praxistest überstand die neue Batterie ganze 39 Waschzyklen unbeschadet, doch die Wissenschaftler der UBC forschen bereits weiter an der Optimierung der Haltbarkeit. Nicht nur Akkus werden rasant weiterentwickelt, Professorin Anne Schwarz-Pfeiffer erwartet neue Artikel wie: Intelligente Sitze oder Steuergeräte und Fernbedienungen, die in internetfähigen Kissen oder Sofas mit Touch-Monitoren integriert sind. Bei neuen Entwicklungen wird versucht, die verschiedenen Bauteile auf einzelnen Garnen zu befestigen, um eine spätere Flexibilität zu gewährleisten. Noch in der Entwicklung sind hingegen e-Textilien, die Medikamente automatisch über die Haut an die Patienten abgeben können.

Smarte Socken gewünscht

In der elektronischen Textilbranche arbeiten viele unterschiedliche Fachbereiche zusammen, weshalb das Know-how von Ingenieuren breit aufgestellt sein muss. Vincent Stecher rät: »Absolventen sollten Kenntnisse über Textil-, Elektro- und Leichtbautechnik mitbringen. Auf jeden Fall Interesse für neue Entwicklungen und innovative Lösungsansätze.« Neben der Textiltechnologie und Materialforschung, ist auch die Informatik ein wichtiges Gebiet. Christine Schneider, Leiterin der Abteilung »Fachkräfte + Märkte« bei Südwesttextil e. V. ergänzt analytisches Denken und Offenheit sowie Eigeninitiative, Kreativität, Problemlösungsfähigkeit, Resilienz und Zielorientierung. Elementar für den Einstieg in die Branche ist das Verständnis für textile Produktionsprozesse. »Dabei ist es wichtig, die Materialien und ihre Eigenschaften zu kennen und zu wissen, wie sie sich in den einzelnen Produktionsschritten verändern«, so Schneider. Außerdem fügt sie hinzu, dass dieses Wissen essenziell beim Zusammenspiel von Sensoren oder leitfähigen Materialien und in Zukunft auch bei Recycling-Prozessen sei. Absolventen sollten sich also möglichst einen gesamten Überblick aller Aspekte der smarten Textilien verschaffen

Riesen Sortiment

Ingenieure in der Textilbranche haben eine große Auswahl an Arbeitsorten. Von Unternehmen wie Spinnereien, Webereien, Stickereien oder Textilveredelungsbetrieben über textile Forschungsinstitute oder Betriebe des Textilmaschinenbaus ist alles dabei. Bei der Herstellung bedarf es einer Vielzahl an Fachdisziplinen, je nach Produkt zum Beispiel aus der Medizin, der Informatik oder der Designerbranche, deshalb müssen Ingenieure eng mit anderen Menschen aus diesen Sektoren zusammenarbeiten können. Um Einstiegsmöglichkeiten müssen sich Textilingenieure keine Gedanken machen, denn die Entwicklung der Digitalisierung hat auch massive Auswirkungen auf den Textil-Arbeitsmarkt. Christine Schneider würde diesen sogar als sehr gut beschreiben: »Megatrends wie die Individualisierung, die neue Mobilität, der demografische Wandel und vor allem die digitale Transformation beflügeln die Entwicklung und lassen jährlich Wachstumsraten von über 30 Prozent als realistisch erscheinen.« Sie sieht vor allem in den Bereichen Schutzbekleidung, Sport, Fitness, Gesundheit und Pflege die Wegweiser der smarten Fasern. Neben den technischen Kenntnissen ist es, laut Professorin Schwarz-Pfeiffer, im späteren Arbeitsleben ebenfalls wichtig, die realistische und wirtschaftliche Einschätzung der neuen Entwicklungen zu kennen.

 


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