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Liegt das Glück auf der Straße, Herr Ruckriegel?

Ein Gespräch mit Glücksforscher Prof. Karlheinz Ruckriegel über positive Lebenseinstellungen und warum der Optimismus seinen guten Ruf nicht verlieren sollte.

Lieber Herr Ruckriegel, was hat Sie heute schon glücklich gemacht?

Da fällt mir einiges ein: Eine WhatsApp Nachricht meiner Tochter aus ihrem Urlaub, ein Besuch der bayerischen Landesausstellung »Typisch Franken?« in Ansbach, das Schreiben einer E-Mail, um über Lions Quest zu informieren, die Berufung von Ulrike Malmendier in den »Sachverständigenrat Wirtschaft«. Frau Malmendier lehrt an der University of California, Berkeley. Sie ist ausgewiesene Expertin auf dem Feld der Behavioral Economics, wonach psychologische und soziologische Prozesse, insbesondere unsere Emotionen eine entscheidende Rolle bei unserem Verhalten spielen.

Sie sind Professor für Volkswirtschaftslehre. Wie sind Sie da auf das Thema Glück gestoßen?

2005 habe ich das Buch von Sir Richard Layard »Die glückliche Gesellschaft – Kurswechsel für Politik und Gesellschaft« von der London School of Economics gelesen. Layard ist auch Mitherausgeber des World Happiness Reports. Die Volkswirtschaftslehre beschäftigt sich als Teil der Wirtschaftswissenschaften ganz grundsätzlich mit der Frage, wie man knappe Ressourcen so einsetzen kann, damit man die angestrebten Ziele bestmöglich erreichen kann. Das ist der Kern ökonomischen Handelns. Und unsere knappe Ressource ist letztendlich unsere Zeit. Ziel ist ein gelingendes, glückliches, zufriedenes Leben. Es geht also um eine effiziente Zeitverwendung für ein glückliches, zufriedenes, gelingendes Leben, den – ökonomisch gesprochen – aus der Zeitverwendung resultierenden »Nutzen«. Ein anderes Wort für Nutzen ist »Wohlbefinden«. Die interdisziplinäre Glücksforschung ist somit ein wesentlicher Teil der Volkswirtschaftslehre.

Was genau ist eigentlich Glücksforschung und welches Ziel verfolgt sie?

Die Glücksforschung ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, in dem insbesondere Psychologen, Soziologen, Wirtschaftswissenschaftler, Neurobiologen und Mediziner zusammenarbeiten. Sie beschäftigt sich mit Glück im Sinne des Glücklichseins, also mit dem »Subjektiven Wohlbefinden«, nicht aber dem Glückhaben, also dem Zufallsglück, welches dem Einzelnen mehr oder minder ohne eigenes Zutun zufällt wie etwa ein Lottogewinn. Beim »Subjektiven Wohlbefinden« geht es um die subjektive Sichtweise des Einzelnen, das heißt: wie sich aus seiner Sicht die Dinge anfühlen und darstellen. Die Glücksforschung zeigt, dass das subjektive Wohlbefinden der zentrale, zusammengefasste Indikator für den Grad der Lebensqualität und somit für eine Politik, die sich an einer Verbesserung der Lebensqualität orientiert, ist. Wann sind wir glücklich?

Wir sind glücklich, wenn wir uns wohlfühlen mit unserem Leben, wenn wir das Gefühl haben, dass das Leben, welches wir führen, gut und erfüllend ist. Wohlbefinden ist ein Zeichen dafür, dass unser Leben gut läuft. Subjektives Wohlbefinden hat zwei Aus-prägungen: das »emotionale« und das »kognitive« Wohlbefinden.
Mit emotionalem Wohlbefinden ist die Gefühlslage im Moment gemeint, wobei es im Wesentlichen auf das Verhältnis zwischen positiven und negativen Gefühlen im Tagesdurchschnitt, also auf unsere Gefühlsbilanz ankommt.

Und das kognitive Wohlbefinden?

Beim kognitiven Wohlbefinden geht es hingegen um den Grad der »Zufriedenheit« mit dem Leben. Es findet eine Abwägung zwischen dem, was man will – den Zielen, Erwartungen und Wünschen – und dem, was man hat, statt. Es geht also um das Urteil, das Menschen fällen, wenn sie ihr Leben bewerten, wobei es hier entscheidend auf die Ziele ankommt, die Menschen für sich selbst setzen. Diese Ziele können durchaus ambitioniert sein. Sie müssen aber zumindest eine gewisse Realisierungschance haben. Bei bloßen Luftschlössern ist Frustration vorprogrammiert. Emotionales und kognitives Wohlbefinden sind gleichermaßen wichtig, sie beeinflussen sich gegenseitig.

Mal ganz grundlegend: Warum suchen wir Menschen eigentlich nach Glück?

Subjektives Wohlbefinden ist der zentrale Indikator für ein gutes Leben, für eine hohe Lebensqualität. Und darum geht es letztendlich. Wer etwas dafür tut, glücklicher zu werden, fühlt sich nicht nur subjektiv besser, sondern hat auch mehr Energie, ist kreativer, stärkt sein Immunsystem, festigt seine Beziehungen, arbeitet produktiver und erhöht seine Lebenserwartung. Die medizinische Forschung zeigt, dass glückliche Menschen weniger krank werden bzw. wenn sie krank sind, schneller wieder gesund werden.

Durch die immer schnellere Digitalisierung und kleiner werdende Welt, kann man rund um die Uhr vom Unrecht in der Welt erfahren. Ist es schwieriger geworden, glücklich zu sein?

Zunächst sollte man sich klarwerden, was man selbst überhaupt tun kann. Um nicht in eine zu negative Sichtweise zu verfallen, die keinem nützt, und einen vielmehr eher hindert, aktiv Herausforderungen anzugehen, sollte man sich vor allem auch bewusst machen, was unsere Glücksfaktoren sind und woraus wir Kraft schöpfen können. Die Glücksforschung hat eine Reihe von Glücksfaktoren identifiziert: Soziale Beziehungen, Gesundheit, Engagement und erfüllende Tätigkeit, persönliche Freiheit, Einstellung und Einkommen.

Macht denn ein hohes Einkommen wirklich glücklicher?

Wir brauchen genug Einkommen, um unsere wesentlichen materiellen Bedürfnisse zu decken und eine soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben jetzt und im Alter zu ermöglichen. Wir wissen aus der Glücksforschung aber auch, dass – nachdem die wesentlichen materiellen Bedürfnisse abgedeckt sind und eine soziale Teilhabe möglich ist – mehr Einkommen das subjektive Wohlbefinden kaum mehr erhöht. Wir passen dann unsere Ansprüche einfach nach oben an.

Im Vergleich zu anderen Ländern lebt es sich in Deutschland überaus privilegiert. Warum macht es den Eindruck, dass sich viele trotzdem nicht als glücklich beschreiben würden?

Wenn man das Ranking im World Happiness Report heranzieht, dann zeigt sich, dass Deutschland mit Platz 14 von 146 Ländern – auf dem letzten Platz liegt Afghanistan – gar nicht so schlecht abschneidet. Das heißt natürlich aber nicht, dass es bei uns nicht noch Luft nach oben gibt – ganz im Gegenteil! Zum einen sollten wir an eine stärkere Beachtung der Glücksfaktoren im täglichen Leben denken. Zum anderen sind aber auch Politik und Unternehmen gefragt. Die skandinavischen Länder können als Vorbild dienen. Sie belegen nicht ohne Grund seit der erstmaligen Veröffentlichung des World Happiness Reports im Jahr 2012 durchweg vordere Plätze. Diese Länder zeichnen sich insbesondere durch gute staatliche Dienstleistungen, durch eine geringere Ungleichheit und durch ein hohes Vertrauen aus.

Seit einiger Zeit wird vermehrt über »toxic positivity« gesprochen – also der Ablehnung von zu viel Optimismus, dem Zwang immer positiv zu denken und dem Verdrängen negativer Gefühle. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?

Es geht nicht um naiven Optimismus, es geht um realistischen Optimismus. Die Frage, ob für einen das Glas halb voll oder halb leer ist, ist tief im Gehirn verankert. Sie beruht weniger auf einer rationalen Abwägung der Argumente. Je nach pessimistischer oder optimistischer Einstellung im limbischen System kommt es bei ein und derselben Aufgabenstellung zu unterschiedlichen Verhaltensweisen. Bei einer eher optimistischen Sichtweise ist das Belohnungssystem stärker aktiv, bei einer eher pessimistischen Sichtweise das Angstzentrum. Während man im ersten Fall die Aufgabe angeht, versucht man im zweiten Fall den Herausforderungen aus dem Weg zu gehen. Mit speziellen Übungen kann das Gehirn aber trainiert werden, automatisch eher auf positive Eindrücke zu achten, was zu einer eher zuversichtlichen Grundhaltung führt.

Wie kann das gelingen?

Wir wissen aus Psychologie und Neurobiologie auch, dass wir einen Negativ-Bias haben: Wir nehmen negative Ereignisse und Gefühle viel stärker wahr als positive. Deshalb ist es wichtig, die positiven Gefühle zu stärken. Ein gutes Mittel ist, wenn man zwei bis dreimal die Woche für zwei oder drei Monate ein Dankbarkeitstagebuch schreibt. In das schreibt man drei Geschehnisse des Tages hinein, für die man dankbar ist und was man selbst dazu beigetragen hat. Später, wenn es sozusagen automatisiert ist, kann man es sich auch einfach nur denken. Dadurch ändert sich nach und nach die Sichtweise auf die Realität: Sie wird sozusagen »realistischer«. Wir achten dann einfach mehr auf das Positive um uns herum. Es geht gerade nicht um ein Verdrängen negativer Gefühle, oder um einen Zwang immer positiv zu denken, sondern um ein Bewusstmachen des Positiven um uns herum. Häufig auftretende negative Gefühle sollte man hinterfragen und gegebenenfalls darauf reagieren, indem man seine Entscheidungen und sein Verhalten ändert, etwa einen neuen Arbeitsplatz sucht. Das sind handfeste Ergebnisse.

Klausuren, Abgaben, Hausarbeiten: Wenn einem im Studium alles über den Kopf wächst, wie kann man da sein Glück finden?

Solche beziehungsweise ähnliche Herausforderungen wird es immer wieder im Leben geben. Es ist wichtig, auf Zeitmanagement zu achten und die Glücksfaktoren nicht aus dem Auge zu verlieren. Auch sollte man seine Gefühlsbilanz stets im Auge haben. Hier kann ich das Führen eines Dankbarkeitstagebuchs nur nachdrücklich empfehlen. Dankbarkeit hilft, die positiven Erfahrungen zu genießen, steigert das Selbstwertgefühl, hilft beim Umgang mit Stress, und fördert moralisches Verhalten. Außerdem schafft und stärkt sie soziale Beziehungen, verhindert Neid und den Vergleich mit anderen, kann Gefühle wie Ärger, Verbitterung, Eifersucht oder Gier mindern und hilft, der hedonistischen Anpassung ein Schnippchen zu schlagen. Außerdem sollte man darauf achten, sehr sorgsam mit negativen Gefühlen umzugehen. Sich aufzuregen, weil man im Stau steht, macht keinen Sinn. Hier ist Emotionsmanagement gefragt. Wir können beeinflussen, wie wir uns fühlen, indem wir verändern, was wir denken.


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